Interview mit Fritz Hausjell
SLAPP-Klagen gegen ZackZack & Co, Inserate, Intransparenz: Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, erklärt die Gründe für den 14 Plätze-Absturz Österreichs in der weltweiten Pressefreiheitsrangliste.
Wien, 02. Mai 2022 | Österreich stürzt dramatisch im weltweiten Pressefreiheitsranking ab. 14 Plätze schlechter als im Jahr zuvor, rangiert man jetzt auf Platz 31. ZackZack sprach mit Ao Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell. Er ist Medienwissenschaftler am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien. Hausjell ist einer der renommiertesten Medienexperten des Landes.
(Bild: zVg)
ZackZack: Österreich stürzt um 14 Plätze auf Rang 31 des Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RoG) ab. Wie ist aus Ihrer Sicht dieser Niedergang zu erklären? Welche Faktoren waren ausschlaggebend?
Fritz Hausjell: Dieser ganz starke Niedergang ist einem inzwischen schwer gefüllten Rucksack aus ganz vielen Elementen, die den freien Journalismus in Österreich bedrängen, geschuldet. Es hat ein wenig auch damit zu tun, dass RoG nach 20 Jahren sein System verbreitert hat, dass neben den die Pressefreiheit behindernden Merkmalen, auch diejenigen berücksichtigt werden, die fehlen, um beispielsweise Vielfalt im Journalismus zu entwickeln. Auch der digitale Bereich ist breiter berücksichtigt als in den früheren Rankings. Aber das ist nicht die Haupterklärung für diesen dramatischen Verlust an Plätzen. Im Jahr 2021 sind sehr viele Dinge offen sichtbar geworden, die die Pressefreiheit in Österreich beeinträchtigen.
ZackZack: Um welche handelt es sich? Es wird ja in der Analyse von RoG auch auf Angriffe auf Journalisten im Zuge der sogenannten Corona-Demos eingegangen. Welche Gründe gibt es noch?
Hausjell: Dass sich die Polarisierung der Gesellschaft im Zuge der Covid-19-Pandemie auf den Journalismus ausgewirkt hat, ist ein Thema. Kein vorrangiges, aber eines unter vielen, also insbesondere, dass hier einerseits von Rechtsextremen und anderen Impfgegnern Angriffe auf Journalisten ausgeübt worden sind. Andererseits aber auch, dass die Polizei nicht immer ausreichend dafür gesorgt hat, die Journalisten bei ihrer Arbeit zu schützen.
Es gibt aber gravierendere Punkte. Etwa der Versuch, durch Einschüchterungsklagen, den sogenannten SLAPP-Klagen, Medien wie ZackZack mundtot zu machen. Das ist sehr gewichtig und wird ja auch mittlerweile auf EU-Ebene als großes Problem thematisiert. Vonseiten der Regierung sind keine Aussagen hinsichtlich Rückendeckung für Medien bekannt, was wohl auch damit zu tun hat, dass diese Klagen von Leuten aus dem Wirtschaftsbereich kommen, die der türkisen Regierungspartei nahestehen.
Es gibt auch alte Punkte, die einfach nicht gelöst sind. Im Bereich der Printmedien haben wir eine sehr überschaubare Vielfalt mit nur 14 Tageszeitungen. Die älteste noch erscheinende Tageszeitung, die Wiener Zeitung, ist zudem von der Einstellung bedroht. Hinzu kommt, dass viele dieser 14 Tageszeitungen auf der Eigentümerebene stark verflochten sind. Die auflagenstärksten Medien sind Boulevardzeitungen, was im Zusammenhang mit der veralteten Medienförderung eine Rolle spielt: diese Presseförderung ist seit vielen Jahren nicht nur zu niedrig, sondern fördert die stärksten am Markt am kräftigsten. Das ist keine sinnvolle Praxis.
ZackZack: Stichwort Medienförderung. Mit der ÖVP-Inseratenaffäre wurde wie im Brennglas deutlich, wohin die Abhängigkeit der Medien von der Politik führt. Der Printmarkt wird stark gefördert, die neue Onlineförderung ist eigentlich keine, da sie den Onlineauftritt der Printzeitungen fördert und nicht explizit Onlinemedien. Das zementiert den Status Quo. Ist denn überhaupt ein Sinneswandel in Medien und Politik erkennbar?
Hausjell: In der Politik war bisher ein Sinneswandel nicht offensichtlich, zumindest nicht in der Politik der beiden von Sebastian Kurz geführten Regierungen. Es hat allerdings zum Beispiel von der SPÖ eine starke Kritik am neuen Digitalförderungspaket gegeben. Der Gedanke, jene Medien, die in anderer Form bereits erscheinen, in die digitale Welt zu transformieren, ist an sich richtig, ignoriert aber völlig, dass es auch rein digitale Medien gibt. Diese sind selbstverständlich auf einem kleinstaatlichen Medienmarkt auch gefordert, doch dieser Problematik hat die Regierungspolitik bisher nicht angegangen. Wenn man hochqualitativen Journalismus haben will, ist es ja weniger ein Problem des Vertriebsapparates, obwohl man den bei digitalen Medien nicht unterschätzen darf. Aber die Hauptkosten sind die Personalkosten der Redaktion. Die klassische, viel zu niedrige und zu wenig Qualitätsaspekte berücksichtigende Presseförderung wird zugleich durch ein anderes Phänomen, nämlich öffentliche Inserate ein gutes Stück konterkariert. Die Steuerung des Journalismus, die über Regierungsinserate geschieht, ist meines Erachtens längst hochproblematisch geworden. Sie hat zum einen eine Größenordnung, nämlich ein Mehrfaches der Presseförderung, erreicht. Und die Regierung vergibt sie nach nicht nachvollziehbaren Kriterien. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass regierungsfreundliche Medien sehr viele Regierungsinserate bekamen und bekommen, während journalistisch ordentlich geführte Medien deutlich weniger und mitunter gar nichts vom Werbekuchen der Regierung bekommen. Da werden zwar nun im Zuge der aktuellen Medienpolitikdebatten Änderungen versprochen, aber es gibt bis jetzt kein favorisiertes Lösungsmodell seitens der Regierung. Alle von wissenschaftlicher Seite eingebrachten Vorschläge hat die Regierung bisher nicht kommentiert.
ZackZack: Apropos Regierung: Wie wird Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) eigentlich in Medienexpertenkreisen wahrgenommen? Viel hört man ja nicht von ihr.
Hausjell: Ja, das ist richtig, sie ist seit ihrer Amtsübernahme sehr sparsam und zurückhaltend bei medienpolitischen Themen. Ich würde ihr das jetzt noch nicht negativ anlasten. Sie kam unbeleckt in diese Position, was freilich auch ein Vorteil sein kann. Dass aber in ihrem mit Kompetenzen inzwischen üppig ausgestatteten Ministerium auch der für Medienpolitik zuständige Beauftragte Shilten J. Palathunkal ähnlich uninformiert gestartet ist, verstört doch ein wenig. Was mich aber mehr als verstört, ist die Art und Weise, wie die Sondierungen mit den verschiedenen Stake- und Shareholdern der Medienszene vonstatten gingen und gehen: Die Beratungen erfolgten unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Verschwiegenheitspflicht. Das sind doch eher feudalistische Züge und eigentlich einer liberalen Demokratie nicht würdig, außer man würde jetzt im nächsten Schritt eine breite öffentliche Debatte führen. Das zeichnet sich derzeit aber nicht ab. Angesichts dessen, was in den vergangenen Jahren durch die journalistischen Recherchen einerseits und die Erhebungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft andererseits evident geworden ist, erscheint mir das im Ministerratsvortrag formulierte Regierungsprogramm im Bereich Medienpolitik nicht ausreichend, um zu einer angemessenen Problemlösung zu kommen.
Ein besonderer Punkt ist hierbei der öffentlich-rechtliche Rundfunk: Durch die Aufdeckung der geheimen Sideletter zu den Regierungsvereinbarungen zwischen zunächst ÖVP und FPÖ und dann zwischen Türkis und Grün sind einige garstige Dinge offenbar worden, zum Beispiel die ausschließlich politisch begründeten Postenbesetzungen im ORF. Andere geplante Dinge sind uns ja zum Glück durch das Ibiza-Video und das verfrühte Ende von Türkis-Blau erspart geblieben: nämlich die Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget und damit die noch stärkere Steuerung des ORF durch Regierungen. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Menschen, der jetzt hinter Gittern büßen muss, aber hoffentlich noch ein gerechtes rechtskräftiges Gerichtsurteil bekommt.
Zurück zum ORF: Ich kann mich noch gut an die Medienenquete des damaligen Medienministers Gernot Blümel (ÖVP) im Juni 2018 im Museumsquartier erinnern. Man hat uns dort schlicht verarscht. Es war von vornherein alles zwischen ÖVP und FPÖ in einem Sideletter ausgemacht, einzig die FPÖ hat zumindest halbtransparent klargemacht, wo sie steht. Das für diese Enquete ausgegebene Geld war einzig und allein ganz viel Sand in die Augen der dort vertretenen Fachleute.
ZackZack: Sie haben Julian Hessenthaler angesprochen. Die Situation für investigativen Journalismus ist besonders schwierig. Whistleblower leben gefährlich, Österreich weigert sich bislang, eine entsprechende EU-Forderung für ein Whistleblower-Gesetz umzusetzen. Wie kann man dem beikommen?
Hausjell: Indem es einen möglichst breiten Druck seitens der Zivilgesellschaft auf die Regierung gibt. Indem möglichst viele Medien selbst diesen Druck verstärken und artikulieren, warum es so wichtig ist, im Bereich der Korruptionsbekämpfung und -vermeidung Whistleblower zu schützen. Auch die Justiz ist ein Stück weit davon abhängig, ob es mutige Menschen gibt, die bereit sind, über Dinge zu reden, die rechtlich nicht korrekt sind und in den Bereich der Korruption fallen. Wobei man dazu sagen muss, dass in Österreich manche Dinge gesetzlich nicht wirklich gut als Korruption definiert sind, aber offensichtlich Korruption sind. Daher braucht es zur Stärkung der Korruptionsverfolgung entsprechende Maßnahmen. Wir haben ja auch gesehen, dass es im Bereich der Justiz lange ein System gab, das dafür gesorgt hat, dass offensichtlich viele Dinge vonseiten der Justiz nicht weiterverfolgt worden sind.
Das ist ja auch der Grund dafür, dass journalistische Medien rechtliche Privilegien haben, wie eben das Redaktionsgeheimnis. Ein weiteres Privileg ist zu schaffen, nämlich ein umfassender Whistleblower-Schutz, eine Lösung wie zum Beispiel in Schweden erscheint mir längst fällig. Hanno Settele hat dazu letzten Mittwoch eine erhellende „dok1“-Reportage auf ORF1 geboten (die leider nur mehr bis diesen Mittwoch in der ORF-TVThek zu sehen ist).
ZackZack: Eine Frage zum Ranking selbst. Österreich liegt hinter Trinidad Tobago und Namibia, aber vor Spanien. Wie ist denn das zu erklären? Immerhin ist Spanien ja eine EU-Demokratie.
Hausjell: Ich glaube, das überrascht uns aus mehreren Gründen. Auf der einen Seite, weil wir journalistisch noch nicht sehr hellsichtig auf die Länder anderer Kontinente, etwa Afrika, blicken. Daher empfinden wir derartige Entwicklungen naturgemäß als Überraschung. Es sollte übrigens Auftrag für uns im Journalismus sein, solche Befunde journalistisch genauer auszuleuchten. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen, dass sich manche Entwicklungen im Ranking nunmehr besser abbilden. Das Ranking unterscheidet nun fünf inhaltliche Säulen, die für Behinderung und Ermöglichung von journalistischer Freiheit wesentlich sind: Das politische Umfeld, die rechtlichen Rahmenbedingungen, die ökonomischen Bedingungen, der soziokulturelle Kontext und schließlich die Frage der Sicherheit von Leib und Leben der handelnden Journalisten. Zudem werden im nunmehr erstellten 20. Weltindex der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen neben den Verhältnissen in den klassischen Medien auch die digitale Medienwelt stärker als bisher berücksichtigt. Im Baltikum etwa sehen wir große Fortschritte hinsichtlich der Medienpolitiken im Bereich der digitalen Welt. Das am stärksten abgefallene Land Europas im Vergleich zum Vorjahr ist übrigens die Niederlande. Die Ermordung des Journalisten Peter de Vries war hauptverantwortlich für ein ganz starkes Abrutschen im Ranking.
Zum Schluss noch einmal zurück nach Österreich. Wer meint, wir hätten diesen Absturz um 14 Plätze nicht verdient, soll sich mit der Frage konfrontieren: Erfahren wir beispielsweise in den Medien über alle Interventionen von manchen Politikern? Wenn Regierungsinserate Redaktionen mitsteuern, sorgt doch wohl die Schere im Kopf von Journalisten dafür, dass wir als Mediennutzer nur einen Teil der Verhältnisse erfahren. Mit radikal kritischem Medienjournalismus über die Vorgänge hinter den Medienkulissen könnte der Journalismus sich freilich gegen einen weiteren Verlust an Freiheit zur Wehr setzen und zugleich das Vertrauen des Publikums nicht verspielen. Denn das ist und bleibt die wesentliche Grundlage für Erfolg von journalistischen Medien.
ZackZack: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Benjamin Weiser
Titelbild: APA Picturedesk