Absolute Mehrheit verfehlt
Eine empfindliche Niederlage musste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einstecken. Er verlor bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit. Links- und Rechtsparteien konnten stark zulegen.
Paris, 20. Juni 2022 | Katerstimmung bei der Präsidentenpartei von Emmanuel Macron: Am Morgen nach der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen muss der Präsident der absoluten Mehrheit im Parlament nachtrauern. Sowohl sein linker Kontrahent Jean-Luc Mélenchon als auch die noch bei der Präsidentschaftswahl unterlegene Rechtspolitikerin Marine Le Pen brachten Macron quer durchs Land viele schmerzhafte Niederlagen bei.
Historische Schlappe
Die französische Parlamentswahl findet rund zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl statt. Durch die zeitliche Nähe zur Präsidentschaftswahl und dem Mehrheitswahlrecht hat die Partei des Präsidenten eigentlich einen Vorteil. Meist gewinnen die Parteien der Präsidenten auch eine absolute Mehrheit bei den rund zwei Monate später stattfinden „Législatives“. Nicht so Macron und dessen Partei „Ensemble“. Sie konnte nach derzeitigem Stand nur 246 der 577 Sitze gewinnen und erreichte damit das schwächste Ergebnis einer Präsidentenpartei bei den Parlamentswahlen in der Geschichte der fünften Republik.
Feiern durften dagegen Macrons Kontrahenten. Nach den Siegen sowohl der linken Allianz NUPES, die auf 142 Sitze kommt, als auch der Rechtspartei Rassemblement National mit 89 Sitzen gilt Frankreich als zunehmend polarisiert. Von den zehn größten Städten Frankreichs konnte das Macron-Lager nur vier erobern. In den meisten größeren Städten triumphierte das Linksbündnis um das Polit-Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Einzig in Nizza setzte sich die konservative Partei durch, die insgesamt 64 Sitze im Parlament erobern konnte.
»Blutbad«, »Desaster«, »Hölle«
Die Kommentare französischer Medien und Politiker fielen wenig überraschend vernichtend für Macron und dessen Partei aus. So feierte Mélenchon das „Desaster“ des Präsidenten und will in der zukünftigen Regierung eine einflussreiche Position bekleiden. Vom Premierminister bis zum Finanzminister wird beim Linksbündnis NUPES nichts ausgeschlossen. Von einem „Blutbad“ schrieb gar die französische Zeitung Libération und Leute aus Macrons eigenen Reihen bezeichneten das Wahlergebnis am Sonntagabend als „Hölle“. Der im EU-Ausland so beliebte Politiker gilt in Frankreich vielerorts als abgehobener Kandidat des Establishments.
Obwohl in vielen Landesteilen weiterhin ausgezählt wird, ist klar: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron braucht in seiner zweiten Amtszeit eine Krücke im Parlament. Ob er nach rechts oder nach links greift, wird sich in den kommenden Wochen entscheiden. Seine Reformprojekte liegen bis auf Weiteres auf Eis.
(dp)
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