Freitag, März 29, 2024

Ausgerechnet: Wohnen – der Preistreiber der Vielen

Ausgerechnet:

Seit Monaten ist die Inflation in aller Munde. Ein essenzieller Preistreiber wurde aber jahrelang kaum beachtet: die Wohnkosten.

Alexander Huber

Wien, 11. Juni 2022 | Vor allem Mietpreise legen seit Jahren konstant zu. Die privaten Mieten stiegen seit 2010 um mehr als die Hälfte, das allgemeine Preisniveau lediglich um ein Fünftel. Das trifft vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen: Im ärmsten Fünftel fließt die Hälfte der Ausgaben in die Deckung der Grundbedürfnisse. Ausgerechnet dort sind die Preise aber konstant stärker gestiegen als im Durchschnitt. Ärmere Haushalte sind also stärker von der Teuerung betroffen.

Mieten steigen stärker und schneller

Das gilt auch bei den Wohnkosten: Sechs von zehn Menschen im untersten Einkommensfünftel wohnen zu Miete. Die akute Teuerung sorgt gerade dafür, dass Mietanpassungen höher ausfallen, oder in kürzeren Abständen erfolgen. Die staatlich festgelegten Richtwertmieten für Alt- und Gemeindebau wurden heuer bereits um fast sechs Prozent erhöht. Mietverträge in Neubauten haben oft eine „Wertsicherungsklausel“ eingebaut. Sie bewirkt, dass auch hier die Miete regelmäßig an die Inflation angepasst wird. Da die Preise derzeit so schnell steigen, droht vielen Mieter:innen demnächst bereits die zweite Mieterhöhung innerhalb weniger Monate.

Gleichzeitig befeuern die steigenden Mieten die Teuerung noch weiter: Mit knapp fünf Prozent haben Mieten ein hohes Gewicht im allgemeinen Warenkorb, über den der Verbraucherpreisindex berechnet wird. Damit treibt eine kräftige Mieterhöhung auch die Inflation entsprechend an. Diese ist dann aber wiederum die Grundlage für die nächste Mieterhöhung. So setzt sich ein sich selbst verstärkender Kreislauf in Gange, die Miet-Preis-Spirale: Eine Mieterhöhung bestimmt bereits die nächste.

Mieten verteilen von unten nach oben um

Die steigenden Energiepreise bezahlen Mieter:innen gleich doppelt: Zum einen mit ihren höheren Energierechnungen, zum anderen über die Mieterhöhungen. Über letztere werden Vermieter:innen für Energiekosten kompensiert, die am Wohnobjekt selbst hauptsächlich bei den Mieter:innen anfallen.

Wer die Teuerung trägt, ist nur ein Aspekt der Verteilungsdimension des Wohnens. Hohe Wohnkosten reduzieren das real verfügbare Einkommen drastisch – allerdings vor allem bei jenen, die ohnehin wenig haben. Zieht man sämtliche Kosten, die mit dem Wohnen einhergehen ab, bleibt gerade für Haushalte mit niedrigen Einkommen kaum Geld übrig, um andere Dinge zu bezahlen. Im ärmsten Zehntel bleiben nach Abzug der Wohnkosten nur noch 20 Prozent des Nettoeinkommens über. In der Mitte sind es immerhin 75 Prozent, dem reichsten Zehntel bleiben 88 Prozent des Einkommens.

Ärmere Haushalte sind also einerseits über die Ausgabenseite stärker durch Wohnkosten belastet. Andererseits bewirken Mieten auch auf der Einnahmenseite eine Umverteilung von unten nach oben. Nehmen wir an, in Österreich gäbe es nur fünf Menschen: Die ärmeren vier nähmen zusammen im Monat 77 Millionen Euro an Mieteinnahmen ein. Die fünfte Person allein hingegen 180 Millionen – mehr als doppelt so viel als die anderen vier zusammen. Monat für Monat wird also das verfügbare Einkommen – das ohnehin schon ungleich verteilt ist – von unten nach oben geschaufelt.

Politik sollte Mut beweisen und Mieter:innen entlasten

Die Teuerung ist hoch, gerade ärmere Haushalte leiden darunter enorm. Es wäre also an der Zeit, dass die Politik endlich effektiv gegen die explodierenden Mietpreise vorgeht. Ein erster Schritt soll die Neuregelung der Makler:innenprovision sein. Das würde insbesonders jungen Menschen helfen, die häufiger umziehen und umgerechnet 42 Euro im Monat für die Vermittlungsgebühr bezahlen müssen. Im Gesetzesentwurf vermisst man allerdings die entscheidenden Passagen, die Schlupflöcher stopfen würden – über sie könnte die Provision doch noch den Mieter:innen aufgebrummt werden.

Über eine Leerstandsabgabe wollen die Länder Druck aus dem Mietmarkt nehmen. Hier hängt jedoch alles an der Höhe einer solchen Abgabe und der Ausgestaltung der Ausnahmen. Um der Spekulation am Wohnungsmarkt entgegenzutreten, sollten vor allem große Immobilienkonzerne, die rein an der Wertsteigerung eines Objektes interessiert sind, zur Kasse gebeten werden. Dass eine Leerstandsabgabe nicht alle Probleme am Wohnungsmarkt löst, ist klar. Ein wichtiger Teil der Lösung wäre sie allemal.

Unmittelbar steigen die Mietkosten vor allem aufgrund der Richtwert-Anpassungen und Wertsicherungsklauseln. Statt Mieten mit dem Verbraucherpreisindex, der in die Höhe schnellt, anzupassen, könnte man Maßstäbe wählen, die um die stark schwankenden Energie- und Treibstoffpreise bereinigt sind – etwa die Kerninflation. Um die Gefahr einer Miet-Preis-Spirale zu bannen, rechnet man optimalerweise zusätzlich den Beitrag der Mieten zur Inflation heraus.

Um nachhaltig die Umverteilung von unten nach oben durch Wohnkosten einzudämmen, sollte die Politik mehr Mut beweisen. Seitens der Vermieter:innen-Lobbies und Immobilienkonzerne würde man auf Gegenwind stoßen. Letztlich geht es beim Thema Wohnen aber um ein Grundrecht. Gesamtwirtschaftlich jedenfalls würde sich eine Entlastung der Mieter:innen lohnen. Aus sozialer Perspektive ist sie sogar überfällig.

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Alexander W. Huber ist Experte für Inflation und Sozialstaat am Momentum Institut. Er beschäftigt sich mit sozialen und räumlichen Ungleichheiten, Steuerthemen und den Kosten des täglichen Lebens. Studiert hat er Volkswirtschaft an der WU Wien.

 

Titelbild: APA Picturedesk

Benedikt Faast
Benedikt Faast
Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.
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19 Kommentare

  1. Die Anleihekaufprogramme der EZB sind in erster Line bei den reichsten zehn Prozent angekommen. Was haben die mit dem Geld gemacht? In Immobilien und in Aktien investiert – beides Assets, deren Preise in den letzten Jahren durch die Decke gegangen sind.

    Wirksames Mittel dagegen: kräftig Steuern einheben: für den Hauptwohnsitz fallen keine Steuern an, aber für diverse Nebenwohnsitze und spekulativen Immobilienbesitz zahlen jene dann dreißig Prozent und mehr Steuern dafür. Würde mich wundern, wenn das die Preise nicht wieder stabilisiert.

  2. Wenn man bereits an der wirtschaftlichen Position von Partei-Spendern ableiten kann, wohin eine Gesetzeslage genau (hin-)verteilt und wen sie belastet, dann liegt wohl darin die Ursache dafür. Zumindest hat es den berechtigten Anschein und da bereits ein solcher das Vertrauen in die Demokratie zerstört, handelt es sich schon an dieser Stelle um ein Sachargument. Stellst sich zudem heraus, dass Interventionen und Gesetzeskauf kausal dafür war, wird der Müll aufzuheben sein und könnten Geschädigte versuchen, sich schadlos zu halten. Nicht zuletzt ist das passive Wahlrecht der Betroffenen als ungleich zu qualifizieren im Vergleich zu den Spendern.

    Vielleicht sollte man endlich einmal versuchen, so zu argumentieren damit das ein Ende haben kann?

    • Das Privatgeld (auch von Lobbyisten, die Sachleistungen oder Studien zur Verfügung stellen) stellt, wenn es um öffentliche Belange geht, für eine Demokratie ein ernstes Problem dar.

      • Ich sehe (leider!) nur die Möglichkeit, die Opfer – nämlich fast jeden anderen – durch zielgerichtete Vertretung “aufzurüsten” und zwar systematisch, da ansonsten alles andere, alles Gute und Bewährte, mitcrashen kann/(dürfte?).

  3. Die selbernannten ExpertInnen? vom Momentum Institut muss man ja mit viel Vorsicht genießen.
    Herr Huber hat diese Thematik ganz gut zusammen gefasst. (Fr. Blahah ist auch alles andere als schwach) Soviel Input in einem kurzen Artikel. Hat der Herr in Kombo mit dem Journalisten in diesem Fall sehr gut gemacht.

    Einzig über die Leerstandsabgabe kann man diskutieren. In diesem Fall würde sich auch mal ein örtlich begrenztes Experiment anbieten (ideal Graz; geschätzt ca. 1/3 Leerstand; BM Elke Kahr).

    Dass die Grün Schwarzen Lobbyisten der Reichen die Indexerhöhung von 6% durch winken war eh klar. Den Wiener Weg verstehe ich hier nicht. 2% Erhöhung hätte es auch getan.

    Was mir noch fehlt ist leistbares Eigentum. Im Mai hat es hier eine massiven Preisschub auf dem Immobilienmarkt gegeben.
    Im Wiener Markt haben wir in den letzten 3 Jahren, dank unnützer Maßnahmen eine jährliche Assetpriceinflation von ca. 25% vor Steuern gehabt. Also 3x 25%. KV Erhöhung 6% ist da ein Hohn.

  4. Diie zunehmende Nachfrage erhöht den Preis. Mieterträge werfen in Relation zum eingesetzten Kapital nur geringe Erträge ab, sind dafür aber eher krisensicher. Mit geringeren Mieterträgen können weder neue Wohnflächen finanziert, noch Altbauten saniert werden. Wenn das ginge, würde das Sozialbauamt zum halben Preis bauen und vermieten, kann es aber nicht.

    Die Ursachen für die steigenden Mietpreise liegen aber tiefer. Grund und Boden für Wohnbauprojekte werden augrund der Verknappung überproportional teurer – am Schluss wird man um 1 Mio. keinen m² mehr bekommen. Die Baustoffe werden durch die zunehmende Verknappung und steigende Lohnkosten immer teurer. Die Arbeitskosten werden durch steigende lohnabhängige Abgaben und immer kürzere reale Arbeitszeiten immer teurer.

    • Im Endeffekt läuft es immer auf die Verknappung von Grund und Boden und der Rohstoffe hinaus, sowie auf den zunehmenden Kostendruck bei den Löhnen. Zumindest für die Verknappung ist der Bevölkerungszuwachs verantwortlich

  5. Zwei Faktoren werden kaum besprochen: airbnb hat mit seinem Geschäftsmodell die Wohnungsnot verschärft. Durch airbnb konnten “Vorsorgewohnungen” weiteres Geld abwerfen, während sie faktisch leer standen. 2008, nach dem Platzen der Immobilienblase, hat der Kreml erkannt, dass sich nun die strategische Chance bot, in Nordamerika und Europa groß einzusteigen. Dies geschah über Oligarchen, die in Immoblienfonds einstiegen oder welche gründen ließen. “Der Westen” war schwach und schaute auch beim Weißwaschen von Geld nicht so genau hin, um die Geldmenge hochzuhalten. Die Mieten zogen an. Aber das Geld fließt nicht nur von unten nach oben, sondern auch von innen nach außen.

    Kriegt man das Oligarchengeld auch wieder aus dem Markt raus? Das würde die Immobilienpreise drastisch senken. Wahrscheinlich abrupt sogar. Den Kreml freut es, denn es gibt Unruhen, wenn die Mieten nicht bezahlbar sind und gleichzeitig hindert uns die Angst vor einem Einbruch etwas dagegen zu tun.

  6. GIS
    Verdrei(vier)fachung des Gaspreises
    Fette Mieterhöhungen

    In Wien

    Parkpickerl
    Müll, Kanal, Kaltwasser
    Verdoppelung des Heiz- und Warmwasserpreises

    Und das alles auf einmal und alles für uns.
    Und zwar recht erbarmungslos (hie und da ein paar der Zeit hinterher hinkende Maßnahmen, die sich somit recht rasch egalisieren).

  7. “Wenn sie sich keine Miete leisten können, sollen sie halt Wohnungen kaufen!”

    hat er gesagt.

    ich sag:
    wenn wir uns diese regierung nicht mehr leisten können, sollten wir sie zum teufel jagen.
    mit nassen fetzen.

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