Expertinnen vermissen politische Initiative
Nach dem nächsten Frauenmord in Österreich prangern Expertinnen und die Opposition die fehlende Gewaltprävention in Österreich an. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) müsse jetzt handeln.
Wien, 20. Juni 2022 | Am Sonntag kam es in Wien erneut zu einem Frauenmord. In einer Wohnung im 21. Wiener Gemeindebezirk wurde der leblose Körper einer 20-Jährigen entdeckt. Alle Reanimierungsversuche der Rettungskräfte scheiterten. Die Obduktion belegte Fremdeinwirkung, die Polizei ermittelt gegen zwei Tatverdächtige, von denen sich einer im Keller des Wohnhauses versteckt hielt.
Schweigen im Ministerium
Der bereits 16. Frauenmord in Österreich 2022 löste keine mediale Empörungswelle aus. Auch aus dem Frauenministerium von Susanne Raab (ÖVP) gab es bis Montagnachmittag keine Reaktion. Dabei ist das Problem, hört man auf die Kritikerinnen, durchaus ein politisches. Denn die 2011 von Österreich unterschriebene Istanbuler Konvention, die die Bekämpfung aller Arten von Gewalt an Frauen vorsieht, trat 2014 in Kraft. Ihre Umsetzung ist seither mangelhaft geblieben.
“Vom Analysieren ins Handeln kommen”
Die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings (ÖFR), Klaudia Frieben, beklagt im Gespräch mit ZackZack die fehlenden finanziellen Mittel für Organisationen im Bereich der Gewaltprävention. Besonders Frauen- und Mädchenberatungsstellen leisteten hier einen wertvollen Beitrag, würden aber nicht ausreichend und nicht langfristig genug von der Politik gefördert. Es brauche einen Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen, bei dem alle langjährigen Expertinnen gemeinsam mit Politikern am Tisch sitzen würden. Leider seien in der Realität „wirkliche Expertinnen ausgeschlossen“, sagt Frieben und fügt hinzu: „Es wäre schön, wenn die Frau Ministerin einmal mit uns reden würde“. Man müsse vom Analysieren ins Handeln kommen. „Keine Studien hundertmal in Auftrag geben. Das Muster ist bekannt. Männer werden gewalttätig aufgrund von gekränkter Eitelkeit“, so Frieben, die im Zusammenhang mit dem Gewaltschutz für Frauen „eine riesengroße Baustelle“ verortet.
Wenig Mittel für Gewaltprävention
Ähnlich sieht das Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF). Sie spricht von sehr langen Wartezeiten bei den lebenswichtigen staatlichen Förderungen für die Frauenhäuser, wo bedrohte Frauen Zuflucht vor männlicher Gewalt finden. Im Gespräch mit ZackZack betont Rösslhumer, dass es „wirklich mehr Geld für Gewaltprävention“ brauche. Sie „verstehe nicht, warum Frauen so im Stich gelassen werden“ und wundert sich über das fehlende Bedauern von Frauenministerin Raab. Man höre „keinen Aufschrei, keine Reaktion, das Ministerium schweigt“. Wichtige Organisationen wie die AÖF hätten eine so niedrige Basisfinanzierung seitens des Bundes, dass sie sich mit Projektanträgen über Wasser halten müssten. Um die Frauenmorde in Österreich zu bekämpfen, bräuchte es vom Staat finanzierte „Bewusstseinskampagnen und einen ganzheitlichen Ansatz, der auch die Gleichberechtigung und die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen in den Blick nimmt“, weist Rösslhumer auf Spanien hin, dessen Regierung eine sehr progressive Frauenpolitik verfolge.
SPÖ-Frauensprecherin fordert permantenen Gewaltschutzgipfel
Geteilt wird die Kritik von der Frauensprecherin der SPÖ, Eva-Maria Holzleitner. Sie vermisst die Umsetzung der Istanbul Konvention und fordert einen „permanenten Gewaltschutzgipfel“. Es müsse ein „breiter Dialog geführt werden, der die Vielfalt der Organisationen miteinbezieht“. Auch sie spricht die prekäre finanzielle Lage wichtiger Beratungsstellen an: „Das Geld in der Basisberatung fehlt“. Sie hoffe auf einen ernsthaften Austausch aller Expertinnen, damit der Ministerin „klar wird, wo Lücken im Gewaltschutz bestehen“.
Das Frauenministerium verweist auf die von ihm organisierten Gewaltschutzgipfel und das Gewaltschutzpaket von 2021, das eine Erhöhung der Mittel für Gewaltschutzzentren brachte. Dort werden Frauen betreut, die schon Opfer von Gewalt geworden sind. Wie der aktuelle Fall aus Wien zeigt, ist es dann aber schon oft zu spät.
(dp)
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