Samstag, Dezember 7, 2024

Analyse: Immer weniger Länder volle Demokratien

Analyse

Die Bertelsmann Stiftung sieht die Demokratie in Entwicklungs- und Transformationsländern unter Druck. Serbien, Ungarn und Polen sind nur mehr „defekte Demokratien“. Eine andere Analyse zeigt: Die Demokratie ist weltweit in Bedrängnis.

Gütersloh, 23. Februar 2022 | Die Demokratie verliert einer internationalen Analyse der Bertelsmann Stiftung zufolge an Boden. Mehr und mehr Länder werden autoritär geführt. Unter den 137 untersuchten Entwicklungs- und Transformationsländern seien 67 Staaten als Demokratien und inzwischen 70 Staaten als Autokratien einzustufen, hieß es im „Transformationsindex 2022″ der Bertelsmann Stiftung (BTI). Als Entwicklungs- und Transformationsländer werden Staaten bezeichnet, die im Vergleich zu industrialisierten Ländern wirtschaftlich zurückliegen beziehungsweise an der Schwelle von der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft stehen.

Auch bei der Wirtschaftsentwicklung zeige die Kurve stark „nach unten”. Man habe einen „Tiefstand an politischer und wirtschaftlicher Transformation” seit der ersten Erhebung 2004 gemessen. Das sei auch das Ergebnis der weltumspannenden Corona-Krise und setze zugleich einen seit längerem anhaltenden Trend fort.

Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsrechte werden abgebaut

Die Stiftung hat für die aktuelle Auswertung die Entwicklung der 137 Länder im Zeitraum Februar 2019 bis Jänner 2021 auf Basis von Expertenberichten bewertet. Die Analyse kommt zum Ergebnis: Vielerorts wurden Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsrechte weiter abgebaut, die ökonomische Ungleichheit wächst. In 78 Staaten sei es zu einem deutlichen Einbruch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gekommen.

Stresstest Pandemie

„Die Pandemie war für alle Regierungen ein extremer Stresstest, der Probleme und Fehlentwicklungen verschärfte”, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Pressemitteilung. Vielen Regierungen fehle vor allem der politische Wille, Verarmung und sozialer Ausgrenzung entgegenzuwirken. In 80 Ländern herrsche “massive, strukturell verankerte Ausgrenzung”. Vor allem Autokratien nutzten die Pandemie, um Grundrechte weiter zu beschneiden.

Sieben neue Autokratien seit letzter Analyse

Als „gut regierte Demokratien” nennt der Index etwa Uruguay, Estland, Taiwan, Litauen, Tschechien oder auch Kroatien, Südkorea und Botswana. Hingegen werden Brasilien, Bulgarien, Indien, Serbien, Ungarn und Polen, allesamt vor wenigen Jahren noch als Demokratien bewertet, nun als „defekte Demokratien” bezeichnet. Sieben Länder sind seit der letzten Analyse von 2018 neu als Autokratien eingestuft worden, darunter Mali, Nigeria und Tansania. Russland und China sieht der Index als „Hartliner-Autokratien”. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wird „autoritärer Islamismus” bescheinigt.

Die Stiftung hob hervor: Zivilgesellschaftliche Akteure seien oft „die letzte Bastion im Kampf gegen Autokratisierung”, so in Belarus, Myanmar oder im Sudan. Sie forderten vehement Reformen oder stemmten sich gegen Korruption und Amtsmissbrauch.

Österreich auf Platz 20 der vollen Demokratien

Auch der Demokratieindex der britischen Economist-Gruppe für das Jahr 2021 sieht die Demokratie in Gefahr. Auch hier wird zu einem Teil die Pandemie dafür verantwortlich gemacht. Besonders negativ betroffen sei Lateinamerika, heißt es in dem Bericht. Als große Herausforderung für die Demokratie als politisches System gilt China.

Die Economist-Gruppe zählt unter 167 untersuchten Ländern 21 volle Demokratien, an deren Spitze Norwegen, Neuseeland und Finnland stehen. Das sind zwei weniger als im Jahr davor. Spanien ist nun eine von 53 fehlerhaften Demokratien und liegt in dieser Kategorie an dritter Stelle hinter Frankreich und Israel. Daneben zählt der Index 34 hybride Regimes, vorneweg Bangladesch, Tunesien und Paraguay, und 59 autoritäre Regimes, an deren Spitze Palästina, Kuwait und Burkina Faso. Schlusslicht ist Afghanistan. Österreich liegt unter den vollen Demokratien auf Platz 20 und bildet damit mit Costa Rica das Schlusslicht in dieser Kategorie.

(APA/pma)

Titelbild: Screenshot | Bertelsmann Stiftung 

Autor

  • Pia Miller-Aichholz

    Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich

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