Zwei Jahre Wirecard-Skandal
Wirecard stand im Zentrum von Sicherheitsinteressen und politischen Kämpfen. Eine schillernde Rolle sollen neben Ex-BVT-Leuten auch ranghohe Ex-Mitarbeiter aus dem deutschen Kanzleramt gespielt haben. Teil 2 des großen ZackZack-Interviews mit Fabio De Masi.
Hier finden Sie die zwei anderen Teile der Interviewreihe:
1. Teil: “Fake-Konzern auf dem Schachbrett der Weltpolitik – Zwei Jahre Wirecard-Skandal”
3. Teil: “De Masi: Ex-Merkel-Berater wollte Marsalek auf Amazon Prime jagen”
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Wien/Berlin, 25. Juni 2022 | Zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des Münchener Finanzkonzerns Wirecard sind immer noch einige Fragen offen. Doch mittlerweile ist der Milliardenbetrug in den Hintergrund gerückt. Ex-Linken-Politiker und Wirecard-Aufdecker Fabio De Masi stellte bereits im ersten Teil des großen ZackZack-Interviews die Frage nach der Verantwortung deutscher und österreichischer Behörden.
Im zweiten Teil geht es um damit zusammenhängende Fragen: War Wirecard eine „Geheimdienstbude“? Welche Rolle spielten neben Ex-BVT-Beamten ehemalige ranghohe Mitarbeiter aus dem Berliner Kanzleramt?
Im Fokus stehen etwa der einstige militärpolitischen Berater von Angela Merkel, Erich Vad, und Helmut Kohls früherer Staatsminister im Bundeskanzleramt, Bernd Schmidbauer. Letzterer war für Kohl „Geheimdienstkoordinator“. Beide, Vad und Schmidbauer, tauchten im Umfeld des Wirecard-Skandals auf. Einige Spuren führen auch nach Österreich.
Ob Verschwörungstheorien konservativer Netzwerke oder dubiose Angebote an De Masi selbst: Der Finanzdetektiv, der für die Linksfraktion im Wirecard-U-Ausschuss des Deutschen Bundestages aufdeckte, ist weiterhin an der Aufklärung dieser riesigen Affäre interessiert.
ZackZack: Herr De Masi, Sie sagen, Wirecard stand auch im Zentrum eines Konfliktes von Sicherheitsinteressen und politischen Kämpfen, gerade in konservativen bis rechten Kreisen. Es geht auch um Libyen, wo Marsalek gerne zugegen war. Was hat es damit auf sich?
Fabio De Masi: Libyen war nach dem Sturz Gaddafis durch Briten, Franzosen und Aufständische Dreh- und Angelpunkt islamistischer Gruppen. Aber auch nach der Abriegelung der sogenannten Balkan-Route das einzige Nadelöhr für Flüchtlinge, die nach Europa wollten. Die Russen haben dort islamistische Gruppen bekämpft. Und in der CDU/CSU tobte ein Konflikt über das Erstarken der AfD und den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik.
Aus dem Sicherheitsapparat in Österreich gab es dokumentierte Bestrebungen, mit Jan Marsalek und russischen Söldnern eine Miliz zur Flüchtlingsabwehr in Libyen aufzubauen. Involviert waren dabei ein österreichischer Brigadier und ein Vize-Kabinettschef aus dem Innenministerium.
Ich halte es daher für denkbar, dass ein, wenn man so will, „Old Boys-Netzwerk“ im Umfeld des deutschen Verfassungsschutzes um Herrn Bernd Schmidbauer und Herrn Erich Vad testen wollte, ob eine solche Zusammenarbeit auch in Deutschland möglich wäre.
Denn auch Schmidbauer hat im Wirecard-U-Ausschuss – im Unterschied zu seinen öffentlichen Äußerungen – immer wieder Russland aus der Schusslinie genommen und den Militäreinsatz in Libyen kritisiert. Er hat sich auch immer wieder kritisch zu offiziellen Erklärungen rund um Anschläge, die gemeinhin Russland zugerechnet werden, geäußert (Anm. d. Red.: Gemeint sind wohl die Anschläge auf den russischen Ex-Agenten Sergei Skripal oder auf den Oppositionellen Alexei Nawalny).
Ein Bild aus alten Tagen: Schmidbauer mit seinem Chef, dem damaligen CDU-Kanzler Helmut Kohl, bei einer Kabinettssitzung im Jahr 1996. Foto: APA Picturedesk/dpa.
Meine Hypothese würde auch viele Andeutungen von Schmidbauer erklären, der mich im März dieses Jahres kontaktierte und vor Gefahren für die nationale Sicherheit warnte. Wir dürfen nicht vergessen, dass das türkis-blaue Modell von Sebastian Kurz vielen Konservativen in Deutschland als Vorbild und Alternative zur bürgerlich-liberalen Kanzlerin Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik diente.
Dabei ist ja interessant, welche Rolle Wirecard in dieser Auseinandersetzung spielte. BND und Verfassungsschutz behaupten, bis zur Insolvenz von Wirecard nicht wirklich gewusst zu haben, wer Jan Marsalek war.
Klar, das müssen sie auch behaupten. Sonst stellt sich die Frage, warum man einen Kriminellen gemütlich aus Deutschland hat ausreisen lassen. Wie sollen sie aber nicht gewusst haben, wer der Chief Operating Officer von Wirecard war, deren Kreditkarten sie selbst operativ nutzen?
Marsalek empfing nicht nur ständig Geheimdienstler aus aller Welt und war bereits 2015 Gegenstand eines Rechtshilfeersuchens der USA. Er wedelte mitten im Skandal um das BVT, das wegen Russland-Connections bereits in der Kritik stand, mit aus Österreich stammenden klassifizierten Dokumenten zum Skripal-Anschlag und dem Nerven-Gas Nowitschok in London herum.
Der heute 83-jährige CDU-Mann war Kohls rechte Hand. Als Koordinator der deutschen Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und MAD wurde er berühmt-berüchtigt. Auch nach seiner aktiven Zeit tauchte er in Sicherheitskontexten auf, so auch im Umfeld des Wirecard-Skandals.
Deswegen bekam er auch Besuch vom einstigen deutschen Geheimdienstkoordinator Schmidbauer. Auch Ex-BVT-Mann Egisto Ott soll laut Fluchthelfer und Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss in Jan Marsaleks „Investoren-Villa“ in München verkehrt sein. Gegen Ott wurde nach meinem Kenntnisstand auch in Deutschland wegen mutmaßlicher Agententätigkeit für Russland ermittelt. Weiss wiederum hatte sogar ein Büro in dieser Villa in der Münchener Prinzregentenstrasse 61.
Schmidbauer betonte selbst im Wirecard-U-Ausschuss, dass ein Netzwerk von Ehemaligen aus den Sicherheitsbehörden öfters „aktiv“ wurde. Das ist natürlich die perfekte Legende. So haben die Nachrichtendienste damit offiziell nichts zu tun, vor allem, wenn etwas schiefläuft. Aber Schmidbauer will die Frage nicht beantworten, ob er die Sicherheitsbehörden über das Marsalek-Treffen und über die Nowitschok-Sache informiert hat.
Warum will Schmidbauer die Frage Ihrer Ansicht nach nicht beantworten? Einige Involvierte betonen ja immer wieder, dass Beziehungen und Informationen alleine noch nichts Illegales sind. Immerhin ist das die Basis jedes nachrichtendienstlichen Geschäfts.
Wenn Schmidbauer die Sicherheitsbehörden nicht informierte, wäre das – nicht rechtlich, aber politisch – eine grobe Pflichtverletzung. Dann wäre die ganze Schmidbauer-BVT-Connection ein privates Netzwerk. Aber wozu?
Schmidbauer muss doch in seinem Alter (83 Jahre alt, Anm.) kein Geld mehr verdienen. Jetzt nehmen wir mal an, Schmidbauer hat die Sicherheitsbehörden über Marsalek und Nowitschok informiert. Dann würde das Märchen der deutschen Geheimdienste in sich zusammenfallen, wonach man bei BND und Verfassungsschutz bis zur Wirecard-Insolvenz nicht gewusst haben will, wer Marsalek ist.
Dann stellen sich nämlich eine ganze Menge anderer Fragen: Warum hat man zugesehen und die Hand über die kriminelle Bude Wirecard gehalten? Warum konnte Marsalek jetzt offenbar bei den Russen Unterschlupf finden?
Sie sehen also eine engere Verbindung zwischen dem pensionierten deutschen Geheimdienstkoordinator von Helmut Kohl, Bernd Schmidbauer, und ehemaligen BVT-Männern, die mit Jan Marsalek Kontakt pflegten. Kann das nicht einfach beruflich gewesen sein? Bislang ergaben die groß angelegten Ermittlungen gegen Ott keine anklagetaugliche Grundlage.
Schmidbauer hat doch kein Amt mehr. Und wenn ein ehemaliger Kanzleramtschef ständig mit dubiosen Figuren verkehrt – ob im Auftrag oder wegen privater Geschäfte –, hat das eine politische Dimension. Auf der anderen Seite gibt es ja Ermittlungen – ungeachtet dessen, was dabei rauskommt. Wenn jemandem Agententätigkeit für eine fremde Macht vorgeworfen wird, würde ich als ehemaliger Geheimdienstkoordinator bis zur Klärung der Vorwürfe Abstand halten.
Jedenfalls ist Schmidbauer seit einer Geiselbefreiung in Libyen wohl mit Weiss befreundet und hat diesen auch immer öffentlich verteidigt. Schmidbauer und Ott wiederum schlugen beide auch im Rahmen des BVT-Skandals, bei dem Weiss und Ott von den Behörden als Hintermänner bezichtigt werden, bei der Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf.
Gegen Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott laufen seit Jahren exorbitante Ermittlungen – bislang ohne anklagetaugliche Grundlage. Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, der Ott in seiner Einvernahme belastete, lebt unterdessen in Dubai. Zuletzt äußerte er sich in deutschen Medien über seinen engen Kontakt zu Marsalek.
Trotz zweier Hausdurchsuchungen konnten die Ermittler noch keine Beweise finden, welche für eine Anklage gegen Ott ausreichen. Mit den Aussagen De Masis konfrontiert, kontert Ott, dass er von der WKStA im BVT-Verfahren lediglich als Zeuge geführt worden sei. Als Hintermann sei er zumindest von der WKStA nie bezeichnet worden.
Ob in Deutschland gegen ihn ermittelt wurde, wisse er nicht. “Zumindest würde ich von einem Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden sein – da ist die deutsche Strafprozessordnung mit Sicherheit nicht anders als unsere”, so Ott. Die behaupteten Abfragetätigkeiten will er nicht durchgeführt haben, schließlich hätte er “seit November 2017 (Suspendierung, Anm.) gar nicht mehr die Möglichkeit, solche vorzunehmen” gehabt.
Gegen Ott wurde damals bereits wegen mutmaßlicher Russland-Spionage ermittelt. In Österreich, aber auch in Deutschland. Ott beklagte sich offenbar häufiger über die unzureichende Terrorabwehr in Österreich durch das BVT. In einer Liste von Personenabfragen durch Ott im Auftrag von Weiss taucht auch der Attentäter der Anschläge von Wien auf.
Medienberichten zufolge sollen sie sich erhofft haben, über die FPÖ-Außen- und Innenminister in der Kurz-Regierung (Kneissl und Kickl, Anm.) einen eigenen Nachrichtendienst im Umfeld des Außenministeriums zu etablieren. Das BVT sollte umgebaut werden.
Was manche angesichts der internen Grabenkämpfe und Politisierung des Amtes durch die vorigen ÖVP-Innenminister wohl gar nicht schlecht gefunden hätten…
Genau, zum Beispiel Jan Marsalek. Die ÖVP-Seilschaften waren natürlich ein Problem. Deswegen war es ja so wichtig, dass nach dem Ibiza-Skandal auch die BMI-Chats durch ZackZack veröffentlicht wurden.
Interessanterweise tauschte sich Schmidbauer jedoch nach eigener Aussage bei seinem Nowitschok-Treffen mit Marsalek auch über den Umbau der Nachrichtendienste aus. In welcher Eigenschaft tut dies ein vermeintlicher Rentner wie Schmidbauer eigentlich mit einem dubiosen Manager?
Im Zuge des BVT-Skandals wurde das BVT von Informationsflüssen des Berner Clubs, einem Club der westlichen Inlandsgeheimdienste, ausgeschlossen. Der Vorwurf: Undichte Stellen und Informationsabfluss nach Russland. Welche Rolle spielte Schmidbauer?
Schmidbauer nahm das BVT in der österreichischen Presse permanent aus der Schusslinie, plauderte über interne Sitzungen des Berner Clubs in Helsinki. Und er traf die damalige FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl sowie FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. Dabei stellte der „Kurier“ seiner Leserschaft Schmidbauer als deutschen Ex-Minister vor. Das war er als Kanzleramtsminister von Helmut Kohl ja auch. Das ist aber lange her. Welches Mandat also hat Schmidbauer, um solche Treffen abzuhalten?
Das alles störte die damals amtierende Merkel-Regierung und unsere Sicherheitsbehörden offenbar nicht. Man schickte später zur Unterstützung der Reform des BVT sogar einen weiteren deutschen Ex-Geheimdienst-Koordinator, Klaus Dieter Fritsche (CSU), mit Zustimmung des deutschen Kanzleramtes zum FPÖ-geführten Innenministerium nach Österreich. Fritsche lobbyierte übrigens auch für Wirecard.
Sie haben im ersten Teil unseres Interviews auch den ehemaligen militärpolitischen Berater von Angela Merkel, Erich Vad, angesprochen. Der eckte offenbar mit seiner Chefin an. Können Sie uns mehr über ihr Gespräch mit ihm erzählen?
Vad sprach ausführlich über seine Kritik am Zustand der Bundeswehr, die Fehler des Verteidigungsministers Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und die intensive Zeit nach dem Bombardement von Zivilisten durch die Bundeswehr im Kundus (Afghanistan, Anm.).
Vad betonte dabei, dass Frau Merkel eine gewisse Distanz zu Uniformen gehabt hätte. Das hänge wohl mit ihrer DDR-Sozialisation zusammen. Er, Vad, sei aber von ihrer Tapferkeit beeindruckt gewesen, als sie trotz Sicherheitswarnungen und einem extrem riskanten Anflug im afghanischen Luftraum nicht einmal mit der Wimper gezuckt hätte.
Also hatte er auch Respekt für seine Chefin – trotz unterschiedlicher Auffassung bezüglich Flüchtlingspolitik. Was hat er noch über Frau Merkel erzählt?
Ich glaube, seine Geschichten waren teilweise Strategie. So schrieb er mir später auch Textnachrichten, in denen er Jan Marsalek oder den österreichischen Immo-Unternehmer Cevdet Caner mit M. bzw. C. abkürzte. Im Gespräch äußerte er einmal, das habe er mit Frau Merkel auch immer so gehalten.
Ich glaube, das war ein Märchen. Er wollte wohl einfach, dass ich mich später nicht auf diese Nachrichten berufen kann, wenn es heiß wird.
Wer ist dieser Cevdet Caner?
Caner ist ebenfalls Österreicher. Der Milliardär gilt als Strippenzieher hinter der Adler-Gruppe. Der Immobilienkonzern wurde vom Leerverkäufer Fraser Perring, der auch gegen Wirecard gewettet hatte, attackiert. Die Wirtschaftsberater von KPMG prüften Adler, ähnlich wie bei Wirecard, und verweigerten kürzlich das Testat der Bilanz. Caner unterhielt außerdem Beziehungen zu Marsalek und dessen „Partner in Crime“, Henry O’Sullivan.
Die Causa Adler könnte also noch spannend werden – auch in Österreich. Aber was hat das alles mit Ex-Merkel-Berater Vad zu tun?
Das ist eine interessante Geschichte. Vad fragte mich gegen Ende unseres ersten Gesprächs, ob ich mir vorstellen könnte, in einen Beirat eines österreichischen, kurdischstämmigen Immobilienunternehmers zu kommen. Gegen diesen sei zwar einmal wegen Geldwäsche ermittelt worden, er sei aber absolut sauber, wie ihm das Wirtschaftsministerium bestätigt habe. Auch sei Caner in einem Prozess in Österreich von allen Vorwürfen freigesprochen worden.
Der 48-jährige Cevdet Caner ist ein österreichischer Unternehmer. In seiner Jugend war er zwei Jahre lang Vorsitzender der Sozialistischen Jugend in Linz. In der Vergangenheit machte er Schlagzeilen mit dem einstigen Immo-Dienstleister Level One. Am Landesgericht für Strafsachen Wien wurde er im September 2020 von Vorwürfen der Geldwäsche freigesprochen.
Im Zuge der jüngsten Berichte rund um den Immo-Konzern Adler Gruppe tauchte Caner immer wieder als Mann im Hintergrund auf.
Vad sei mit ihm in der China Lounge in Berlin in einem Fahrstuhl ins Gespräch gekommen, als dieser einen interessanten Satz über Clausewitz geäußert habe. Das ist so ein Muster bei Vad, dass er zu Beginn unserer Treffen scheinbar Trivia – wie seine Vorliebe für Clausewitz – einstreut und dann gegen Ende des Gesprächs wieder aufgreift.
Welche Funktion sollte dieser Beirat haben?
Das weiß ich nicht. Denn ich habe das umgehend abgelehnt. Ich hielt es ohnehin für eine Falle, um mich zu kompromittieren oder einzukaufen. Ich fand das Angebot sehr dubios.
Ich wusste damals auch noch nicht, dass es sich bei dem von Vad vorgestellten Unternehmer um Caner handelte – was mir Vad dann erst später nochmal ausdrücklich bestätigte. Ebenso waren mir die Beziehungen Caners zu Marsalek und die Tatsache, dass Wirecard-Shortseller Fraser Perring auch Adler im Visier hatte, damals noch nicht bekannt.
Ich hatte nur so ein Gefühl, dass es da irgendeinen Zusammenhang geben muss. Wieder ging es um mutmaßliche Geldwäsche und einen Österreicher. Und laut Vad waren vor allem Konservative in diesem Beirat.
Interessant, denn Caner war ja in der Vergangenheit in der oberösterreichischen SPÖ vernetzt. Meinen Sie, dieser Beirat existiert wirklich?
Ja, allerdings war er auch beim Spendendinner für den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet und hat in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen von Privatisierungen von Wohnungsbeständen durch den Ex-CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers profitiert.
Leute wie Caner sind politische Entrepreneurs. Parteibücher sind da gut für das Business. Ob es diesen Beirat wirklich gibt, weiß ich nicht. Es könnte sich auch um eine Nebelkerze oder eine Chiffre für etwas Anderes gehandelt haben.
Vielleicht war das nur ein Testballon, weil Vad herausfinden wollte, ob ich käuflich bin. Oder ob ich mich in sein ominöses Netzwerk einbinden lasse. Caner hat in der Branche einen umstrittenen Ruf. Beim Immobilienkonzern Adler liefen eine ganze Reihe krummer Dinge – zumindest, wenn man der jüngsten Berichterstattung folgt.
Worauf wollen Sie hinaus? Warum ist das alles relevant im Hinblick auf ihre These mit Wirecard und Geheimdienst- bzw. Sicherheitsnetzwerken?
Weil es einen Zusammenhang zwischen Caner, Marsalek und dem Leerverkäufer gibt. Das Spannende ist doch: Marsalek war kriminell. Solche Leute in Top-Positionen sind natürlich interessant, weil sie erpressbar sind. Es gab ja diese Verschwörungstheorie in Deutschland, wonach sich angelsächsische Spekulanten auf Wirecard eingeschossen hätten, um einem deutschen Erfolgsunternehmen zu schaden.
Vielleicht hat das Netzwerk im Umfeld deutscher Sicherheitsbehörden diese Story sogar verbreitet. Nach dem Motto: „Seht her! Der Shortseller Fraser Perring wettet immer gegen deutsche Unternehmen. Früher war er Sozialarbeiter, jetzt fährt er auf einmal Lamborghini.“
Die Nowitschok-Episode um Marsalek hat sicher die britischen Dienste auf den Plan gerufen. Denn Marsalek hat ja bewusst provoziert und im Jahr des Skripal-Anschlags versucht, im Herzen der City of London die russische Version der Ereignisse zu verbreiten. Damit ging er doch ein enormes Reputationsrisiko für Wirecard ein. Er fühlte sich aber offenbar sicher.
Fabio De Masi, Ex-Abgeordneter der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Finanzdetektiv im Wirecard-U-Ausschuss. Foto: Linksfraktion/Fabio de Masi, zVg.
Folgt man dieser Verschwörungstheorie, mussten die Briten Marsalek also im Visier haben.
Ich bin mir sicher, dass britische Sicherheitsbehörden das erfahren haben. Die “Financial Times” konnte die Dokumente aus Österreich sogar einsehen. Marsalak hat eine riesen Welle gemacht und das war alles im Jahr des BVT-Skandals und des Skripal-Attentats. Danach intensivierte sich jedenfalls die Wirecard-Berichterstattung der “Financial Times”, und das Leerverkaufsverbot wurde mit genau so einer Verschwörungstheorie herbeigeführt.
Demnach habe das Nachrichtenportal “Bloomberg” Wirecard auf sechs Millionen Euro erpressen wollen. Im Falle des Nichtzahlens dieses Betrages würde man gemeinsam mit der Financial Times in die kritische Berichterstattung einsteigen.
“Bloomberg” und “Financial Times” sind ja häufig führend, wenn es etwa um die Berichterstattung über die Russland-Geschäfte der Deutschen Bank geht.
Moment, die Berichterstattung soll nach dieser Lesart politisch erwünscht gewesen oder gar herbeigeführt worden sein? Es zweifelt doch wohl keiner daran, dass das Hand und Fuß hatte, was Financial Times & Co. aufdeckten.
Absolut nicht. Wirecard war eine kriminelle Bude. Was ich sagen will: Es gibt in der konservativen Wirtschaftselite Deutschlands eine Sichtweise, wonach Skandale und die harten Bandagen der US-Börsenaufsicht gegen Unternehmen wie die Deutsche Bank eine Art Wirtschaftskrieg seien.
Was ist also, wenn die konservativen Netzwerke davon ausgingen, dass ihnen womöglich ausländische Dienste über Leerverkäufer und über die Medien ihre mutmaßlichen Geheimdienstbuden, in dem Fall Wirecard, kaputtschießen wollten?
Ist das nicht auch eine wilde Verschwörungstheorie?
Es ist nur eine Hypothese. Diese Netzwerke arbeiten natürlich nicht so, dass man Beweise auf dem Tablett bekommt. Man muss dann zwangläufig spekulieren und dies erzeugt immer das Risiko, wie ein Spinner rüberzukommen. Ich frage mich einfach, wie es sein kann, dass die Staatsanwaltschaft und die deutsche Finanzaufsicht eine solche wilde Erpressungs-Story ungeprüft abkaufen?
Und die Rolle von Schmidbauer und Vad in der ganzen Akte Wirecard können nur die beiden beantworten. Sie weigern sich aber. Also haben die wohl auch etwas zu verbergen. Die Erpressungsstory wurde übrigens vom Anwalt Enderle aus der mittlerweile aufgelösten Sozietät Bub-Gauweiler vorgebracht. (Anm. d. Red.: Peter Gauweiler ist ein konservatives Urgestein der CSU, der häufig gegen die Regierungslinie von Angela Merkel opponierte und früher als Hardliner in der bayerischen Innenpolitik galt).
Wirecard könnte also eine „Geheimdienstbude“ gewesen sein. Zumindest aber war der Konzern von großem Interesse in Sicherheitskreisen. Wie sieht das denn bei der Adler Gruppe aus? Sie sprachen Parallelen an.
Ich behaupte nicht, dass dies alles mit der Billigung der Politik oder von Behördenspitzen geschah. Aber es geht hier um Leute, die für unsere Sicherheit Verantwortung in Deutschland trugen. Bezüglich Adler und einer Beziehung zu diesem Netzwerk oder Sicherheitsbehörden habe ich keinerlei Belege. Ich finde nur die Zusammenhänge zwischen Vad, Marsalek und Caner, und das dubiose Angebot an mich auffällig. Natürlich kann Vad sich das auch alles ausgedacht haben.
Ich habe mich bei Vad skeptisch über Caner geäußert, nachdem ich mich mit einem deutschen Wirtschaftsjournalisten über dieses Angebot ausgetauscht hatte. Ich habe sogar im Herbst 2021 eine Anfrage zur Adler Gruppe in den Bundestag eingebracht. Bei unserem letzten von insgesamt drei Treffen in München sagte Vad dann sinngemäß, er berate Caner ja nur darin, wie sich dieser auf dem politischen Parkett zu bewegen habe. Mit Adler habe dies ja nichts zu tun.
Das Interview führte Benjamin Weiser.
Titelbild: APA Picturedesk