Samstag, Oktober 5, 2024

Fake-Konzern auf dem Schachbrett der Weltpolitik – Zwei Jahre Wirecard-Skandal

Zwei Jahre Wirecard-Skandal

Seit rund zwei Jahren ist der Münchner Konzern Wirecard Geschichte. Abseits von Braun-Anklage, Marsalek-Suche und Schadensersatz-Prozessen sind die Geheimdienste in den Fokus gerückt. Welche Rolle spielte die Datenmaschine auf dem geopolitischen Schachbrett? Im Gespräch mit Fabio De Masi.

Hier finden Sie die anderen zwei Teile der Interview-Reihe:2. Teil: “Wirecard und die Old Boys aus dem deutschen Kanzleramt”3. Teil: “Ex-Merkel-Berater wollte Marsalek auf Amazon Prime jagen”

Wien, 22. Juni 2022 | Wirecard steht für den größten Finanzskandal der deutschen Geschichte. Als man Mitte Juni 2020 die Existenz von 1,9 Milliarden Euro nicht nachweisen konnte, ging der Münchner Finanzkonzern baden. Und mit ihm viele Anleger und wirtschaftliche Existenzen. Deutschlands einstige Tech-Hoffnung endete mit einer brachialen Bauchlandung. Ein Konstrukt, das letztlich auf einer Lüge beruhte.

Der Name Wirecard geht auf das Münchener Start-Up Wire Card (1999 gegründet, damals zunächst noch in zwei Worten geschrieben) zurück und spielt auf die Verbindung zwischen Internet und Kreditkarte an. Man wolle den Onlinehandel mit einer Software revolutionieren, die schnell und sicher sei. So lautete jedenfalls das Versprechen. Innerhalb kürzester Zeit könne man die Vertrauenswürdigkeit von Kunden analysieren.

Wie sich später herausstellen sollte, war das Problem die Vertrauenswürdigkeit von Wirecard selbst. Die Vorwürfe reichen von Marktmanipulation, Bilanzfälschung und Geldwäsche bis hin zu bandenmäßigem Betrug.

Markus Braun: Ex-CEO von Wirecard, auch bekannt als Großspender der ÖVP (zuvor kurzzeitig NEOS). Foto: APA Picturedesk.

Drei der vier ehemaligen Vorstände sind Österreicher: Ex-CEO Markus Braun, ab 2002 bei Wirecard, obwohl er sich offenbar gern als Gründer präsentierte. Ex-COO Jan Marsalek, von Braun 2010 an Bord des Vorstands geholt, zuständig für das Tagesgeschäft und Asien. Und schließlich die Tiroler Produktvorständin Susanne Steidl, ab 2018 dabei.

Während Braun in U-Haft auf seinen Prozess wartet, ist Marsalek nach seiner Flucht mit Hilfe eines Ex-FPÖ-Politikers und Ex-Verfassungsschützern untergetaucht. Berichten zufolge soll er in einer reichen Moskauer Nachbarschaft verweilen, unter Obhut des russischen Geheimdienstes.

Die jüngsten Enthüllungen sorgten für Nervosität in Sicherheitskreisen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND soll vom Versteck gewusst, aber Marsalek trotz angeblichen russischen Angebotes nicht verhört haben. Das wollte der BND nicht auf sich sitzen lassen und konterte mit der Begründung, nicht in eine mögliche Falle der Russen hineintappen zu wollen. Dennoch stellt sich die Frage: Ist Marsalek wirklich „Most Wanted“? Das fragte zum Beispiel die Zeitung „Die Welt“.

Dass Marsalek nach dem Zusammenbruch des Konzerns flüchten konnte, beschäftigt auch Ex-Linken-Politiker Fabio De Masi. Im Wirecard-U-Ausschuss des Deutschen Bundestages wirbelte der Finanzdetektiv viel Staub auf. De Masi stellte in jüngst veröffentlichten Interviews die Frage nach der Verantwortung deutscher und österreichischer Behörden.

Fabio De Masi, Ex-Abgeordneter der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Finanzdetektiv im Wirecard-U-Ausschuss. Foto: Linksfraktion/Fabio de Masi, zVg.

Eine zentrale Rolle sollen dabei konservative Sicherheitskreise spielen. Das Ringen um den richtigen Umgang mit globalen Krisen wie der Flüchtlingskrise, dem Ukraine-Krieg oder Staatszerfall in Nordafrika und Nahost spiegelt sich auch im Wirecard-Skandal wider.

Es geht um einen politischen Richtungsstreit, der sich seit 2014/2015 zugespitzt hat: Putin, Terror, Islamismus – Was ist die größte Bedrohung für unsere Sicherheit? Und welche Rolle spielte Wirecard auf diesem geopolitischen Schachbrett?

Der Konzern, der anfänglich Zahlungsdienstleistungen im Glücksspiel- und im Pornobereich zur Verfügung gestellt hatte, wuchs im Laufe der Zeit zu einer riesigen Datenmaschine heran. Und letztlich auch zu einer Drehscheibe für Geheimdienste, meint De Masi im Gespräch mit ZackZack. Gleichzeitig tummelten sich um Marsalek schillernde Unternehmer, die sich jetzt von ihm distanzieren. Andere wollen ihn nicht gekannt haben.

ZackZack: Herr De Masi, Sie haben jüngst gegenüber der „Welt am Sonntag“ offenbart, dass Ihnen der frühere militärpolitische Berater von Angela Merkel, Brigadegeneral a.D. Erich Vad, dubiose Angebote in Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal und der Suche nach dem flüchtigen Manager Jan Marsalek unterbreitet habe. Vad tauchte jüngst in deutschen Medien auf und gab sich dabei russlandfreundlich. Was halten Sie davon?

Fabio De Masi: Ich möchte zunächst unterscheiden zwischen dem, was Herr Vad öffentlich zum Krieg in der Ukraine sagt und seinen Motiven oder sonstigen Verbindungen. Mir sind ehemalige Militärs, die vor einem langen frozen conflict (eingefrorenen Konflikt, Anm.) mit einer Nuklearmacht warnen und maximales Engagement für eine diplomatische Lösung anmahnen, im Zweifel lieber als Leute, die im Warmen sitzen und in Talkshows Generalfeldmarschall spielen. Auch gibt es im Umgang mit verbrecherischen Kriegen und dem Bruch des Völkerrechts leider immer sehr unterschiedliche Maßstäbe in der Öffentlichkeit.

Davon unabhängig ist dieser Krieg ein monströses Verbrechen. Doch dies macht etwa Äußerungen von Herrn Vad nicht in Gänze falsch. Man muss seine Auffassung ja nicht teilen, aber dafür kritisiere ich Herrn Vad sicher nicht.

Für was dann? Wirecard und Russland, das ist ja keine unbekannte Kombination. Immerhin soll sich Marsalek unter Obhut des russischen Geheimdienstes in Moskau aufhalten.

Eine Grenze ist da, wo man sich als deutscher Amtsträger oder auch Ehemaliger zum Instrument Putins macht. Ich will eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik, die sich weder zum Instrument der USA noch Russlands macht.

Ich habe daher bei der Geldwäschebekämpfung immer wieder vor dem Einfluss von Oligarchen auf die deutsche Wirtschaft gewarnt – natürlich nicht nur jenen aus Russland. Aber eben auch. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Beziehungen des früheren Eigentümers der Cyber Security-Firma im Dienste der Bundesregierung, Virtual Solution. Beziehungsweise an den ehemaligen Hauptgesellschafter Nicolaus von Rintelen, seine Verbindungen zu einem russischen Oligarchen, Jan Marsalek und dessen Fluchthelfern, was ich auch gemeinsam mit ZackZack aufgedeckt habe (Hier geht’s zur Story über Virtual Solution).

Ich vermute, es gibt Russland-nahe, konservative Netzwerke im Umfeld unserer Sicherheitsbehörden. So wie es eben auch Transatlantiker gibt. Wenn die Russland-Netzwerke aber womöglich kriminelle Dinge begleiten oder decken, wäre eine Grenze überschritten. Ein General hat seinem Land zu dienen, nicht irgendwem sonst.

Bleiben wir bei Herrn Vad. Sie sprachen bereits mehrfach öffentlich an, dass Vad bei einem interessanten Treffen in München zugegen war. Dort traf er auf Jan Marsalek. Um was ging es da?

Herr Vad war Teilnehmer eines privaten sicherheitspolitischen Forums des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek und eines CSU-Stadtverordneten aus München, Michael Dzeba. Anwesend waren unter anderem auch der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy (Konservative), der einstige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), der ehemalige CSU-Ministerpräsident von Bayern, Edmund Stoiber, sowie hochrangige Militärs aus Frankreich und Österreich.

Ich habe Herrn Vad daher mehrfach im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Wirecard-Skandal thematisiert. Ich wollte ihn auch vorladen, konnte mich damit aber bei den anderen Fraktionen nicht durchsetzen.

Warum konnten Sie sich nicht durchsetzen? Erich Vad war immerhin Merkels militärpolitischer Berater.

Wir hatten einen angespannten Zeitplan bis zur Bundestagswahl (am 26. September 2021, Anm.). Wir haben häufig bis 4 Uhr morgens getagt, die Zeugenliste war bereits extrem voll und für die nachrichtendienstlichen Aspekte hatten wir einen Sonderermittler, den ehemaligen Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland von den Grünen.

Die sicherheitspolitischen Veranstaltungen von Marsalek, etwa zur Ukraine und zu Libyen, hatten nach Auffassung der anderen Fraktionen keinen offensichtlichen Bezug zu Wirecard. Außer, dass das Unternehmen den – sicher nicht billigen – Wein bezahlt haben soll.

Hatten Sie danach noch Gelegenheit, den Brigadegeneral a.D. Vad zu sprechen?

Ja! Nach meiner Erinnerung hatte er etwa eine Woche nach Abschluss der Befragungen im Wirecard-Untersuchungsausschuss mein Büro kontaktiert. Das muss Ende Juni gewesen sein.

Ich habe ihn dann das erste Mal am 6. Juli 2021 im Berliner Café Einstein zum Gespräch getroffen und noch zwei weitere Male. Einmal am 31. August 2021, ebenfalls im Einstein, und am 2. Oktober 2021 in München auf dem Rückweg aus Verona, wo ich mich für ein paar Wochen aufgehalten hatte.

Wieso kam er Ihrer Ansicht nach auf Sie zu? Immerhin hätte er nach der nicht erfolgten Vorladung im U-Ausschuss entspannt sein können.

Heute denke ich, dass er wissen wollte, über welche Erkenntnisse ich verfüge. Er meinte, er könne mir vielleicht behilflich bei der Beantwortung meiner Fragen sein. Ich hatte ihn nicht nur in der Befragung der Bundeskanzlerin thematisiert, sondern auch in der Befragung des deutschen Ex-Geheimdienstkoordinators Bernd Schmidbauer.

Letzterer wurde vorgeladen, da er sich mit Martin Weiss, Ex-Abteilungsleiter des BVT und Fluchthelfer von Marsalek, sowie mit dem der Russland-Spionage bezichtigten Ex BVT-Mann Egisto Ott über mich ausgetauscht hatte. Beide sollen ja für Marsalek Polizeidatenbanken über Personen abgefragt haben.

Gegen Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott laufen seit Jahren exorbitante Ermittlungen – bislang ohne anklagetaugliche Grundlage. Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, der Ott in seiner Einvernahme belastete, lebt unterdessen in Dubai. Zuletzt äußerte er sich in deutschen Medien über seinen engen Kontakt zu Marsalek.

Erst umtriebig, dann Phantom: Ex-Wirecard-COO Jan Marsalek. Er soll in Moskau untergetaucht sein. Foto: Wirecard.

Vielleicht hat man sich von Schmidbauer Erkenntnisse über mich erhofft. Schmidbauer gab daraufhin der Zeitung „Die Welt“ ein Interview und thematisierte dabei auch ein Treffen mit Jan Marsalek, nachdem dieser vor Londoner Investoren mit der Nowitschok-Formel und klassifizierten Dokumenten herumgewedelt hatte. Die dürften übrigens aus Österreich stammen.

Sie sagen also, es gibt so etwas wie ein deutsch-österreichisches Geheimdienst-Netzwerk im Umfeld von Wirecard oder zumindest mit Bezug zu Ex-Manager Jan Marsalek. Was soll denn der Zweck von einem solchen gewesen sein? Und welche Rolle soll Vad dabei gespielt haben?

Ich muss etwas ausholen: Schmidbauer erwähnte in diesem Zusammenhang, er habe sich über Marsalek mit Ehemaligen aus den Sicherheitsbehörden ausgetauscht, die ein Interesse an der Situation in Libyen hatten. Libyen war ein großes geopolitisches Thema und Schmidbauer sah die militärische Intervention dort sehr kritisch. Was ich übrigens teile.

Die französische Intervention zum Sturz Muammar al-Gaddafis (ehemaliger libyscher Machthaber, Anm.) hatte zu Chaos geführt, islamistische Gruppen hatten Auftrieb, US-amerikanische und russische Söldnerarmeen waren aktiv und arbeiteten auch außerhalb des Kriegsrechts mit finsteren Gestalten zusammen. Die Interessen des österreichischen Mineralölkonzerns OMV in Libyen waren bedroht und vor allem war Libyen nach der Abriegelung der sogenannten Balkan-Route das letzte Nadelöhr für Flüchtlinge über das Mittelmeer. Es war daher Top-Thema in Sicherheitsbehörden.

Auch Marsalek war in Libyen aktiv – er investierte dort mit Unterstützung der Österreichischen Kontrollbank, die Außenhandelsfinanzierung betreibt, in Zementwerke, nachdem das österreichische Baustoffunternehmen Asamer infolge des Gaddafi-Sturzes in Schwierigkeiten geraten war. Er versuchte auch, mit Unterstützung eines österreichischen Militärs und eines hochrangigen Beamten aus dem Innenministerium eine Miliz zur Abwehr von Flüchtlingen mit russischen Söldnern aufzubauen.

Angela Merkels ehemaliger militärpolitischer Berater, Brigadegeneral a.D. Erich Vad. Foto: Bild.de.

Ebenso bemühte sich Marsalek, mit Unterstützung des einstigen österreichischen Vizekanzlers Michael Spindelegger (ÖVP) und deutschen Unions-Politikern, eine sogenannte „Refugee Card“ voranzutreiben. Mit der sollten Asylwerber ihre Leistungen nur noch digital erhalten. Das war auch spannend für Sicherheitsbehörden.

Daher bin ich davon ausgegangen, dass es bei diesem ominösen sicherheitspolitischen Dialog von Marsalek mit Sarkozy und Vad um Libyen ging. Das bestätigte mir Vad auch später bei unserem Treffen. Ich hatte Schmidbauer daher in der Vernehmung vor dem Wirecard-U-Ausschuss gefragt, ob er sich mit Vad über Marsalek ausgetauscht habe. Das verneinte er.

Wie lief Ihr Treffen mit Vad konkret ab? Was hat er zu Marsalek gesagt?

Es war – wie soll ich sagen – ungewöhnlich. Vad war sehr entspannt. Zunächst lobte er meine Aufklärungsarbeit im U-Ausschuss. Er erzählte mir, dass er ein großer Verehrer des Militärhistorikers Clausewitz sei und sich für das Untertauchen im digitalen Zeitalter fasziniere.

Also wie bei Marsalek. Dieser befände sich laut Vad keinesfalls in Russland, sondern – wie er scherzte – womöglich auf einer Hütte in der Steiermark. Genaueres könne angeblich nur der Mossad (israelischer Geheimdienst, Anm.) wissen, der auf diesem Gebiet am besten sei. Er würde sich da mal umhören, da er eng mit einem früheren israelischen Botschafter befreundet sei.

Brigadegeneral a.D. der Bundeswehr, Unternehmensberater, ehemaliger militärpolitischer Berater von Angela Merkel.

ZackZack hat Vad konfrontiert und ihn um eine Stellungnahme gebeten. Anders als bei einer früheren Kontaktanbahnung, als Vad die Spur Marsaleks aus Russland weglenken wollte, ist eine Antwort auf die jüngste Anfrage bislang ausständig.

Interessant, in der Steiermark also. Hat sich Vad auch zum sicherheitspolitischen Dialog mit Marsalek geäußert?

Ja, natürlich. Er meinte, er habe an zwei Veranstaltungen teilgenommen. Die Veranstaltung zur Ukraine sei angeblich furchtbar gewesen. Anwesend sei ein ukrainischer Präsidentschaftskandidat oder einstiger Geheimdienstchef gewesen und sein Sohn, der gedolmetscht habe. Man habe nichts verstanden. Genau wisse er das nicht mehr.

Bei der Veranstaltung mit Sarkozy sei es in der Tat, wie von mir vermutet, um Libyen gegangen. Sarkozy sei mit dem Privatjet angereist und habe über Bundeskanzlerin Merkel gelästert. Er habe unter Druck gestanden wegen des Vorwurfs geschäftlicher Beziehungen zu Gaddafi und habe mit dem Bombardement wohl seine Unabhängigkeit beweisen wollen.

Vad habe sich später bei CSU-Mann Dzeba beschwert, dass dieser ihn in das Umfeld einer dubiosen Figur wie Marsalek geschleppt hätte. Aber das halte ich für vorgeschoben. Dzeba habe daraufhin auf den deutschen FinTech-Unternehmer Nikolaus von Taysen und den CSU-Kommunalpolitiker Phillip Freiherr von Hirsch verwiesen.

Das sind jetzt sehr viele Namen. Wer sind von Hirsch und von Taysen? Und welche Rolle sollen die beiden spielen?

Von Hirsch ist ganz ähnlich wie der „Hochstapler“ und deutsche Ex-Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg ein CSU-Aristokrat mit Ländereien, die er verwaltet. Er ist ein CSU-Kommunalpolitiker im Münchener Vorort Planegg und soll mit Unternehmer Nikolaus von Taysen verwandt sein (von Taysen ist der Lebensgefährte seiner Schwester, Anm.). Von Hirsch bestreitet aber wohl, Jan Marsalek zu kennen.

Gleichwohl gab es mindestens ein sicherheitspolitisches Event von Marsalek auf dem Anwesen der Familie von Hirsch sowie einen Helikopterflug über Planegg in Anwesenheit ehemaliger Geheimdienst-Leute – die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete.

Und von Taysen? Wer ist das und was hat er mit Marsalek zu tun?

Von Taysen hat mir gegenüber dessen Freundschaft mit Marsalek bestätigt. Mir schrieb er nämlich am 12. Juli 2021 um 2:45 Uhr – das war die Nacht nach dem Fußball-EM-Finale Italien gegen England – dass er ein Freund von Marsalek gewesen sei. Vielleicht einer der wenigen echten Freunde, die Marsalek jemals hatte, fügte er sinngemäß hinzu.

Von Taysen wurde als Unternehmer groß, mit blonden Frauen im Dirndl, die Promilletests auf dem Oktoberfest durchführten.

Er war unter anderem in FinTech-Firmen im Bereich Daten der öffentlichen Verwaltung von Kommunen sowie in einen Zahlungsabwickler investiert, der auch auf den Philippinen aktiv ist. Dort hatte ja Marsalek auch seinen vermeintlichen Wirecard-Treuhänder her. Von Taysen bestritt aber jede geschäftliche Beziehung zu Marsalek in Textnachrichten an mich.

Gleichwohl gibt es Kommunikation zu Tschetschenien-Geschäften von Marsalek mit ihm. Auch das ist belegt. Von Taysen sagte auch, er habe diese Geschichte doch auch schon längst dem Regisseur der Wirecard-Doku von RTL erklärt, wo seine Cousine zufällig Regieassistentin gewesen sei. Da dachte ich erstmal: In was für einem schlechten Film bin ich gelandet?

Danach bot er mir ein Gespräch an. Von Taysen hat mich dann aber wegen eines Krankheitsfalls vertröstet und ist danach abgetaucht. Kein gutes Zeichen. All das ist nicht strafbar – aber es ist extrem auffällig, da er sich des Öfteren widersprochen hat.

CSU-Gemeinderat in Planegg bei München. Jan Marsalek kenne er nur aus Zeitung und Fernsehen.

Ich kann nur für mich sprechen. In meinem Haus hat ein solches Meeting nicht stattgefunden, ich habe generell derartige Meetings weder bei mir noch irgendwo anders geplant, organisiert oder durchgeführt. Ich habe an derartigen Meetings auch nie teilgenommen.”

Philipp von Hirsch auf die Frage, ob ein sicherheitspolitisches Event mit Jan Marsalek auf dem Anwesen seiner Familie stattgefunden hat. Auch den Helikopter-Flug über Planegg mit Geheimdienstlern dementiert er.

FinTech-Unternehmer aus München. Auf eine ZackZack-Anfrage antwortet Nikolaus von Taysen ausführlich. Als Mit-Gründer von PAY.ON und Payworks sei er von Anfang an Wettbewerber von Wirecard gewesen. Doch wie war sein Verhältnis zu Jan Marsalek? Geschäftlich habe es keines gegeben, beteuert von Taysen. Wie in Branchenkreisen üblich, kannte man sich. Gut sogar.

„Ich habe JM in der Zeitspanne 2013 bis ein bis zweimal im Jahr zum Abendessen getroffen, als viele in der Branche davon ausgegangen sind, dass sie als börsengelisteter Konzern das Schmuddelgeschäft hinter sich gelassen, und sich damals als Partner und Lizenzschirm für dutzende seriöse FinTech-Startups neu und seriös aufgestellt hätten.“ 2015/16 sei man bereits auf Distanz gegangen.

Zunächst sagt von Taysen zu ZackZack, er habe nie zu Marsaleks Freundeskreis gehört. Konfrontiert mit gegenteiligen Informationen, gibt von Taysen schließlich zu Protokoll, er habe Marsalek „freundschaftlich“ zu kontroverser Diskussion und netter Unterhaltung getroffen. Zu möglichen Tschetschenien-Geschäfte könne er überhaupt nichts sagen.

Zurück zu Vad. Haben Sie mit ihm über Libyen gesprochen? Immerhin ein, wie Sie beschreiben, heißes Thema in konservativen Kreisen.

Ja. Ich erklärte Vad auch meine Hypothese, wonach Sicherheitsbehörden eventuell mit Marsalek zusammenarbeiten wollten, um etwa über die geplante „Refugee Card“ islamistische Gefährder zu überwachen und über russische Söldner militarisierte Flüchtlingsabwehr zu betreiben.

Das klingt furchterregend. Was war die Reaktion des Generals?

Seiner Ansicht nach sei das sehr schlüssig. Vad betonte dabei, er sei ein Kritiker der Flüchtlingspolitik von Frau Merkel, habe mit dieser aber immer loyal zusammengearbeitet. Allerdings offenbarte er seine Distanz zum deutschen Auslandsnachrichtendienst BND.

Inwiefern? Der BND gilt jetzt nicht gerade als linksalternatives Sammelbecken.

Vad meinte, er habe dem BND schon bei den Morgenlagen im Kanzleramt immer kritisch gegenübergestanden. Man habe bei den Informationen immer sehr vorsichtig sein müssen, um nicht in Kriege hineingezogen zu werden.

Nur bei der US-Lüge von den Massenvernichtungswaffen im Irak habe der BND zutreffend gewarnt. Aber damals sei er, Vad, sicherheitspolitischer Referent der CDU/CSU-Fraktion und Merkel noch Oppositionsführerin gewesen. Man habe zu dieser Zeit vermutet, dass der BND nur den damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) stützen wolle, der sich nicht am Irak-Krieg beteiligen wollte.

Warum hat Ihnen ein ehemals enger Merkel-Berater diese heiklen Dinge anvertraut? Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich denke, er wollte Sympathie und Vertrauen aufbauen. Und Vad ist persönlich auch sehr angenehm im Umgang. Denn er wusste ja, dass ich als Linker diese Regime Change-Kriege sehr skeptisch sehe. Ich glaube mittlerweile, dass Vad zu einer Gruppe Konservativer gehört, die eben ideologisch eher bei den Truppen um Herrn Maaßen aus dem Verfassungsschutz stehen.

Ich halte es beispielsweise für denkbar, dass es zwischen Auslandsgeheimdienst BND und Verfassungsschutz Konflikte über die Nutzung von Wirecard bzw. Marsalek gab. Beispielsweise im Rahmen der Terrorabwehr und der Zusammenarbeit mit Russland.

Das Interview führte Benjamin Weiser.

2. Teil: “Wirecard und die Old Boys aus dem deutschen Kanzleramt”

3. Teil: “Ex-Merkel-Berater wollte Marsalek auf Amazon Prime jagen”

Titelbild: Grafik ZackZack, Fotos: Olaf Kostritz CC-BY-SA 4.0 (www.fabio-de-masi.de), Leo Molatore (Wiki Commons).

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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