Gratis Öffis und Klimaschutz-Grundrecht:
Der Klimarat übergibt am Montag seine Empfehlungen zum Klimaschutz an die Regierung. Was damit passiert, ist aber offen.
Wien 04. Juli 2022 | Ein halbes Jahr lang hat der österreichische Klimarat, bestehend aus zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, Maßnahmen für den Klimaschutz diskutiert und erarbeitet. Am Montag präsentierten einzelne Teilnehmende 93 Empfehlungen an die Politik.
Neben allgemeinen Empfehlungen wie einem Grundrecht auf Klimaschutz und Bewusstseinsbildung sind diese auf Handlungsfelder aufgeteilt: Energie, Konsum und Produktion, Ernährung und Landnutzung, Wohnen und Mobilität.
Lösungen sind da, Handeln gefordert
Walter Hutterer (73), einer der Bürger aus dem Klimarat, erzählte bei der Pressekonferenz am Montag, beim ersten wissenschaftlichen Vortrag im Zuge des Klimarats sei es ihm “kalt den Buckel runterg’rennt, wenn man sich die Dinge anhört, die auf uns zukommen.” Und er stellt klar: “Wir haben nichts Neues erfunden, wir haben Bestehendes verstärkt und ergänzt. Es liegt alles am Tisch – seit 40 Jahren. Wir müssen es nur tun.”
Im Empfehlungskatalog des Klimarates finden sich verschiedenste Maßnahmen: von einem Vernichtungsverbot von Lebensmitteln, über einen Stopp der Bodenversiegelung, Sanierungen höher zu fördern statt Neubauten bis hin zu gratis Öffi-Tickets und Auffüllstationen in Supermärkten und Drogerien.
Mehrwert Miteinander
Es ist kein vollständiger Katalog, der von Fachleuten erstellt wurde, so Georg Kaser, aus dem wissenschaftlichen Beirat des Klimarats. Diese Kataloge gebe es bereits. Die Empfehlungen seien natürlich sinnvoll abarbeitbar. Der größere Wert der Empfehlungen sei allerdings, dass er zeige, dass die Bevölkerung verstanden habe, worum es geht und was getan werden müsse. Das Ziel sei damit, die Entscheidungsträger zum Handlen zu bewegen.
Auch Georg Tappeiner vom Organisationsteam sieht den Wert des Klimarats in einem Miteinander: Der Klimarat habe gezeigt, dass alle Beteiligten eine Kultur des Miteinanders schaffen und über alle Unterschiede hinweg zu gemeinsamen Lösungen für ein Gemeinwohl finden könnten.
Das sei das Innovative am Instrument Klimarat, das die Politik nicht ersetzen soll. Der Klimarat biete die Möglichkeit zu einer notwendigen Diskussion des Klimaschutzes beizutragen, die in der breiten Gesellschaft ankommen müsse. Die beteiligten Personen tragen die Themen in ihre Gemeinden und ihr soziales Umfeld.
Alle Regierungsressorts in der Verantwortung
So eine Person ist auch Madeleine Stranzinger (52): “Ich habe original gar nichts mitbekommen vom Klimawandel, ich hatte nichts mit Klimaschutz zu tun und lebe ein äußerst durchschnittliches Leben. Ich trenne Müll, fliege zwei Mal im Jahr in den Urlaub und wenn es kalt wird, drehe ich die Heizung auf. Bis vor sechs Monaten habe ich mir keine Gedanken gemacht”, erzählte sie bei der Pressekonferenz.
Sie sei zuerst skeptisch gewesen, der Klimarat habe ihr Bewusstsein für das Klima aber verändert. Sie erwarte sich, dass sich die Regierung die Empfehlungen binnen eines halben Jahres ansehe und vor allem, dass sie in die Gänge komme. Die Empfehlungen betreffen alle Ressorts, nicht nur das Klima- und Umweltressort von Leonore Gewessler (Grüne). Notwendig sei eine Zusammenarbeit über alle Differenzen hinweg, hieß es.
Auf Schockstarre folgte Engagement
Georg Kaser erzählte, er habe anfangs große Zweifel gehabt: “Wie soll ich den 100 Menschen sagen, was wirklich Sache ist. Wie soll ich sagen, dass wir ganz knapp vor einer Klimakatastrophe stehen, die existenziell für die Menschheit sein wird?” Und auch, dass man das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung nicht erreiche, wenn man so weitermache und damit immer mehr in einen Bereich komme, wo die Katastrophe nicht mehr abwendbar sei.
Man habe am Anfang tatsächlich eine Schockstarre verursacht, so Kaser. Dank des Moderationsteams und der Inputs durch Forschende sei das aber schnell vorbei gewesen. Nach anfänglicher Überforderung hätten die Mitglieder des Klimarats das Ruder übernommen und “völlig autonom zu handeln begonnen”. Mittlerweile sei auch ein Verein gegründet worden, dem sich gut die Hälfte des Rates angeschlossen habe. “Wenn wir den Bürgern die Chance geben, sich zu informieren, werden Sie das Richtige tun!”, ergänzte Kaser.
Scharfe Regierungs-Kritik von SPÖ
Julia Herr, die Umwelt- und Klimasprecherin der SPÖ, meldete sich nach der Pressekonferenz per Aussendung zu Wort. Darin bedankte sie sich für die Arbeit des Klimarates, die SPÖ werde sich intensiv mit den Empfehlungen auseinandersetzen. Während die Grünen die Arbeit des Klimarates begrüßen würden, sei die Position der ÖVP abwertend.
Kritik äußert die Abgeordnete daran, dass völlig unklar sei, wie es jetzt mit den Ergebnissen des Klimarats weitergehe: “Der Klimarat hätte im Klimaschutzgesetz gesetzlich geregelt werden sollen. Aber das Klimaschutzgesetz ist seit 550 Tagen ausständig. Die Regierung hat es bis heute nicht geschafft, einen Vorschlag vorzulegen.” Und weiter: “Es gibt keinen Fahrplan wie Österreich den CO2-Ausstoß reduzieren will. Seit 2,5 Jahren ist diese Regierung im Amt und noch immer betreibt sie Klimapolitik im Blindflug!” Auch bei Energieeffizienz und Energieverbrauch ist die Regierung säumig.
(sm)
Titelbild: APA Picturedesk/ APA/TOBIAS STEINMAURER