Dienstag, Oktober 8, 2024

Anti-Gewalttrainer erzählen: »Aggression ist normal, Gewalt nicht«

Konflikte anders lösen

Wer vom Gericht eine Weisung für ein Anti-Gewalttraining bekommt, landet beim Verein Neustart. Dort soll man sein Verhalten ändern lernen. Das ist gar nicht so einfach.

Wien, 16. Februar 2022 | Jeden Mittwoch treffen sich vierzehn Männer in einem Seminarraum ganz in der Nähe des Wiener Pratersterns. Die meisten von ihnen sind zwischen 14 und 25 Jahre alt und sie sind nicht freiwillig hier, sondern weil es ihnen ein Gericht aufgetragen hat. Denn so unterschiedlich sie auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind gewalttätig geworden und sind hier, um das zu ändern. 

Ein Anti-Gewalttraining, kurz AGT (nicht zu verwechseln mit der sechsstündigen Beratung bei häuslicher Gewalt, die es seit September 2021 gibt), soll helfen. Dafür werden jeden Mittwoch die Tische an die Wand geschoben, um Platz für einen Sesselkreis zu machen. Geleitet werden die AGTs von Barbara Buchta-Bayer und ihrem Kollegen Norbert Filz vom Verein Neustart. Seit neun Jahren sind sie ein Team und erarbeiten mit Gruppen, wie man gewaltfrei Konflikte lösen kann. Und zwar ohne die Teilnehmenden für ihr Verhalten zu beschämen. 

„Es braucht keine Scham“, sagt Buchta-Bayer, der es sehr wichtig ist, die Teilnehmenden respektvoll zu behandeln. „Es geht darum, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und sich bewusst zu machen, wo man in der Vergangenheit schon erfolgreich Konflikte ohne Gewalt gelöst hat. Das ist erleichternd und stärkend und bewirkt viel mehr.“ Denn: „Jeder wird mal aggressiv, das ist normal, die Gewalt, die daraus folgen kann, aber nicht.“ 

Wie man gewaltfrei Konflikte löst

Aber wie löst man denn nun gewaltfrei Konflikte? „Wir haben kein Allround-Rezept. Wir sagen nicht, macht es so und dann funktioniert es ohne Gewalt“, sagt Buchta-Bayer. „Wir lassen die Gruppe überlegen und arbeiten mit jeder Person und ihren Erlebnissen.“ Eine der Übungen: Biografie-Arbeit. Dabei sehen sich die Teilnehmenden an, welche Situationen in ihrem Leben sie besonders stressen, was sie triggert und was man vermeiden kann.  Manche wissen etwa, dass sie Alkohol lieber weglassen sollten. 

Auch theoretische Zugänge sollen helfen: „Wir arbeiten mit ihnen durch, warum es schnell zu Impulsdurchbrüchen kommen kann, oder schauen uns das Modell der Eskalations-Treppe mit ihnen an“, so Filz. Auch Filme und wie die Darstellenden in ihnen agieren seien ein gutes Mittel um an gewaltfreiem Verhalten zu arbeiten. Wichtig sei dabei zu reflektieren, was die Teilnehmenden davon aus ihren eigenen Erfahrungen kennen. „Bei manchen gibt es dann richtige Aha-Effekte“, stellt Buchta-Bayer zufrieden fest. 

Natürlich wird auch mit dem eigenen Körper gearbeitet. Um Impulse besser unter Kontrolle zu bekommen, werden Atem- und Entspannungsübungen gemacht. In Kleingruppen wird daran gearbeitet die eigenen Grenzen zu erkennen. Ab wann es zum Beispiel unangenehm wird, wenn jemand auf einen zukommt. 

„Die Gruppe ist eine Lernumgebung für Konflikte“ sagt Norbert Filz. Denn: „Gerade situative Gewalt spielt sich oft in Gruppen ab und hier können sie üben, anders damit umzugehen.“ Die AGTs sind eine Ergänzung zur Bewährungshilfe, diese müssen die Teilnehmenden einzeln machen. 

Machen AGTS tatsächlich weniger gewalttätig?

Außer Buchta-Bayer und Filz gibt es noch fünf andere Trainerpaare bei Neustart Wien, insgesamt kümmern sie sich um sechs Gruppen pro Jahr. Die AGTs gibt es seit über zehn Jahren. Die Teilnehmenden absolvieren sie in einem Zeitraum von einem halben Jahr, in Ausnahmefällen bis zu einem Jahr. Insgesamt sind das 40 Stunden Anti-Gewalt-Training pro Gruppe. Doch reicht das?

„Ich habe schon das Gefühl, dass die meisten etwas ändern wollen. Natürlich gibt es auch während der Trainings Rückfälle bei einigen“, sagt Buchta-Bayer.  Ihr Fazit: Ja, die Trainings machen die Teilnehmenden tatsächlich weniger gewalttätig. 

Blauäugig sind sie und ihr Trainingskollege bei dem Thema aber keineswegs: „Natürlich haben wir auch viele heikle Situationen. Da bin ich froh, dass Norbert und ich uns 100 Prozent aufeinander verlassen können“, erzählt die Trainerin. Auch die Jahre der Routine ändern nichts daran, dass die beiden manchmal mit einem mulmigen Gefühl in den Seminarraum gehen, oder ihn mit so einem Gefühl verlassen. Dann wird das miteinander besprochen, sie führen Einzelgespräche mit den Beteiligten und sprechen sich ab, wie das in der nächsten Einheit nachbereitet wird. 

„Wenn Leute aufeinander losgehen, dann schreiten wir sofort ein und trennen sie“, fährt Buchta-Bayer fort. Das sei aber bisher nur einmal passiert. „Meistens erkennen wir einen Konflikt schon, bevor es eskaliert.“ Und darum geht es auch für die Teilnehmenden bei den AGTs: Den Punkt in einem Konflikt zu erkennen, an dem man noch aussteigen kann. 

Die Zahl der Teilnehmenden an den AGTS bleiben seit Jahren relativ konstant heißt es von Neustart. Die Bewährungshelfer können bei Gericht auch anregen jemanden in ein AGT zu schicken, wenn sie das als zusätzliche Maßnahme für sinnvoll halten. Wegen der Corona-Pandemie mussten zwei Gruppen verschoben werden und man ist ein wenig im Rückstand. An Gewaltproblemen kann man nur persönlich arbeiten. 

(sm)

Titelbild: ZackZack/Stefanie Marek

Autor

  • Stefanie Marek

    Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.

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