Corona-Pandemie
Die Spitäler in Österreich funktionieren am Limit. Immer mehr Personal fällt aus, die Normalstationen füllen sich mit Corona-Positiven. ZackZacks Quellen sind sich einig: Die Situation war noch nie so angespannt.
Wien, 16. März 2022 | Ein Infektionszahlen-Rekord jagt den nächsten, am Mittwoch wurde mit 58.583 Neuinfektionen ein neuer Höchstwert gemeldet. Die Spitäler funktionieren am Limit oder sind bereits überlastet. Trotzdem fallen in ganz Österreich Stück für Stück jene Maßnahmen, die in vorhergegangenen Corona-Wellen die Infektionen auf einem möglichst niedrigen Level gehalten haben. Nur Wien geht weiter den mittlerweile zur Pandemie-Tradition gewordenen eigenen, strengeren Weg. „Das was wir in Österreich derzeit machen ist die unkontrollierte Durchseuchung“, sagt Peter Adelsgruber, Chirurgie-Oberarzt bei den Barmherzigen Schwestern in Ried im Innkreis.
Adelsgruber ist einer von zwei Ärzten, mit denen ZackZack ausführlich gesprochen hat. Beide sagen, die belegten Intensivbetten seien in der aktuellen Omikron-Welle der falsche Richtwert für Maßnahmen. „So schlimm wie jetzt war’s noch nie“, beurteilte Peter Adelsgruber gegenüber ZackZack die Lage in den Spitälern und schloss sich damit seiner Kollegin Elisabeth Bräutigam vom Ordensklinikum Linz an.
Alles andere als normal
Anfang Dezember waren die Intensivstationen laut AGES mit rund 660 schweren Corona-Fällen fast systemkritisch ausgelastet, in manchen Teilen Österreichs sogar deutlich überlastet. Seit Mitte Jänner liegen nun konstant um die 200 Personen mit schweren Corona-Infektionen auf den österreichischen Intensivstationen. Währenddessen werden auf den Normalstationen immer mehr Betten für Corona-Infizierte gebraucht. Lagen auf Normalstationen Mitte Jänner noch rund 650 Corona-Positive, sind es mittlerweile rund 2.790. Österreich liegt damit im europäischen Spitzenfeld.
Wenn jemand auf der Normalstation positiv ist, muss diese Person in einem Einzelzimmer untergebracht werden, egal ob sie Symptome hat oder nicht. Und sie muss in voller Schutzmontur betreut werden, wie auch Corona-positive Intensivpatienten. Ein Facharzt aus einem oberösterreichischen Spital, der lieber anonym bleiben will, sagte ZackZack: „Die Intensivstationen sind die letzte Bastion, aber 95 Prozent des Geschehens spielt sich nicht dort ab.“ Der Kollaps des Gesundheitssystem hänge von mehr ab als nur der Situation auf den Intensivstationen. „Wir erholen uns seit Herbst nicht“, so der Arzt.
Dass die Corona-Kommission GECKO kommuniziert, dass es in den Spitälern kein Problem gibt, stößt das medizinische Personal vor den Kopf. An Zustände wie aktuell kann er sich aus der Zeit vor Corona nicht erinnern, sagte Adelsgruber gegenüber ZackZack. Auch während Grippewellen in der Vergangenheit sei die kritische Infrastruktur nicht so überlastet gewesen wie durch Corona. 2016/17 fiel er selbst wegen einer Grippe aus. Damals mussten nicht Stationen wegen Personalmangels geschlossen und OPs abgesagt werden, erzählte der Chirurg.
Akuter Personalmangel
Laufend fällt medizinisches Personal aus, weil es sich mit Omikron infiziert oder enge Kontaktperson ist. In den Krankenhäusern des Wiener Gesundheitsverbunds waren vor zwei Wochen 1.250 Mitarbeiter wegen einer Infektion, Kontakt zu Positiven, Schwangerschaft oder Risikoattest freigestellt. Mit Dienstag waren es schon 1.700. Nie gab es so viele Freistellungen, nicht in früheren Norovirus- oder Grippe-Wellen und auch nicht im Corona-Jahr 2021. Die Lage sei stabil aber angespannt, heißt es vom Gesundheitsverbund.
Während der Delta-Welle sei das Personal durch die Impfung gut geschützt gewesen, erzählt Adelsgruber. Aber wer Omikron bekommt, sei seiner Wahrnehmung nach nun häufig trotz Dreifachimpfung sieben bis zehn Tage „echt krank“. Viele Infektionen sind laut der Erfahrung von ZackZacks Quellen auf Corona-Fälle in Familien zurückzuführen sein und darüber hinaus auf die hohen Infektionszahlen in Schulen und Kindergärten. Laut einer weiteren Quelle, die im AKH arbeitet, ist das Gesundheitspersonal schon länger ein größeres Problem für das System als die kranken Patienten.
Stationen müssen geschlossen werden oder sind nicht voll belegbar. Wer vor Ort ist, leistet noch mehr Überstunden als sonst, um den Personalmangel auszugleichen. Lebensnotwendige OPs finden weiterhin statt, aber immer wieder müssen Eingriffe verschoben werden – entweder, weil Operateure ausfallen oder weil die Patienten selbst an Corona erkranken. Besonders immunsupprimierte Personen, etwa Krebspatienten, hätten es laut Adelsgruber schwer, zu ihrer üblichen Versorgung zu kommen, weil sie selbst immer wieder Corona-positiv sind.
Personal „hält das nicht länger aus“
Seit Beginn der Pandemie steht das medizinische Personal unter Dauerbelastung. „Nicht wenige halten das nicht länger aus“, weiß Peter Adelsgruber, der Spitalsärztevertreter in der Ärztekammer ist. Auch viele Junge, die an sich mit Motivation und Energie in den Beruf kämen, „packen das nicht mehr“. Laut einer Linzer Spitalsärztin, die ebenfalls mit ZackZack gesprochen hat, ist die Stimmung sehr schlecht, vor allem weil kein Pandemie-Ende in Sicht ist.
Wenn das so weitergehe, würde sich irgendwann niemand mehr für „diesen schönen Beruf“ interessieren. Man könne natürlich immer weiter versuchen, die Zitrone auszupressen, aber irgendwann sei sie eben ausgepresst, „das wünsche ich den Kollegen und Kolleginnen nicht“, so Adelsgruber.
Er fordert, dass die Regelplanung in Spitälern realistischer wird. Regelbetrieb bedeute ohnehin schon, am Limit zu planen. Besonders im ländlichen Bereich stoße man schnell an personelle Grenzen. Arbeitswochen von 50 Stunden und mehr sind laut Adelsgruber schon unter normalen Umständen Standard. Er fordert auch bessere Grundgehälter für das gesamte medizinische Personal. Das sei nötig, um die Qualität in den Krankenhäusern hoch zu halten und auch weiterhin hochqualifiziertes Personal zu haben.
(pma)
Titelbild: APA Picturedesk