Mittwoch, März 26, 2025

Die unglaubliche Flucht einer kirgisischen Regimekritikerin

Infolge einer gescheiterten Kidnapping-Aktion war die kirgisische Oppositionelle Leila Seiitbek nach Wien geflohen. Nach langem Kampf bekam sie Asyl – und Angst vor dem einstigen Schlepper. Das BFA kritisiert sie scharf.

22. März 2022 | Jahrelang kämpfte Leila Seiitbek dafür, mit ihrer Familie in Wien bleiben zu dürfen. Trotz eines gut begründeten Antrags drohte der Traum der Freiheit zu platzen. Doch der negative Asylbescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde erfolgreich bekämpft, Leila bekam Asyl.

Die positive Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist das vorläufige Ende einer unglaublichen Fluchtgeschichte. Sie beginnt im Kirgisistan vom mittlerweile inhaftierten Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew.

Flucht nach gescheitertem Kidnapping

Im Jahr 2016 ist Atambajew Präsident Kirgisistans. Er gilt als Putin-naher Sozialdemokrat, der das zuvor mit eiserner Hand regierte Land reformieren will. Kritiker sind skeptisch, sehen sie doch in den Reformen einen Versuch des Machtausbaus statt eine demokratische Stärkung. Auch an anderer Stelle bekommt der Präsident Gegenwind. Die Aktivistin Leila Seiitbek wirft Atambajew und seinen Parteifreunden Korruption vor. Konkret geht es um ein Projekt im Bereich des bezahlbaren Wohnens. Die Konditionen seien laut Seiitbek auf Reiche und Mächtige zugeschnitten, wie später im Magazin „The Diplomat“ zu lesen ist.

Die kirgisische Exil-Oppositionelle Leila Seiitbek. Bild zVg.

Ihre Kritik kommt schlecht an. So schlecht, dass über staatliche TV-Kanäle eine Schmutzkampagne gegen die Oppositionelle lanciert wird. Das Ehepaar Seiitbek spioniere im Auftrag der USA, heißt es in einer 30-minütigen „Reportage“. Ab jetzt sind die beiden Staatsfeinde. Doch dabei bleibt es nicht. Auf Drohungen aus den Reihen der Präsidentschaftskanzlei folgt ein gescheitertes Manöver bewaffneter Männer, die Seiitbek mit einem SUV abdrängen und ihren Wagen aufbrechen wollen. Nur der Verkehr durchkreuzt den Kidnapping-Plan. Die Familie taucht unter – und flieht nach Österreich.

Schlepper wegen schwerer Erpressung verurteilt

Hilfe bekommt Leila Seiitbek von K. K., einem laut ihrer Aussage professionellen Schlepper. Nach der Ankunft in Wien beginnt das nächste Kapitel der Geschichte. Denn plötzlich verlangt K. Geld – viel Geld. Erst 10.000 US-Dollar, dann 28.000, dann 80.000. Seiitbek lehnt ab, woraufhin K. K. die Regimekritikerin bedroht: ihre Mutter werde ihren gesamten Besitz verlieren und in Kirgisistan strafrechtlich verfolgt werden. Den Prozess werde sie nicht überleben. Auch dem Sohn werde etwas passieren. So steht es im Urteil gegen K., der schließlich am Straflandesgericht Wien wegen schwerer Erpressung (unter Setzung einer Probezeit) zu 16 Monaten bedingter und acht Monaten unbedingter Haft verurteilt wird.

Laut Seiitbek soll K. immer wieder nach Kirgisistan gereist sein, um dem Schleppergeschäft nachzugehen. „Einer der schlimmsten Fälle von Asylbetrug“, wie sie gegenüber ZackZack betont. Denn seit Jahren sollen K. und seine Familie Asylstatus in Österreich genießen, obwohl K. laut Seiitbek gar nicht in Gefahr sei. Freunde von Seiitbek hätten den Fall bei den Behörden gemeldet, doch es sei nichts passiert. Am BFA lässt Seiitbek kein gutes Haar: „Es handelt sich um eine Struktur mit sehr geringer Transparenz, die willkürliche und illegale Entscheidungen trifft. Die Mitarbeiter können oder wollen nicht zwischen echten und betrügerischen Asylanträgen unterscheiden und ziehen daher viele falsche Schlüsse“. Was sagt das BFA? Aus rechtlichen Gründen könne man keine behördlichen Auskünfte zu bestimmten Personen erteilen, heißt es auf Anfrage.

Angst vor Rückkehr Atambajews

Seiitbeks Wut auf das BFA liegt einerseits an Asylsuchenden aus Zentralasien, die sie als Menschenrechtsverteidigerin unterstützte. Andererseits auch am damaligen Negativbescheid gegen Seiitbek selbst. Begründung des Amtes: die Machtverhältnisse in ihrer Heimat Kirgistan hätten sich in der Zwischenzeit geändert, für die Familie sei es deshalb dort nicht mehr gefährlich. „Das stimmt natürlich so nicht“, sagt Seiitbek. Es handle sich lediglich um einen Postenwechsel, der sich zu einem Machtkampf entwickelt habe. Jahre nach Seiitbeks Flucht wurde Atambajew zu elf Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Vorausgegangen waren Unruhen im Zuge der Parlamentswahlen 2020.

Kirgisistans Ex-Präsident Almasbek Atambajew. Bild: APA Picturedesk.

Von seinen Unterstützern war Atambajew aus einem Geheimdienst-Knast befreit worden. Genau wie sein Widersacher Sadyr Dschaparow, dessen Tross Medienberichten zufolge auf Atambajews Auto geschossen haben soll – ein regelrechter Straßenkrieg um die Macht im Land. Seit Jänner 2021 ist Dschaparow Präsident, Atambajew sitzt im Häfn. Dschaparow, laut Seiitbek ein Mann mit „krimineller Vergangenheit“, ließ derweil per Verfassungsreferendum seine Macht absichern. Für die Kritikerin sei es keinesfalls sicher in Kirgisistan, sagt sie. Nach Jahrzehnten politischer Unruhen gilt das zentralasiatische Land als äußerst instabil. Für politische Aktivisten ist es laut Experten ungeachtet der jeweils amtierenden Regierung lebensgefährlich.

Hinzu kommt Atambajews Machtnetzwerk. Er gilt als Putin-Vertrauter. Nach Atambajews Verhaftung war international die Sorge gewachsen, dass der Kreml in den Kampf um die Macht in Kirgisistan intervenieren könnte. Doch auch der amtierende Präsident Dschaparow ist Moskau-treu. Der offiziell neutralen Position Kirgisistans zum Trotz, ließ er sich vor dem Krieg in der Ukraine zu einem pro-russischen Statement auf Social Media hinreißen. Über die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) sind Kirgisistan und Russland militärisch verbunden. Russland hat eine Militärbasis in der kleinen Stadt Kant, die etwa 50 Minuten von der kirgisischen Hauptstadt Bischkek entfernt ist.

Emotionale Appelle aus aller Welt

Mittlerweile arbeitet Leila Seiitbek in Wien bei der NGO Freedom for Eurasia. Jahrelange Angst vor Polit-Haft und Folter haben Spuren hinterlassen, aber jetzt ist die Regimekritikerin in Sicherheit, „dank der österreichischen Rechtsstaatlichkeit und Justiz, wo es noch möglich ist, sich zu verteidigen. Ein Luxus, für den wir in unseren Heimatländern in der ehemaligen Sowjetunion seit Jahrzehnten kämpfen und den wir immer noch nicht haben”, so Seiitbek. Die Oppositionelle verdankt ihren Status auch zahlreichen Unterstützern. ZackZack liegen einige Unterstützerbriefe von internationalen Professoren, Journalisten, NGOs und Menschenrechtsexperten vor.

Im Falle einer Rückführung nach Kirgisistan drohe Seiitbek „eine willkürliche Inhaftierung, ein unfaires Verfahren oder andere Misshandlungen (…), wenn sie nach Kirgisistan zurückgebracht wird“, heißt es zum Beispiel im Brief der renommierten NGO Freedom House. Teilweise sind die Briefe mehrere Seiten lang. Am Ende ein Segen für Seiitbek und ihre Familie.

(wb)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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