»Putins westliche Wegbereiter entlarven«
Zum russischen Vorgehen in der Ukraine schreiben Zeitungen am Donnerstag:
Wien/Kiew/Moskau, 21. April 2022 |
“Dagens Nyheter” (Stockholm):
“Die ersten acht Wochen des Krieges haben für den Kreml eine Reihe von Fehlschlägen beinhaltet. Truppen sind seit dem Rückzug aus der Gegend rund um Kiew in den Donbass verlegt worden, wo nun eine neue Offensive eingeleitet worden ist. Es handelt sich allem Anschein nach um Wladimir Putins Plan B, nachdem Plan A komplett gescheitert ist. Putin mag seine Strategie geändert haben, aber er hat nie damit hinter dem Berg gehalten, dass das übergeordnete Ziel und der Zweck des Krieges ist, eine russische Interessensphäre wiederherzustellen. Daran hat sich kaum etwas geändert. Plan B muss ebenfalls scheitern.”
“Irish Times” (Dublin):
“Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat zu einer Art Abrechnung geführt. Einzelne Personen und Parteien waren gezwungen, lange vertretene entgegenkommende Positionen zu verwerfen. Die französische Rechtsaußen-Führerin Marine Le Pen musste ihre engen Verbindungen zu Moskau herunterspielen. In Großbritannien wurde die Duldung des russischen Einflusses durch die Konservative Partei unhaltbar. In Deutschland werden die parteiübergreifenden Bemühungen der letzten zwei Jahrzehnte, sich mit dem russischen Autokraten zu arrangieren, nun als katastrophaler Fehler angesehen. (…)
Rechtfertigungen des Westens für Putin sind mittlerweile diskreditiert. Sie sollten die Bilder von toten Zivilisten in Butscha nicht überleben. Aber während der Krieg in der Ukraine in eine langwierige, zermürbende Phase eintritt und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nachlässt, wird es wichtiger denn je sein, Putins westliche Wegbereiter zu entlarven.”
“De Telegraaf” (Amsterdam):
“Die schrecklichen Bilder aus dem von Russland angegriffenen Land verfehlen auch in Deutschland nicht ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung. Der Gedanke, dass sich Deutschland wegen seiner schmutzigen Vergangenheit militärisch soweit wie möglich abseits halten sollte, ist nicht mehr populär. Das ist in der Zeit von Angela Merkel so gewesen, der man heute vorwirft, gegenüber Moskau zu schwach gewesen zu sein. Damit schien Olaf Scholz vor kurzem abzurechnen, als er in einer scharfen Rede erhebliche Investitionen in die Armee ankündigte sowie die Lieferung von Waffen an Kiew versprach. Doch auf die tatkräftig wirkenden Worte folgten eher wenige Taten.
Deutschland beziehungsweise Scholz scheint immer noch nicht zu wissen, was nun zu tun ist. Erst wollte man keine Waffen liefern und verhinderte sogar die Bereitstellung von Gefechtsmaterial durch NATO-Partner. Dann hieß es, Berlin würde große Mengen an Material liefern und es sollten auch Waffen kommen, aber das blieb recht vage. Es hilft den Umfragewerten der SPD nicht, dass an ihr der Ruf klebt, Deutschland von russischem Gas abhängig gemacht zu haben und dass davon nicht allein (Ex-Bundeskanzler Gerhard) Schröder profitiert haben soll.”
“La Repubblica” (Rom):
“Bei der Ukraine nimmt sich der Kanzler Zeit und blockiert alles und jeden mit der Feuerkraft von Europas Wirtschaft Nummer eins. Und vielleicht ist ‘scholzen’ ein Verwandter von ‘merkeln’, seiner Zeit auf Angela Merkel gemünzt. Kurzum ist es das Verb eines Deutschlands, das Europa beim Gasembargo und bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine, den Eckpfeilern der Antwort des Westens auf Putin, zurückhält, um seine eigenen Interessen nicht zu beeinträchtigen.
Berlin ist immer isolierter, während der Rest des Westens die Versorgung mit schweren Fahrzeugen beschleunigt, um die Ukraine nicht schutzlos in Phase zwei des Konflikts zu lassen, der Phase auf offenem Feld, für die großkalibrige Geschütze, gepanzerte Fahrzeuge und stärkere Waffen benötigt werden. 30 Länder, angeführt von den USA, helfen Kiew gerade mit Waffenlieferungen, darunter Deutschland, mit Maschinengewehren, Raketenabwehrsystemen und Flugabwehrraketen. Aber Berlins Veto hinsichtlich schwerer Waffen – entscheidend für die Verteidigung des Donbass – entwickelt sich gerade zu einer Affäre.”
“Neue Zürcher Zeitung”:
“Mit der russischen Offensive im Donbass sind für die Ukraine möglicherweise die entscheidenden Tage angebrochen. Vieles spricht dafür, das Land, wenn, dann jetzt mit vollem Einsatz zu unterstützen. Anderes spricht aus deutscher Sicht möglicherweise dagegen. So hat die Bundeswehr Zweifel, ob ukrainische Soldaten komplexe westliche Waffensysteme schnell genug bedienen und warten können. Wenn Olaf Scholz keine schweren Waffen liefern will, sollte er dies allerdings klar sagen und begründen.
Stattdessen versucht der Kanzler, sich durchzulavieren. Man kennt das von seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU). Auch deren vermeintlich weitsichtiges Krisenmanagement war in Wahrheit ein von Meinungsumfragen getriebenes Durchwursteln. Diese Methode war und ist mitverantwortlich für die missliche Lage, in der sich Deutschland und mit ihm der Rest Europas heute befinden. Wenn Scholz das nicht bald erkennt und entsprechende Taten folgen lässt, wird er den bereits lädierten Ruf der Bundesrepublik in der Welt weiter beschädigen.”
“The Independent” (London):
“In erster Linie will er Indien davon überzeugen, seinen Bezug von russischen Rohstoffen und Rüstungsgütern einzustellen oder zumindest zu reduzieren und damit die Finanzierung von Präsident Putins Kriegsmaschinerie zu beenden. Wenn China und Indien weiterhin wie gewohnt mit Russland Handel treiben und dort investieren und damit die von anderen Ländern verhängten Sanktionen praktisch zunichtemachen, wird der Wirtschaftskrieg gegen Russland entscheidend geschwächt und die Qualen der Ukraine werden verlängert.
Boris Johnson wäre vielleicht in einer besseren Position, wenn Länder wie Deutschland nicht weiterhin Erdgas in so großen Mengen kaufen würden. Und es ist schwer vorstellbar, wie er Indien davon überzeugen könnte, lebenswichtige Handelsinteressen für die Souveränität der Ukraine zu opfern.”
(apa/bf)
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