Donnerstag, April 25, 2024

Julya Rabinowich – Skylla & Charybdis – Serenissima

Skylla & Charybdis

Es muss Lichtblicke geben. Wenigstens kleine. Es muss dieses Davonstehlen geben, das Herausreißen innigster Momente, die wieder daran erinnern, dass man lebt. Gerne lebt. Trotz allem.

Julya Rabinowich

Wien, 04. Juni 2022 |

Manchmal muss es eine Pause gebe, einen Notausstieg, einen Ausbruchsversuch aus der harschen Realität. Aus der Begrenzung. Aus dem fassungslosen Erstaunen, nein, Erstarren, das die Inlandspolitik auslösen kann. Aus dem ahnungsvollen Luftanhalten, dass die Auslandspolitik verursacht. Aus dieser Mischung zwischen „Wir werden der Hitze zum Opfer fallen“ und dem „Oder Putin fällt etwas Schnelleres ein, das nicht nur die jüngeren Generationen betrifft“.

Es muss Lichtblicke geben. Wenigstens kleine. Es muss dieses Davonstehlen geben, das Herausreißen innigster Momente, die wieder daran erinnern, dass man lebt. Gerne lebt. Trotz allem. Wind im Gesicht spürt. Erde unter den Fußsohlen. Einen kräftigen Espresso auf der Zunge. Den Geschmack von frisch gebratenem Fisch. Oder einer zarten Panna Cotta oder einer alkoholschwangeren schwersüßen Rum-Baba. Und dann, als Krönung die Zeit, die man mit Beobachten, Nachdenken und Nachempfinden verbringen darf. Dort, wo Kunstschaffende ein internationales Zusammenkommen und die Besuchenden die Begegnung feiern: in Venedig, bei der Biennale.

Letztes Mal wurde sie wie so vieles andere abgesagt. Vorletztes Mal hatte ich es nicht mehr rechtzeitig hingeschafft. Aber dieses Jahr! Dieses Jahr musste sein. Die Biennale bietet ein Herausfallen aus aller Routine, einen erneuerten Blick. Auch noch im Widerspruch, auch im Unverständnis wartet etwas, das gelernt oder erkannt werden will. Gestohlen hatte ich mir nur zwei Tage, und die waren zu kurz, um die ganze Bandbreite zu verarbeiten. Ich verließ mich also auf mein Glück und zwei Tipps von befreundeten Künstlerinnen und suchte den französischen Pavillon auf. Dort hat die Fotografin und Videokünstlerin Zineb Sedira ein Filmstudio und einen Kinosaal eingerichtet und einen mit dem Autobiografischen spielenden Film-Essay über das Kino, die Musik und den Tanz präsentiert.

Danach den polnischen Pavillon, wo dieses Spiel mit dem Autobiografischen in eine ganz andere Richtung ausschlägt: Die Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas bespielt den Raum, um auf eine exzellente Weise die Geschichte und Fremd- und Selbstwahrnehmung der Roma und Romni aufzuarbeiten – in Kollagen auf Stoffbahnen, in Übersetzungen alter Kupferstiche, in Porträts von Frauen, die sie für wichtig und prägend befunden hatte, unter ihnen auch ein Bildnis von Ceija Stojka. Im japanischen Pavillon erwartete mich im Gegensatz zu dieser farbenprächtigen Üppigkeit die totale Enthaltsamkeit: ein rotes Leuchtschriftband in leerem, dunklem Raum, das in seiner Verschwommenheit und Schnelligkeit auch bei heftigem Bemühen nicht entschlüsselbar war. Vielleicht ein Verweis auf das beständige Hinterherhetzen des Informationszeitalters. Immerhin heißt das Kollektiv hinter der Installation Dumb Type. Und wer Manga-artige Science-Fiction, gengespliced mit fragilen Glasinstallationen eines Steam-Punk-Universums schätzt, wird sich im koreanischen Pavillon bei Yungchul Kim sehr heimisch fühlen.

Wobei, wenn man diesen Steampunk und jene Splicerei zu Ende denkt, und den Titel der Ausstellung „In the infinite cycles of creation and extinction, it gyrates and descends“ auch auf sich einwirken lässt, ja alle diese Stimmungen wieder über einen hereinbrechen, denen man in Venedig erst entkommen wollte – die Zukunft wartet nicht. Auch wenn man sich verstecken, auch wenn man eine kurze Auszeit vor ihr schaffen möchte.

Titelbild: ZackZack

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6 Kommentare

  1. tip:
    beim nächsten venedig besuch unbedingt harrys-bar besuchen.
    aber untertags ohne viele leute.
    steh ich drauf.

      • wir waren vor der pandemie im november – und hatten sogar gummistiefel fürs hochwasser eingepackt – und was war? eine woche strahlender sonnenschein mit gartensitzen bis zum heimgehen 🙂

  2. Die Serenissima mag ja als Touristenfalle verschrien sein. Ich liebe Venedig. Oft 2x im Jahr für 2-3 Tage . Mir wird da einfach nie langweilig.
    Diese Stimmung gibt’s nur da.

  3. Liebe Frau Rabinowich, für diesen Artikel, für Venedig und besonders für Sie 💐🌹⚘

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