Ukraine
Internationale Tageszeitungen kommentieren am Samstag die Empfehlung der EU-Kommission der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen wie folgt:
Wien, 18. Juni 2022 |
“Frankfurter Allgemeine Zeitung”:
“Dass sich die Europäische Kommission dafür ausspricht, der Ukraine den Kandidatenstatus zu verleihen, ist im Kern eine geopolitische Entscheidung, kein Urteil über die Beitrittsreife des Landes. … Die Ukraine verdiene den Status, sie sei bereit, für den europäischen Traum zu sterben, sagte Ursula von der Leyen. Das ist nicht eines der sogenannten Kopenhagener Kriterien, …, um Mitglied der EU zu werden. Aber zu den vielen Änderungen, die Putin dem Kontinent aufzwingt, gehört auch die Neubewertung der Erweiterung. Noch nie war sie so strategisch wie heute. … Der Druck ist nun so hoch, dass es den skeptischeren EU-Staaten schwerfallen wird, den Kandidatenstatus noch zu verhindern. Danach sollte es aber keinen politischen Rabatt mehr geben. Die Ukraine muss sich reformieren, bevor sie Mitglied werden kann.”
“Frankfurter Rundschau”:
“Es ist richtig, dass die EU-Kommission die Ukraine zum Beitrittskandidaten zur Europäischen Union machen möchte, um das überfallene Land nicht nur im Krieg gegen Russland zu unterstützen, sondern auch darüber hinaus. Es ist der Startschuss für einen Aufnahme-Marathon, bei dem den EU-Staaten die Luft nicht ausgehen darf. Wenn sie erfolgreich sein wollen, müssen die Befürworter wie Deutschland, Frankreich und Polen die Gegner wie Portugal, Spanien und Niederlande überzeugen. Sie müssen zusätzlich den zu erwartenden Streit über das Procedere untereinander genauso lösen wie das Aufnahmeverfahren für die Ukraine mit denen der beitrittswilligen Staaten vom Westbalkan in Einklang bringen. Sonst drohen sie die Menschen in den unterschiedlichen Ländern zu frustrieren. Im Fall der Türkei hat dies zur Entfremdung von Ankara und Brüssel beigetragen. Zudem müssen die Verantwortlichen in den europäischen Hauptstädten die Union reformieren, damit sie handlungsfähig bleibt.”
“Tages-Anzeiger” (Zürich):
“Es ist ein klares Zeichen der Solidarität mit dem Nachbarn in Not. Es ist ein Bekenntnis, dass die Ukraine Teil der Familie der europäischen Demokratien ist und dort in Zukunft einen festen Platz haben soll. Die EU belässt es nicht bei Floskeln und spricht jetzt eine klare Einladung aus. Der Schritt ist auch eine Botschaft an Wladimir Putin in Moskau. Es gibt keine Pufferstaaten, über deren Schicksal Russland mit brutaler militärischer Gewalt verfügen kann. Die Ukraine hat das souveräne Recht, zu entscheiden, welchem Club sie angehören will. Im Kampf zwischen russischer Diktatur und westlichen Demokratien kann es keine Grauzonen geben. (…) Eine Einladung auszusprechen, ist allerdings der einfachere Teil. Die bisher eher zögerlichen EU-Staaten sind jetzt noch mehr in der Pflicht, der Ukraine im Kampf gegen den russischen Aggressor mit Geld und Kriegsgerät beizustehen.”
“Nepszava” (Budapest):
“Ohne jeden Zweifel hat die Europäische Union Geschichte geschrieben: Sie hat zum Beitrittskandidatenstatus der Ukraine eine außerordentlich wichtige Entscheidung getroffen. Welche Geschichte wir aber jetzt schreiben, steht auf einem anderen Blatt. In dieser Frage kann man nicht gleichzeitig sowohl schön als auch klug sein. Die Entscheider der EU haben vorläufig die Schönheit gewählt. (…)
Der Vorschlag der EU-Kommission vom Freitag hat (…) zunächst keine einzige offene Frage beantwortet und in den Balkanländern, die als Beitrittskandidaten seit Jahren warten oder sich schon lange für den Kandidatenstatus beworben haben, sicherlich zu Recht einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. (…) Das ungarische und polnische Beispiel zeigt, dass es im jetzigen rechtlichen Rahmen nicht zu verhindern ist, dass ein Mitgliedsstaat (…) den Rechtsstaat und die Demokratie abbaut. (…) Die EU trifft außergewöhnliche, mutige Entscheidungen, doch können diese ohne Änderung der Grundlagenverträge leicht selbstmörderisch werden.”
(apa/bf)
Titelbild: APA Picturedesk