Freitag, April 19, 2024

Großbritannien: Gericht stoppt Massenabschiebung in letzter Minute

Großbritannien:

Ein Flugzeug, das Migranten aus London nach Ruanda bringen sollte, wurde vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in letzter Minute gestoppt.

 

London, 15. Juni 2022 | Seit dieser Woche ist in Großbritannien ein Gesetz in Kraft, das die Abschiebung von illegal eingereisten Geflüchteten nach Ruanda vorsieht, ZackZack berichtete. Der erste Transfer von Geflüchteten sollte am Dienstagabend über die Bühne gehen.

Das Flugzeug für ursprünglich 130 Menschen war von der britischen Regierung bereits bezahlt worden. Nachdem mit einer Flut an Klagen in den letzten Tagen erfolgreich gegen die Massenabschiebung vorgegangen war, blieben bis Dienstagabend nur noch sieben Menschen übrig, die in den Flieger nach Ruanda steigen sollten. Doch es kam anders.

Menschenrechtsgerichtshof mit Last-Minute Veto

Nach einer historischen Intervention des europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) musste die Maschine schließlich ganz am Boden bleiben. Der Beschwerde eines 54-jährigen Irakers wurde stattgegeben. Das Urteil des EGMR zwang die britische Regierung, den Zwangstransfer nach Ruanda in letzter Sekunde abzublasen.

Der Gerichtshof begründete sein Urteil mit Regel 39, die eine spontane und dringende Überbrückungsmaßnahme vorsieht, wenn jemandem ein irreparabler Schaden droht. Der EGMR beruft sich nach Eigenangaben nur in äußersten Ausnahmefällen auf diese Regel. Das Asylgesuch des Irakers muss nun im Vereinigten Königreich behandelt werden.

Auch die anderen von der Abschiebung nach Ostafrika bedrohten Migranten konnten sich auf das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs berufen, sodass schlussendlich niemand nach Ruanda transferiert werden konnte. Großbritannien hat die europäische Menschenrechtskonvention 1998 in sein nationales Recht integriert. Die Urteile des EGMR sind daher bindend.

Boris Johnson überlegt Gesetze zu ändern

Wenig begeistert vom Eingriff des EGMR zeigte sich der konservative britische Premier Boris Johnson. Auf die Frage eines Journalisten, ob das Vereinigte Königreich als Reaktion auf die gescheiterte Deportation die europäische Menschenrechtskonvention verlassen solle, sagte Johnson: „Wird es notwendig sein, einige Gesetze zu ändern, um unserem Vorankommen zu helfen? Es kann sehr wohl sein.“

Sollte Boris Johnson die europäische Menschenrechtskonvention tatsächlich aufkündigen, könnten auch britische Staatsbürger die Konsequenzen zu spüren bekommen. Denn die im britischen Gesetz verankerte Konvention schützt Grundrechte wie Meinungs- und Bewegungsfreiheit, Rechtsgleichheit und das Recht auf Leben.

Die britische Regierung möchte trotz EGMR-Urteil an der zweifelhaften Praxis festhalten. Der nächste Flug sei schon geplant, so Innenministerin Priti Patel. Weitere rechtliche Auseinandersetzungen sind damit nur eine Frage der Zeit.

Kritikerin fühlt sich bestätigt

Für Labour-Party-Politikerin Yvette Cooper kam das Urteil des EGMR nicht überraschend. „Es macht keinen Sinn für die Regierung irgendjemand anderem die Schuld zu geben“, twitterte Cooper und präzisierte: „Minister verfolgen eine Politik, von der sie wissen, dass sie nicht umsetzbar ist“. Für die Oppositionelle befindet sich die Regierung in einer misslichen Lage, da Ruanda bereits viel Geld aus dem Vereinigten Königreich erhalten hat.

Kritiker der Regierung vermuten, dass die Kontroverse rund um die Abschiebungen in das ostafrikanische Land von den innenpolitischen Problemen in Großbritannien ablenken solle. „Sie haben Ruanda 120 Millionen Pfund bezahlt und ein Flugzeug gemietet, das nicht abgehoben ist, weil sie nur Streit und jemand anderem die Schuld geben wollen“, so Cooper.

Auch in Österreich preschte Innenminister Karner vergangene Woche mit der Ankündigung vor, über Asylzentren in Drittstaaten außerhalb Europas nachzudenken. Dafür gibt es keine rechtliche Basis.

(dp)

Titelbild: APA Picturedesk

DanielPilz
DanielPilz
Taucht gern tiefer in komplexe Themengebiete ein. Lebt trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm und verpasst fast kein Fußballspiel.
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23 Kommentare

  1. Will der EMGR eigentlich, dass Europa von Wirtschftsflüchtlingen überrollt wird und ein Staat nach dem anderen in eine Rechtsautokratie oder Rechtsdiktatur kippt. Denn das wird die Folge sein, denn leider haben nur die Rechtspopulisten ein glaubwürdiges Rezept die Flüchtlinge abzuhalten. Und das ist eben, sie wieder auf ihren Kontinent zurückzubringen. Europa ist nur für Flüchtlinge vom eigenen Kontinent verantwortlich! Das mag unmenschlich klingen, aber das ist halt die Realität.

    • also eigentlich hatten wir ja lager in den jeweiligen ländern welche wir finanziert haben. macht sinn weil die leut nicht ihr land verlassen müssen und es uns billiger kommt.

      blöd wenn die zuständige stelle (integrationsminister, damals kurz von der övp) einfach die zahlungen einstellt und dann zuschaut wie die leute sich auf den weg machen.
      da gibt es von frankreich schöne satelliten bilder wo man die wanderung sieht

      übrigens wollte GB die ja nicht in ihr land zurück bringen sondern ALLE nach ruanda schicken
      des des ned geht wird wohl der größte trottl verstehn

  2. Johnson hat sich für seine Ablenkungsstrategie von seinen Verfehlungen Ruanda ausgewählt!
    Einen korrupten Staat, dessen Diktator logischerweise regelmäßig mit 99% Zustimmung gewählt wird, die Oppositionspolitiker einsperren oder töten lässt und die Silberlinge von Johnson selbst einstreift oder in seinem Familienclan verteilt.

    Eine GANZ EHRENVOLLE LÖSUNG für eine westliche Großmacht wie Großbrittannien.

    Und seine Brexitstammwähler applaudieren zu dieser Schande!

  3. Eine funktionierende Rechtsordnung ist schon in Ordnung, nur darf sie den Staat nicht lähmen. Speziell dann nicht, wenn sie genau dafür missbraucht wird. Aus diesem Grund ist die Rechtsordnung an die aktuellen Erfordernisse anzupassen.

    Der Hauptgrund für den Brexit war die MIgrationsfrage und das sture Diktat dazu aus Brüssel. Ich gehe davon aus, das GB nicht auf dem halben Weg stehen bleiben wird, sondern sein Brexit-Versprechen gegenüber der Bevökerung einhält. Sie EU müssen leider noch weiterhin unter dem Ideologiediktat leiden. Das wird sich aber mit der zunehmenden Belastung der EU-Bürger ändern.

    Es ist vollkommen logisch und legitim, dass Eindringlinge ohne belastbaren Einreisetitel zurückgewiesen – PushBack – oder abgeschoben werden. Das macht ja jeder halbwegs zurechnungsfähige Mitbürger an seiner Wohnungstüre genauso.

    • Die Hauptursache für den Brexit waren die Lügen von B. Johnson der den Briten eingeredet hat die Mitgliedschaft würde sie mehr kosten als sie herausbekämen. Die Briten empfanden ja sogar die Lastwagenfahrer aus Polen als Übel. Das sie einen sogenannten PushBack verharmlosen bedeutet entweder, dass sie nicht wissen was das ist oder aber eine bedenkliche Verrohung.

  4. „Minister verfolgen eine Politik, von der sie wissen, dass sie nicht umsetzbar ist.“
    Kennen wir das nicht von irgendwo?

  5. Unabhängig von der Kernthematik. Großbritanien hat ja schon den Brexit durchgezogen. Die Briten haben ein Gesetz beschlossen und wollen dies nun exekutieren. Jetzt kommt der EuGH daher und kippt das britische Gesetz. Als Brite wäre ich da nicht sehr erfreut über den Eingriff der EU Diktatur.

    • Also ICH wäre wohl auch als Brite erfreut, dass Grund- und Menschenrechte geschützt werden. Und Menschen sind auch Asylwerber bzw. Migranten, egal aus welchem Grund sie ihr Heimatland verlassen.

      • Der demokratische Prozess Brexit war ein Vollaustritt aus der EU. Dieser umfasste auch den kompletten Austritt der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs.

        Als mündiger britischet Bürger würde ich meinen Unmut oder auch Zustimmung bei den nächsten Wahlen schon auszudrücken zu wissen.
        Da brauche ich keinen wichtigtuerischen EuGH. Am Bsp. des Vollmitglieds Dänemark liegt die Sachlage natürlich anders.

        Sei hier nochmal gesagt, das Kernthema dieser “Rechts”entscheidung bewerte ich hier nicht. Meines Erachtens hat die EU, keine demokratische Legitimation und Grundlage, um britische Gesetze zu kippen.

  6. Für den Moment GUT!

    Aber mit Priti Patel hat Johnson einen Glücksgriff gemacht. Und die britische Bevölkerung will das ja auch, dass keine Ausländer mehr rein kommen. Immerhin war Fremdenfeindlichkeit einer der Hauptgründe für den erfolgreichen Brexit. Europa wie es leibt und lebt.

      • Nur zur Sicherheit, ich hätte “Glücksgriff” unter Anführungszeichen schreiben müssen. Ich hatte das aus verzweifelter Ironie geschrieben. Priti Patel ist m.M.n. eine Politikerin, die Alles verkörpert, was ich verabscheue. Mehr sage ich zu ihr nicht …

        Aber es ist bezeichnend, dass sie von Boris Johnson und den anderen Hardlinern in GB geliebt wird. Und natürlich auch von den fremdenfeindlichen Wählern. Mit Hass auf Fremde kann man in ganz Europa Wahlen gewinnen. Eben auch in GB.

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