Samstag, März 22, 2025

Öffentliche Kontrolle der EU-Corona-Milliarden bleibt Geheimnis

Brüssel hat die ersten Milliardenbeträge aus dem Corona-Wiederaufbaufonds ausgezahlt. Doch wie wird das Geld ausgegeben und wer profitiert davon? Das bleibt zum großen Teil ein Geheimnis. Auch in Österreich. #RecoveryFiles-Recherche:

Wien, 29. Juni 2022 | Der sogenannte Aufbau- und Resilienzplan der EU ist das Herzstück der Corona-Milliarden. Die Gelder sollen dem Wiederaufbau der EU-Staaten dienen, deren Kassen durch die Corona-Krise arg in Bedrängnis geraten sind. Voraussetzung ist, die Ausgaben mit grünen und digitalen Zielen in Einklang zu bringen. Doch wohin fließt das Geld wirklich? Wie wird es ausgegeben?

#RecoveryFiles, ein gemeinsamer europäischer Rechercheverbund, geht dieser Frage nach. Geleitet wird das Team vom niederländischen Aufdeckerportal „Follow the Money“, ZackZack ist einziges österreichisches Mitglied.

Österreich schweigt

In Österreich ist die Recherche aufgrund des Amtsgeheimnisses besonders schwer. Hierzulande gibt es kein Informationsfreiheitsgesetz. Dabei ist ein solches auf EU-Ebene eigentlich Standard. Die Milliarden, die an Österreich gehen, sind so noch schwerer zu verfolgen als in den anderen Mitgliedstaaten.

Das nutzt die türkis-grüne Regierung offenkundig aus. Eine ZackZack-Anfrage zu den letztendlich Begünstigten der EU-Gelder wollte das Finanzministerium von Magnus Brunner (ÖVP) nicht beantworten – trotz Nachfrage. Eigentlich hätte es so etwas wie eine zentrale Plattform mit Details geben sollen. Dazu später mehr.

Immer mal wieder sickern größere Teilbeträge durch, die an ganze Bundesländer gehen. Wie diese die Gelder dann verteilen, bleibt bislang ein Geheimnis.

Im Bereich Kunst und Kultur (Gesamtbudget 66,5 Millionen Euro) hat das Kulturministerium seine Ausgaben zumindest etwas konkreter umrissen: 35 Millionen Euro für die Sanierung der landeseigenen „Praterateliers“, 16,5 Millionen Euro für eine Digitalisierungsoffensive im Kulturerbe-Sektor, 16 Millionen Euro für die Landesinitiative „Klimafitte Kulturbetriebe“ zur Förderung von Klima-Innovationen im Kulturbereich.

Ahnungslose Geldhüterin

Wie die Kollegen von „Follow the Money“ berichteten, schien es kurzzeitig so, als würde die Chefin des Aufbau- und Resilienzplans der EU, Céline Gauer, die Fragen des Recherche-Teams gar nicht verstehen. Laut der EU-Spitzenbeamten sei es nämlich so, dass für eine Veröffentlichung der Begünstigten gar keine Rechtsgrundlage bestehe.

Bemerkenswert, denn Gauer ist es, die dafür sorgen soll, dass die 723 Milliarden Euro aus dem Corona-Rettungsfonds auch wirklich bei den richtigen Stellen landen. In der Vergangenheit habe sich laut „Follow the Money“ regelmäßig ein Missbrauch von EU-Geldern gezeigt.

Mahnendes Beispiel: Ungarn unter Rechtspopulist Viktor Orbán, der sein Heimatdorf üppig bediente. So zum Beispiel für den Bau eines Fußballstadions und einer sinnlosen Bahnstrecke zum Stadion.

Untersuchungen würden demnach zeigen, dass das Betrugs- und Korruptionsrisiko bei EU-Geldern im Vergleich zu Subventionen aus nationalen Haushalten überdurchschnittlich hoch ist.

Das Thema Transparenz und Regeleinhaltung sorgt innerhalb der EU immer wieder für heftige Debatten. Einige wollten gar eine Auszahlung der Milliarden an die Problemkinder Polen und Ungarn verweigern, da diese die europäischen Werte mit Füßen treten würden. Die Kommission setzte sich durch, Polen musste etwa beim Thema Justizreformen einlenken.

Und dennoch: Eine Verpflichtung zur Gewährleistung der Transparenz bei der Mittelvergabe gibt es nicht. Gauer gibt sich im Gespräch mit „Follow the Money“ bemerkenswert ehrlich: „Es wurde einfach nichts vereinbart.“

Scholz blockierte Nennungen

Besonders dreist in Sachen Intransparenz ist offenbar die deutsche Bundesregierung von Olaf Scholz (SPD). Deutschland habe sich laut dem Bericht der Zeitung „Die Welt“ ebenso wie Österreich geweigert, Fragen zu beantworten. Die größte Volkswirtschaft der EU ist gleichzeitig auch der größte Nettozahler beim EU-Aufbaufonds.

Und so verhält sich das Land auch. Denn von den Abgeordneten in Brüssel kam der ursprüngliche Wunsch nach einer transparenten Datenbank von Begünstigten. Deutschland aber verhinderte sie bereits im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft 2020, wie „Die Welt“ schreibt. Interne Kommunikation zeige, dass die damaligen Großkoalitionäre aus Union und SPD teils die eigenen EU-Abgeordneten in Brüssel ausgebremst hätten.

Dabei gäbe es bereits fertige IT-Kontrollsysteme, wie etwa das Tool Arachne. Das wird in den zuständigen österreichischen Ministerien aber nicht benutzt. In Deutschland „prüft“ man laut dem dortigen Finanzministerium noch, ob eine Nutzung Sinn machen würde.

Eines zeigt sich bei der Recherche zur mangelnden Transparenz erneut: Die Macht in der EU liegt bei den Mitgliedstaaten und irgendwo in den Untiefen der Brüsseler Exekutiv-Bürokratie, während Pläne des Parlaments torpediert werden. Der Korruption des EU-Milliardentopfes eröffnet das jedenfalls Tür und Tor.

(wb)

#RecoveryFiles ist ein paneuropäisches Investigativ-Projekt über den europäischen Covid-19-Rettungsfonds, das zum Teil durch den IJ4EU-Fonds ermöglicht wird. Für diese Untersuchung hat sich „Follow the Money“ mit Journalisten aus ganz Europa zusammengetan; den ersten Artikel können Sie hier lesen.

Unter den Mitgliedern sind:

Lars Bové (De Tijd, Belgien), Staffan Dahllöf (DEO.dk, Dänemark/Schweden), Alexander Fanta (netzpolitik.org, Deutschland), Marcos Garcia Rey (frei, Spanien), Ada Homolova (Follow the Money, Niederlande), Gabi Horn (Atlatszo, Ungarn), Jarno Liski (Iltalehti, Finnland), Piotr Maciej Kaczynski (Onet.pl, Polen), Maria Pankowska (OKO.press, Polen), Ante Pavic (Ostro, Kroatien), Giulio Rubino (IRPI, Italien), Adrien Sénécat (Le Monde, Frankreich), Peter Teffer (Follow the Money, Niederlande), Hans-Martin Tillack (WELT, Deutschland), Petr Vodsedalek (Denik, Tschechien), Ben Weiser (ZackZack, Österreich), Lise Witteman, (Follow the Money, Niederlande), Matej Zwitter (Ostro, Slowenien).

Hier geht’s zum Teaser-Video:

Das Team in Aktion: Hintergrundvideo.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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