Montag, Oktober 7, 2024

Würstchen im Meer

Grüne und ÖVP nach BMI-Chats und Sideletter:

Karl Nehammer steht am politischen Abgrund. Wenige Wochen vor Start des ÖVP-U-Ausschusses ist nicht mehr sicher, wer im Sommer 2022 Bundeskanzler sein wird. Von Nehammer bis Sobotka müssen schon bald alle unter Wahrheitspflicht über das aussagen, worüber sie nicht reden wollen. Aber der Sideletter zwischen Kurz und Kogler zeigt, dass sich die Führung der Grünen eng an die ÖVP gebunden hat.

 

Wien, 30. Jänner 2022 | Zwei Sätze sagen alles.

  1. „Eine Vereinbarung ist nötig, damit die ÖVP nicht alle Positionen besetzt”.
  2. „Solche Festlegungen hat es noch in jeder Regierung der Zweiten Republik gegeben. Das ist völlig normal”.

Der erste Satz stammt von Werner Kogler, der zweite von Karl Nehammer. Auch das ist inzwischen völlig normal.

Beide haben recht. Hätten die Grünen keine Vereinbarung über die Verteilung der Posten von ÖBB und ASFINAG bis Verbund und Post geschlossen, hätte sich die ÖVP alles genommen. Für die ÖVP ist Parteibuchwirtschaft auch völlig „normal“. Karl Nehammer hat nie etwas anderes gemacht.

Aber warum konnte die Vereinbarung nicht Teil des Regierungsprogramms sein? Warum musste es ein Sideletter sein?

Koglers Weg

Ganz zu Beginn von Türkis-Grün hatten die Grünen die Wahl: Sie konnten ein Modell, in dem die Besten in öffentlichen Ausschreibungen gewinnen konnten, zur Koalitionsbedingung machen. Sie konnten aber auch einfach das tun, was die ÖVP wollte. Das war der Weg von Werner Kogler.

In der letzten Woche der Regierungsverhandlungen wurde abgetauscht. Sebastian Kurz war überrascht, wie einfach alles mit Kogler ging. Asyl, Bildung – alles gehörte plötzlich der ÖVP. Nur mit der Ökologie schufen sich die Grünen ein Reservat am Regierungsrand. Als die Regierung Kurz II angelobt wurde, konnte das jeder im Regierungsprogramm nachlesen.

Nur den Sideletter durfte niemand sehen. Der Grund dafür ist einfach: Bis auf ein paar Namen war er eine Kopie des Vertrags zwischen Kurz und Strache. Kogler hatte unterschrieben, dass die Grünen den Part der FPÖ bei der Postenvergabe einfach übernehmen würden.

Als wir in ZackZack im Juni 2020 zum ersten Mal den Kurz-Strache-Pakt veröffentlichten, waren wir uns in einem Punkt uneinig: Gibt es so etwas auch zwischen Kurz und Kogler? Ich tendierte zu „Nein“. Jetzt wissen wir es besser.

Treibende Würstchen

Früher, als die Hotels an der oberen Adria ihre Abwässer noch in langen Leitungen ins Meer pumpten, konnten Schwimmer, die sich etwas weiter hinauswagten, beobachten, wie ein Würstchen nach dem anderen an die Oberfläche poppte. Dieses Bild bietet jetzt die Pension „Nehammer & Kogler“. Der Sideletter zwischen Kurz und Strache ist schon da. Gleich neben ihm taucht der Kurz-Kogler-Sideletter auf. Plötzlich schwimmt man zwischen treibenden Würstchen. Zwischendurch hört man von weitem die zarte Stimme der Justizministerin, die am Strand auf und ab geht: „Antikorruptionspaket, wer will ein Antikorruptionspaket?“

Drei Systeme

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse gehorchen einem Gesetz: Sie bringen den Bodensatz in Bewegung. Ein Stück Dreck nach dem anderen löst sich und steigt auf. Erfolgreiche Untersuchungsausschüsse erkennt man an der dichten Schicht Bodensatz, die endlich oben schwimmt.

Jetzt kommt der ÖVP-Untersuchungsausschuss. Vor mir liegt der Extraktionsbericht des Kloibmüller-Handys. Thomas Walach, Ben Weiser und ich sind dabei, aus den mehr als 4.000 Seiten die wichtigsten Chats herauszusuchen und ihre Hintergründe zu erkunden. Die ersten vier Chats haben zu zwei Verfahren geführt. OGH-Vizepräsidentin Eva Marek wurde von ihren Dienstpflichten entbunden. Gegen den Salzburger Verfassungsschutz-Chef Georg Angerer ermittelt die Dienstaufsicht.

Die politisch heikelsten Chats werden wir rechtzeitig vor Beginn des U-Ausschusses veröffentlichen. Es geht um Wolfgang Sobotka und Johanna Mikl-Leitner; um Kathi Nehammer und Gerald Fleischmann; um Sebastian Kurz und Thomas Schmid; und um viele andere aus türkiser und schwarzer ÖVP.

Im Ausschuss geht um drei Systeme: um das türkise System „Kurz“ in Bundeskanzleramt und Finanzministerium mit Kurz, Blümel und Schmid; um das schwarze System in Innenministerium und niederösterreichischem ÖAAB mit Sobotka, Mikl-Leitner, Karner und Nehammer; und um das Zentralsystem in der Partei selbst.

Der U-Ausschuss wird am 2. März mit seinen Befragungen beginnen. Bis dahin haben die Grünen Zeit für die Antwort auf eine Frage: Stützen sie Nehammer am Rande des politischen Abgrunds der ÖVP? Werden sie weiter mitmachen – oder ist endlich Schluss.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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