Mittwoch, April 24, 2024

Skylla & Charybdis – Kopfgeburten und Ausgeburten

Skylla & Charybdis

Dazwischen: Wir ist aus den letzten Jahren entstanden, aus der Einsamkeit der Lockdowns, aus der Wut und aus der Hoffnung. Julya Rabinowich hat nun fertig, die Lesenden sind an der Reihe.

Julya Rabinowich

Wien, 29. Jänner 2022 | Diese Woche hatte mein neuer Roman Geburtstag. Die Geburt eines Buches ist nicht unähnlich der Geburt eines Kindes, auf andere Art und Weise schmerzhaft, andere Art und Weise empfangen, eine Kopfgeburt, begleitet von Nackenwehen. Das Kind kommt in die Welt und zieht sofort weiter, hin zu denen, die es kennenlernen wollen, und in diesen ersten Wochen ist noch alles in Schwebe – noch weiß man nicht, wie das Kind sich in der großen weiten Welt tun wird. Ob es mit Zuneigung empfangen wird, oder ob es sich als Rabenbraten herausstellt. Ob es geliebt werden wird, oder ignoriert oder gar schlimmeres. Ob es die erreicht, an die man beim Schreiben dachte.

Manchmal erreicht so ein Buchkind ganz andere Menschen, als die Zielpersonen, manchmal weiß man bis zum Schluss der Arbeit nicht, ob man überhaupt Zielpersonen vor dem inneren Auge hat. Das Kind ist aber schon unterwegs, es reist in die Welt und hinterlässt eine seltsame Leere, eine seltsame Anspannung und eine seltsame Euphorie. Anschließend kämpft man mit sich, um nicht alle Bekannten, Verwandten bis ins siebte Glied und Freunde mit einem „Na, wie war ich?“ zu quälen, weil es egal ist, ob dieses Sätzlein nach Erhalt des Buches oder nach Abhaltung einer Orgie abgespult wird. Man fragt einfach nicht nach, ob man gut war, und natürlich will man es trotzdem wissen. Und währenddessen dreht sich die Welt, die für die Schreibende kurz innehält, natürlich weiter und weiter.

Politskandale werden ebenso geboren wie Bücher, segeln hinaus in die Welt oder werden mit gewaltigem Gegendruck unter Verschluss gehalten, Boris Johnson feiert während des Lockdowns Coronapartys, Kitzbühel feiert mit. Das Bundesministerium für Inneres lässt die Hosen runter, wenn auch unfreiwillig. Rudi Anschober will sich mit Kurz doch noch auf einen Kaffee treffen, wer will schon Brücken brennen sehen, die vielleicht direkt in die Hofburg führen. Die Kinder in Moria frieren immer noch, und in Afghanistan werden Frauen ermordet. Eine (in Windeseile ehemalige) Mitarbeiterin eines Parteimediums erklärt, dass Nationalsozialisten vor allem Sozialisten gewesen seien – steht ja schon ihm Namen! – und zwar inspiriert von einem Film über die Wannseekonferenz, der die Grausamkeit und Perfidie des Nationalsozialismus auf das unerträglich Genaueste seziert.

In funeral kommt auch das Wort fun vor, also ist ein Begräbnis lustig, verdammt nochmal! Man hebt den Blick aus Österreich hinaus, die Fernsicht wird nicht besser: Putin macht Tänzchen um die Ukraine, Trump hat immer noch genügend Unterstützer. Das alles ist ein gähnend dunkles Loch, an dessen Rand man schwankend stehenbleibt. Das Schreiben eines Romans bietet ein vorübergehendes Sanktuarium, eine Zuflucht von diesem Schwanken, obwohl das Schwanken den Schreibprozess erst bedingt. Dort, wo es schmerzt, dort wühlt man weiter, dort, wo es düster wird, will man hin leuchten. Im guten Fall nur für sich selbst, im besten auch für ein paar andere.

Dazwischen: Wir behandelt Schmerz und Krieg, behandelt Annäherung und Entfremdung, behandelt Rassismus, Ausgrenzung und den Mut, sich davon nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, behandelt das gesellschaftliche Auseinanderdriften und die innige Freundschaft und was man dafür bereit ist zu riskieren. Dazwischen: Wir ist aus den letzten Jahren entstanden, aus der Einsamkeit der Lockdowns, aus der Wut und aus der Hoffnung. Ich habe nun fertig, die Lesenden sind an der Reihe. Segle gut, mein Kind.

Julya Rabinowich: “Dazwischen: Wir”, 256 Seiten, Taschenbuch, 17,50 Euro.

Titelbild: APA Picturedesk

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8 Kommentare

  1. Vor zwei Tagen gedachte man den Opfern von Ausschwitz und morgen werden wieder Transparente getragen mit dem Spruch dass Impfen frei macht. Da werden dann auch wieder einige den aufgenähten gelben Stern durch Wien tragen und “wir sind das Volk” skandieren, gleichgültig dessen dass der Slogan “we are the People” eigentlich kreiert wurde von zutiefst rassistischen und antisemitischen Bewegungen wie z.B. von Q’Anon und in weiterer Folge benützt wurde von der Pegida. Diese Menschen verwehren sich aber vehement beanstandet zu werden, da sie nur spazierengehen, obwohl sie aus tiefster Überzeugung für die Freiheit kämpfen.
    In Wien würdigt man dieser Tage im Weltmuseum “Black History”, erwischt dabei aber einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt da sich um die Probleme des Rassismus, geschweige denn einheimischen Alltagsrassismus, dieser Tage kein Mensch kümmert. Weder Politik noch Medien, und schon gar nicht die Wutbürger, für die es ja gilt einen aufkeimenden Faschismus zu bekämpfen 😔.

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