Dienstag, April 23, 2024

Zu erschöpft, um zu leben – Doku über ME/CFS-Betroffene will aufrütteln

Zu erschöpft, um zu leben

Kaum eine Krankheit gibt so viele Rätsel auf wie das chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Betroffene verschwinden dadurch aus dem Leben, können nur schwer auf sich aufmerksam machen. Ein Wiener Filmemacher will ihr tägliches Leid nun in einer Dokumentation sichtbar machen.

Wien, 26. April 2022 | „Eine Erschöpfung, die sich niemand vorstellen kann“ – so beschreiben Menschen, die an ME/CFS leiden, ihre täglichen Qualen. Es handelt sich um das Chronic Fatigue-Syndrome (dt. Chronisches Erschöpfungssyndrom). Betroffene, allein in Österreich wird ihre Zahl auf 30.000 geschätzt, können einfache Tätigkeiten des Alltags nicht mehr bewältigen. Kein Geschirrspüler ausräumen, kein Wäsche aufhängen, Stiegen steigen ist unmöglich. Die Erkrankten enden nicht selten im Rollstuhl, wirksame Therapien gibt es kaum.

Krankheit gibt noch immer Rätsel auf

“Bei vielen ist es so schlimm, dass sie im Prinzip gar kein Leben mehr haben, weil sie nur noch liegen”, sagt Filmemacher Peter Granqvist, der die Krankheit, die Neurologen weltweit noch immer vor ein Rätsel stellt, mit seiner Dokumentation “Die Stunden und die Ewigkeit” in den Vordergund rücken will.

Auch wenn sich der 46-Jährige Wiener in die Betroffenen nicht hineinversetzen kann, hatte er selbst 17 Jahre lang mit Schmerzen aufgrund einer neurologischen Krankheit zu kämpfen. Diese habe ihn nicht nur einmal aus der Bahn geworfen. “Ich kann nachvollziehen, wie es ist, wenn einem niemand helfen kann. Umso emotionaler ist meine Bindung zu ME/CFS-Betroffenen, die ich in meinem Film jetzt porträtieren möchte.”

“Diese Menschen müssen um alles kämpfen”

Obwohl ME/CFS seit 1969 von der WHO als neurologische Erkrankung eingestuft ist, ist sie kaum erforscht. Im ME/CFS-Report 2021 wird das Leitsymptom als “allumfassende körperliche sowie geistige Erschöpfung und Schwäche, die durch Ruhe nicht verbessert wird” beschrieben. Auslöser für die Krankheit sei meist eine virale oder bakterielle Infektion. So tritt ME/CFS immer wieder als Folge von Pfeifferschem Drüsenfieber, FSME oder Covid-19 auf. Letzteres ist auch der Grund, warum heuzutage wieder vermehrt über das Erschöpfungssyndrom gesprochen wird. Denn auch Long Covid kann ein Wegbereiter dafür sein, derartige Erfahrungsberichte häufen sich immer öfter.

Trotzdem würde die Krankheit von vielen Medizinern noch immer in die psychosomatische Ecke geschoben werden, kritisiert Granqvist im Gespräch mit ZackZack. “Es gibt viele Ärzte, die immer noch sagen, dass es keine physische, sondern eine psychische Erkrankung ist.” Spezialisten, die eine andere Meinung vertreten, würden nicht ernst genommen. Die verheerende Folge für Betroffene: eine falsche Diagnose, Versicherungen steigen bei Anträgen auf Rehabilitation oder einem Rollstuhl oft aus. “Diese Menschen müssen um alles kämpfen. Oft gehen sie mit nichts nach Hause”, so Granqvist, der für seinen Film den Alltag mehrerer Patienten beleuchten wird.

„Der Film soll ein Sprachrohr für diese Menschen sein. Er soll ihnen den Platz geben, den sie nicht haben. Sie sollen erzählen, von sich selbst, von ihren Problemen und wie die Krankheit ihr Leben verändert hat.“

Betroffene aus allen Altersgruppen

“Da wäre zum einen die alleinerziehende Mutter aus der Steiermark, die weder die finanziellen Mittel, noch die Energie hat, umzuziehen. Die Frau ist Ende 30 und lebt am Rande der Existenz. Ein Schicksal, das vor allem jenen Betroffenen blüht, die sowieso schon an der Armutsgrenze leben”, erzählt der Filmemacher vom Drehbuch. Oder der 40-jährige Grafiker, der an ME/CFS leidet und nun auch um seine Tochter bangen muss, weil auch diese nun erste Symptome zeige.

Eine 27-jährige Kindergärtnerin aus Niederösterreich sei durch ME/CFS komplett aus dem Leben gerissen worden, sei mittlerweile bettlägerig. “Ich habe auch mit einer betroffenen Fotografin gesprochen. Die kann heute nicht einmal mehr ihre Kamera halten.” Mit seinen Protagonisten hat Granqvist großteils über Soziale Medien Kontakt aufgenommen.

(Bild: Peter Granqvist)

Auch Vertreter der österreichischen Politik bat Granqvist um Stellungnahmen für seinen Film. Auf großen Widerhall ist er dabei aber nicht gestoßen, wie er meint. “Ich finde es traurig, dass in einem der reichsten Länder der Welt, mit dem an und für sich besten Gesundheitssystem, so viele Menschen ausgeschlossen werden. Ich glaube, wir bewegen uns generell gesellschaftlich in eine Richtung, die das Konzept des Wegsehens befeuert. Mit meinem Film will ich dazu beitragen, dass Menschen wieder vermehrt hinsehen, denn wir brauchen einander.”

(mst)

Die Dreharbeiten für “Die Stunden und die Ewigkeit” starten im Mai. Gemeinsam mit seinem Kollegen Lukas Swatek wird Peter Granqvist den Film in Österreich und Deutschland realisieren. Derzeit kämpfen die beiden noch um Föderungen für ihr Projekt. Hier können auch Sie die Filmemacher finanziell unterstützen.

Titelbild: Full Frame Films

Markus Steurer
Markus Steurer
Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.
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5 Kommentare

  1. Gut, dass das thematisiert wird….. Es fehlen immer noch die dazugehörigen Fakten…..bzw fehlen diese nicht, sie werden der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Allen voran der FAKT, dass unser momentane Lebensweise und unsere momentane “Normalität”, eine Zumutung sind für unsere Nebenniere, die für diesen Wahnsinn nicht geschaffen ist….

    Weitere Infos unter “Dr. Hans Seyle”, “Nebenniere” und “Stress” googeln bzw. “Ecosia” – sieren…. und es ist nicht wahr, dass es zur Rolle der Nebenniere “keine Forschung” gibt.

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