Die europäischen Automobilhersteller gehören zu den größten Nutznießern des EU-Konjunkturprogramms (Aufbau- und Resilienzfazilität). Eigentlich sind die Brüsseler Milliarden für die Beschleunigung des grünen Wandels vorgesehen. Das Problem: ein Teil kommt fossilen Brennstoffen zugute.
Gastbeitrag von Lise Wittemann
Wien, 02. März 2022 | Die europäische Autolobby versammelte eine recht beeindruckende Delegation. Die Vorstandsvorsitzenden von Fiat Chrysler, Jaguar Land Rover, Scania AB, Volkswagen und anderen Automobilherstellern kamen zu einem Online-Treffen zusammen. Man erhoffte sich einen Beitrag zur Wiederbelebung des Sektors in den ruhigen Monaten nach den ersten Schließungen.
Corona-Milliarden gegen den Zusammenbruch
Aufgrund der Coronamaßnahmen befanden sie sich in einem akuten Ausnahmezustand. Die Schließung von Werken führte zu einem Produktionsverlust von 2,4 Millionen Fahrzeugen. Auf den wichtigsten EU-Märkten gab es laut dem Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) Einbußen von mehr als 95 Prozent. „Ein nahezu totaler Zusammenbruch”, so Eric-Mark Huitema, Generaldirektor des ACEA.
Zum Glück für Huitema und Kollegen hatte die Autolobby ein einflussreiches Publikum, das ihnen zuhörte: EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton und EU-Kommissar Frans Timmermans, der für den Green Deal zuständig ist.
Zu diesem Zeitpunkt war Brüssel nur wenige Wochen davon entfernt, ein noch nie dagewesenes europäisches Konjunkturpaket vorzulegen: einen 723,8 Milliarden Euro schweren Konjunktur- und Resilienzfonds (RRF). Mit dem von den Finanzmärkten geliehenen Geld hoffte die EU-Kommission, Europa durch die Gesundheitskrise zu bringen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten in eine grüne und digitale Zukunft investieren würden.
Dabei waren die Industriekapitäne an jenem Frühlingstag im Mai 2020 mehr als motiviert, ihre Botschaft an die Europäische Kommission zu übermitteln: Sie hofften auf finanzielle Unterstützungsmaßnahmen, um ihre Produktionsstätten wieder öffnen und die Menschen ihre Arbeitsplätze behalten können.
Grüner werden
Im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung versprachen die Automobilhersteller genau das, was sich die politischen Entscheidungsträger in Brüssel seit Jahren erhofft hatten: die europäische Fahrzeugflotte umweltfreundlicher zu machen. Wie Sigrid de Vries, Generalsekretärin des Europäischen Verbands der Automobilzulieferer (CLEPA), es ausdrückte: “Eine Win-Win-Lösung, die den dringenden ökologischen, industriellen und allgemeinen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht.“
Bis dahin war die Automobilindustrie nicht gerade begeistert von der Umstellung auf umweltfreundliche Technologien – was auf dem Klimagipfel in Glasgow im November 2021 deutlich wurde. Große Autokonzerne wie Volkswagen, Stellantis, Renault und BMW machten deutlich, dass sie noch bis 2040 Autos verkaufen würden, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. BMW beklagte in der „Financial Times“, dass es noch zu viele Unwägbarkeiten in Bezug auf die Entwicklung der globalen Infrastruktur zur Unterstützung einer vollständigen Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge gebe.
In Wirklichkeit hält die Autolobby lieber an den altmodischen Verbrennungsmotoren fest. „Technologieneutralität” und “alternative Kraftstoffe” sind zwei Begriffe, die immer wieder ins Spiel gebracht werden, um sicherzustellen, dass nicht nur vollelektrische Fahrzeuge subventioniert und gefördert werden, sondern auch bestehende Verbrennungsmotoren, die billiger produziert werden können.
So preist die Industrie beispielsweise Plug-in-Hybridfahrzeuge als “grüne Lösung” an, weil sie sowohl mit Benzin als auch mit Strom betrieben werden können. Die Industrie ist der Meinung, dass diese Hybridtechnik einen reibungslosen Übergang in ein neues grünes Zeitalter ermöglicht.
Im hektischen Jahr 2020, in dem die RRF geschaffen wurde, hat Brüssel dieses Narrativ übernommen. Nach einer Schätzung des deutschen Wuppertal-Instituts und anderer kann der europäische Mobilitätssektor mit 109 Milliarden Euro Unterstützung rechnen und ist damit der größte Gewinner der Konjunkturinvestitionen.
Davon entfallen 23,1 Milliarden Euro auf den Straßenverkehr und die Automobilindustrie, einschließlich der Hybridfahrzeuge.
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#RecoveryFiles ist ein paneuropäisches Investigativ-Projekt über den europäischen Covid-19-Rettungsfonds, das zum Teil durch den IJ4EU-Fonds ermöglicht wird. Für diese Untersuchung hat sich „Follow the Money“ mit Journalisten aus ganz Europa zusammengetan; den ersten Artikel können Sie hier lesen.
Attila Biro, Context Investigative Reporting Project (Rumänien)
Marie Charrel, Le Monde (Frankreich)
Staffan Dahllöf, DEO.dk (Dänemark / Schweden)
Matej Zwitter, Ostro (Slowenien)
Marcos Garcia Rey, Freier Journalist (Spanien)
Gabi Horn, Atlatszo (Ungarn)
Jarno Liski, Iltalehti (Finnland)
Piotr Maciej Kaczynski, Onet.pl (Polen)
Remy Koens, Follow the Money (Die Niederlande)
Ante Pavic, Ostro (Kroatien)
Giulio Rubino, IRPI (Italien)
Atanas Tchobanov, Bird.bg (Bulgarien)
Peter Teffer, Follow the Money (Niederlande)
Hans-Martin Tillack, Die Welt (Deutschland)
Petr Vodsedalek, Denik (Tschechische Republik)
Ben Weiser, ZackZack (Österreich)
Lise Witteman, Follow the Money (Niederlande / Brüssel)
Teaser-Video:
Das Team in Aktion: Hintergrundvideo.
Schlupfloch in der Methodik
Nicht jeder ist mit dieser Situation zufrieden. Umweltorganisationen hatten von Anfang an Kritik am Milliardenfonds geübt. Laut Julia Poliscanova von der Non-Profit-Organisation Transport & Environment, die sich für eine saubere Mobilität einsetzt, folgten die europäischen Politiker einem alten Standard, der sich, gelinde gesagt, als zweifelhaft erwiesen hatte.
Im Jahr 2014 hatte die Europäische Kommission eine Methode zur Prüfung und Zertifizierung dieser Art von (Hybrid-)Fahrzeugen eingeführt. Damals hatte es noch keine Erkenntnisse darüber gegeben, „wie diese Fahrzeuge in der Praxis abschneiden“, erinnert sie sich. Aber bis 2020 gab es immer mehr Anzeichen dafür, dass Hybridfahrzeuge in der Realität nicht das halten, was sie versprechen. Ein großer Teil des Problems liegt in der Art und Weise, wie sie gebaut werden: Der elektrische Teil ist recht schwach und kann nicht genügend Leistung für dynamisches Fahren oder längere Strecken erzeugen. Tatsächlich beziehen Hybridautos ihre Leistung oft aus dem Verbrennungsmotor.
Der deutsche Europaabgeordnete Damian Boeselager (linksliberale Partei Volt) war bereits an den Verhandlungen über den Fonds im Jahr 2020 beteiligt und erklärte, er hoffe, dass die Europäische Union damit für die Zukunft gerüstet sei. Er ist aber der Ansicht, dass die Förderung von Hybridfahrzeugen diesem Ziel zuwiderläuft. Boeselager hält Subventionen für diese Art von Fahrzeugen für eine “veraltete Investition”.
Ökologische Prämie
Im Mai 2020 stellte die französische Regierung bereits 8 Milliarden Euro für ihr eigenes Konjunkturprogramm im Bereich des nationalen Automobilsektors bereit. Bei der Verabschiedung des Milliardenpaketes ein paar Monate später übertrug die Regierung einige dieser europäischen Konjunkturmaßnahmen in ihr 100 Milliarden schweres nationales Konjunkturprogramm “France Relance” (Restart France). Nachhaltige Fahrzeuge sollten mit Hilfe von Konjunkturmitteln aus Brüssel finanziert werden. Der französische Plan wurde von der Europäischen Kommission im Juni 2021 offiziell genehmigt.
Frankreich hat 1,3 Milliarden Euro in einen so genannten “Umweltbonus” für Autos investiert, von denen 885 Millionen von der Europäischen Union (68 Prozent) stammen. Dank dieser Prämie konnten Autokäufer im Jahr 2020 bis zu 7.000 Euro für den Kauf eines neuen Elektroautos (derzeit: 6.000 Euro) und bis zu 2.000 Euro für den Kauf eines Plug-in-Hybrids (derzeit 1.000 Euro) erhalten. Außerdem finanziert der Rettungsfonds zu 100 Prozent die Ökologisierung des französischen Öffi-Verkehrs (155 Millionen Euro), einschließlich der Hybridfahrzeuge.
Diese Maßnahmen haben zu einem spektakulären Anstieg der Verkäufe von Elektroautos in Frankreich geführt: 300 Prozent im Jahr 2020 und ein weiteres Plus von 85 Prozent im Jahr 2021. Im Jahr 2021 wurden mehr als 315.000 neue Elektro- und Hybridautos zugelassen. Nach Angaben der ACEA wurden in diesem Jahr erstmals in Europa mehr (halb-)elektrische Autos verkauft als Dieselfahrzeuge.
Während die Brüsseler Milliarden die umstrittenen Autoverkäufe kräftig ankurbeln, hat die Europäische Kommission jetzt begonnen, ihre Politik zu ändern. Nach den beunruhigenden Berichten über die mangelnde Wirkung dieser Autos bezüglich Reduzierung der Treibhausgasemissionen, will Europa die Methoden zur Berechnung der Autoemissionen verschärfen, so „Reuters“. Die Autohersteller müssten dann mehr Elektrofahrzeuge verkaufen, um die Emissionsziele zu erreichen und saftige Geldstrafen zu vermeiden.
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Titelbild: APA Picturedesk