Das ist ein Unterüberschrift
Das Ibiza-Video sprengte die türkis-blaue Regierung. Der Mann, der dahintersteckt, sitzt seit über einem Jahr wegen Drogenhandelsvorwürfen in Untersuchungshaft. ZackZack hat ihn im Gefängnis besucht.
St. Pölten/Wien 12. März 2022 | Julian Hessenthaler ist einer, der sich mit allem arrangieren kann. In seinem früheren Leben im sogenannten Sicherheitsgewerbe hatte er mit „ganz unten und ganz oben“ zu tun. Jetzt ist er selbst ganz unten. Seit 15 Monaten sitzt der 41-Jährige nun schon in Untersuchungshaft, zuerst in Berlin und Wien in Einzelhaft, jetzt in der Justizvollzugsanstalt St. Pölten – ohne Urteil. Dorthin gebracht haben ihn Vorwürfe, in Österreich im großen Stil mit Kokain gedealt zu haben. Offiziell geht es dabei nicht um das Ibiza-Video, als dessen „Regisseur“ Hessenthaler mittlerweile bekannt ist und das 2019 zum Fall des ehemaligen FPÖ-Vizekanzlers HC Strache und zum Bruch der türkis-blauen Regierung führte.
Doch im laufenden Prozess war bisher häufig vom Video die Rede. Die Drogenvorwürfe seien vorgeschoben, sagt Hessenthaler. Es sei immer um das Video gegangen. „Ich hätte weniger Probleme damit, eingesperrt zu sein, wenn es wegen des Ibiza-Videos wäre. Das fände ich immer noch fraglich, aber es wäre wenigstens etwas, das ich gemacht habe“, meint er.
Um die Ibiza-Filmer zu finden, trieben die österreichischen Behörden einen ungewöhnlichen Aufwand. Ein Großteil der SOKO war nicht zur Aufklärung der Videoinhalte, sondern zur Verfolgung Hessenthalers eingesetzt. Bei den Behörden etwa in Deutschland und den Niederlanden sorgte das für Irritationen. Denn dabei ging es lediglich um Bagatelldelikte wie Urkundenfälschung. Anders, wenn es um Drogendelikte geht; da ist die Kooperationsbereitschaft höher. Deutschland lieferte Hessenthaler nur unter der Bedingung aus, dass es um Drogen und nicht um das Video gehe.
Einschüchterung und politische Verfolgung
Wir treffen den Mann, der eine Regierung gestürzt hat, im Sprechzimmer am Ende eines verwinkelten Ganges, der in St. Pölten hinter Stacheldraht und hohen Mauern liegt. Dunkle Schatten unter den Augen, Bartstoppeln – das Gesicht hinter der Plexiglasscheibe, das den Gefangenen von den Besuchern trennt, sieht müde aus, ansonsten verrät es nicht viel. Wie es ihm geht? Julian Hessenthaler seufzt. „Etwas frustriert, etwas erschöpft, aber ich harre der Dinge, die da kommen.“ Sein Prozess zieht sich, Sachbeweise gibt es keine, die Anklage baut allein auf den Aussagen zweier fragwürdiger Zeugen auf. Ein Enthaftungsantrag: abgelehnt. Der Grund: Flucht- und Tatbegehungsgefahr. „Absurd“ findet Hessenthaler.
„Sehen Sie sich als politischen Gefangenen?“ „Wenn ich verurteilt werde, ja. Ich finde es auch auffällig, dass alle Stellen sich bis jetzt geweigert haben, in Richtung politischer Verfolgung zu prüfen.“ Aber: „Ich habe nicht vor, bei den Hauptvorwürfen etwas anderes als einen Freispruch zu akzeptieren.“
Von der Insel ins Gefängnis
Spaziert man durch Wien, dann sieht man sie hie und da: Poster, die „Freiheit für Julian Hessenthaler“ fordern. In Kommentarforen nennen ihn viele einen Helden, andere wollen ihn weiter hinter Gittern sehen. Er habe das Video aus Geldgier gemacht, um Strache zu erpressen, sagen die nächsten. Menschenrechtsorganisationen sehen seinen Fall als Einschüchterungsversuch, der es zukünftigen Whistleblowern schwer machen soll. Hessenthaler nickt, für einen Augenblick scheint die Sonne durch das vergitterte Fenster hinter ihm und verpasst ihm einen Lichtkranz. Doch dass er keinen Heiligenschein trägt, weiß er selbst.
„Das war ja nicht unbedingt Idealismus. Es wäre absurd, wenn ich mich als Kamikaze-Piloten hinstelle, der unbedingt etwas beweisen will und dafür sein Leben in die Tonne tritt.“ Er sei Stück für Stück in den Kaninchenbau gesogen worden, erklärt Hessenthaler. Die Sache mit dem Ibiza-Video, mit HC Strache und Johann Gudenus habe viel kleiner und als Freundschaftsdienst für Anwalt M. begonnen, der Strache und Co. schmutzige Geschäfte nachweisen wollte. „Die Idee am Anfang war, dass wir mit denen Essen gehen, was Trinken, vielleicht erwischen wir sie beim Drogenkonsum und sie sagen ein paar blöde Sachen und das wars.“ Und dann erfuhr Hessenthaler etwas, dass ihn „aus den Socken haute“, wie er sagt, und der Plan änderte sich.
„Ibiza war ein Selbstmordkommando“
Bei einem Treffen in einem Wiener Hotel habe Johann Gudenus unerwartet in den Raum geworfen, dass man Anteile an der „Kronen Zeitung“ kaufen könne, um so Einfluss über die Medien zu gewinnen. „Und da war mir klar, es geht nicht mehr darum, ein bisschen Geld aus Osteuropa zu waschen, sondern Meinungen und Medien zu manipulieren,“ sagt Hessenthaler. Er habe ein Gewitter aufziehen sehen. „Ich habe mich davor viel mit den US-amerikanischen Wahlen und mit Wahlmanipulation beschäftigt. Mir war klar, wenn das in Amerika funktionieren kann, in einem Land mit solchen Geheimdiensten, dann ist es in Österreich ein Leichtes. Das war etwas, dass mich zentral bewegt hat.“
Auch das Spiel selbst mag Hessenthaler gereizt haben. Er wollte wissen, ob man „so etwas“ machen könne – professioneller Ehrgeiz. Spätestens mit Ibiza habe er sich in die Sache verbissen und sei dann nicht mehr aus der Nummer herausgekommen. Das Ibiza-Video habe er schon damals als „Selbstmordkommando“ eingeschätzt.
Dass er früher oder später enttarnt werden würde, sei ihm klar gewesen, sagt Hessenthaler. Zu improvisiert die Vorgehensweise, zu hastig der „Ausstieg“, als dass seine Tarngeschichte hätte halten können. „Ich musste mich damit abfinden, dass ich so weit gegangen war, dass es kein Zurück mehr gab.“ Den Behörden vertraute er nicht, schlussendlich ging er mit dem Video zur Süddeutschen Zeitung. Der Rest ist Geschichte. Hessenthalers Stimme zittert kaum merklich, als er sagt: „Für mich ist das seit fünf Jahren eigentlich kein Leben mehr. Spätestens nach der Wahl 2017 war es vorbei.“ Er atmet tief durch. Man hört die Lüftung im Sprechzimmer, Sesselrücken und Gesprächsfetzen aus dem anliegenden Raum.
Kein Zukunftsplan ohne Zukunft
Und die Zukunft? „Ich habe keinen Zukunftsplan, weil ich nicht weiß, ob ich eine Zukunft habe“, sagt Hessenthaler mit einem leisen, bitteren Lachen. „Ich denke möglichst wenig darüber nach, was ich machen will, wenn ich rauskomme, weil ich nicht weiß, was ich machen soll. In dem Bereich, in dem ich gearbeitet habe, kann ich nicht mehr arbeiten.“ Ein normales Leben fernab vom Informations- und Sicherheitsgewerbe habe er sich nie gewünscht: „Diese Branche fand ich immer interessant. „Ich war schon lange der Auffassung, dass das, was die Öffentlichkeit kennt, nur ein Teilaspekt der Welt ist. Die interessanten Sachen finden hinter den Kulissen statt.“
Was er definitiv brauche: eine Auszeit. „Ich glaube, kaum jemand kann nachvollziehen was für ein immenser Druck seit fünf Jahren auf mir lastet.“ Ibiza und alles, was mit seinem Prozess einhergeht, ist für Hessenthaler jedenfalls noch nicht abgeschlossen. Sollte sich der Staat nicht weiter mit den Verwicklungen des Falles beschäftigen, will er selbst weitergraben. Von „ein paar Linien Richtung Russland und der FPÖ“, die er in seiner Freizeit aufarbeiten wollen würde, ist die Rede.
Ob er die Möglichkeit dazu haben wird, weiß Hessenthaler nicht. Was ihm im Gefängnis am meisten abgehe sind Informationen. Er sei jemand, der „enorm viel liest und die Nachrichten exzessiv verfolgt“. Nun ist er von fast allem abgeschnitten, verbringt seine Tage entweder in einer Sechs-Mann-Zelle oder zum Arbeiten in der Gefängniswäscherei und wartet auf sein Urteil. Am Ende bleibt die Frage, ob es sich für Hessenthaler trotz allem gelohnt hat; nicht finanziell – es sei nie um Geld gegangen, sagt Hessenthaler mehrmals. Aber auf einer anderen Ebene? Nach all den Konsequenzen, die das Ibiza-Video für sein Leben hatte, würde er es wieder tun? Ja, sagt Hessenthaler: „Anders, aber ja.“
Was auf ihm laste, sei nicht so sehr die eigene Situation hinter Gittern, sondern vielmehr die „Kollateralschäden“ in seinem Bekanntenkreis, Personen, die in kleinem Umfang involviert waren, weil sie ihm vertraut hatten. „Ich hätte nicht erwartet, dass eine Polizeibehörde so um sich schlägt. Leute sind deswegen ausgewandert. Mir war klar, worauf ich mich ungefähr einlasse, als ich mich dazu durchgerungen habe, das mit der SZ durchzuziehen (Anm.: die Veröffentlichung des Videos bei der Süddeutschen Zeitung). Ich nehme es hin. Ich hoffe, dass der Tag kommt, mit dem ich durch meinen Aufenthalt hier etwas verändern kann. Egal wie das ausgeht, ich hoffe, dass sich das irgendjemand anschaut, und sagt: So wie das damals gelaufen ist, darf es nicht noch einmal laufen.“
Das Interview führten Stefanie Marek und Thomas Walach.
Titelbild: APA Picturedesk