Sonntag, Dezember 8, 2024

Rabensteiner: Ein fairer Handel

„Gegen all euer Leiden verschreibe ich euch Lachen“, sagte der französische Arzt und Humanist François Rabelais. Die wöchentliche Dosis Medizin verabreicht Fritz Rabensteiner.

 

Fritz Rabensteiner

Wien, 16. Juli 2022 | „Du brauchst eine neue Hose“, sagt meine Frau. „Keinesfalls“ entgegne ich lächelnd, „ich verfüge über ausreichend Beinkleider. Sie sind der Umwelt angepasst, aus robustem Material und zeichnen sich durch hohen Tragekomfort aus.“ Sie gibt nicht auf. „Geh zu H&M.“ „Bist du verrückt geworden? Bevor ich etwas von H&M kaufe, ziehe ich einen Kartoffelsack an.“

Sie weiß, dass ich manchmal zu Übertreibungen neige, will aber trotzdem den Grund meiner Ablehnung wissen. „Erstens: Mir passt nix von der Stange. Es muss alles geändert werden. Und ich habe keine Lust, mir von einem Schneider mit Kreidestaub an den Händen im Schritt herumfummeln zu lassen. Hatten wir alles schon. Inklusive der Frage, wo ich denn üblicherweise meine Natur trage. Und zweitens: Für meine Hose schuften in Bangladesch Frauen und Kinder rund um die Uhr für einen Hungerlohn. Und nur damit das klar ist: Ich kauf auch nichts bei C&A, Primark und KiK. Auch nichts bei Tchibo.“

Fairtrade ist super

Wussten Sie eigentlich, dass Tchibo auch Kaffee verkauft? War mir neu. Bei denen hängen im Schaufenster doch nur Unterhosen, Badetücher, Taucherflossen und so Zeugs. Aber egal. Jedenfalls wird es langsam eng bei der Auswahl an Lieferanten, die mir fair getradete Kleidung verkaufen könnten. Ich war vor ein paar Jahren in Indien. Da habe ich mir in Jaipur zwei Hemden machen lassen. Direkt vom Schneider vor Ort. Reine Seide. 40 Euro, das Stück. Lieferung noch am selben Abend. Dieses Fairtrade ist schon super. Da habe ich gleich viel besser geschlafen.

Andererseits kann ich wegen einer Hose nicht extra nach Delhi reisen. Das wäre ethisch zwar korrekt, wirft aber umgehend ein neues Problem auf. Nehme ich ein Flugzeug, schmelzen die Polkappen und die Eisbären sterben aus. Fahre ich mit der Bahn, bin ich Monate unterwegs. Meine Frau könnte nebenher mit dem Auto fahren, um das fehlende Schienennetz zu überbrücken, so wie das Bundespräsident van der Bellen kürzlich seinen Chauffeur machen ließ, während er gemeinsam mit dem niederländischen Königspaar mit der Bahn von Wien nach Graz fuhr. Verstehen Sie mich nicht falsch, derzeit liegen Schienen von Wien nach Graz. Aber es könnte natürlich passieren, dass plötzlich auf Höhe von Bruck an der Mur Schienen fehlen, es wird ja so viel gestohlen, von rumänischen Banden hört man da immer wieder, jedenfalls würde dann der Chauffeur…egal.

Klimaticket: Nichts für Indian Railways

Und mein Klimaticket wird in Indien nicht akzeptiert. Das hat mir Indian Railways schon bestätigt. Das war wieder so ein Fehlkauf von mir. Und das alles nur wegen einer Hose. Irgendwo liegt zu Hause noch eine Strickliesel herum. Das wäre zumindest einen Versuch wert. Oder ich buche einen dieser Selbstfindungskurse, wo einem Vortragende in Birkenstocksandalen ökologisch korrekt erklären, wie man töpfert und webt. Ich sehe mich schon eine Hose basteln, die nach einem Aschenbecher aussieht. Das hat schon in der Schule nicht funktioniert. Meine Vogelhäuser hätten sie sehen sollen. Vögel, die dort eingezogen sind, haben den Winter nicht überlebt.

Sorry, ich kann das nicht. Einmal mussten wir einen Christuskopf herstellen, als Furnier-Einlegearbeit. Der Dornenkranz sah aus wie ein Mopedreifen. Demütigend. Die Situation ist verfahren. Also recherchiere ich im Netz und bleibe bei KiK hängen. Der Geschäftsführer betont in einem Interview, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um die Situation der Näherinnen in Bangladesch zu verbessern. Das ist sehr lobenswert. Wenn die jetzt, sagen wir mal großzügig 15 Cent in der Stunde bekommen, dann ist das doch fair und marktgerecht. Danach muss aber Schluss sein. Denn wenn diese Weiber auch noch einen 8-Stunden-Tag bei einer 5-Tage-Woche verlangen, dann kann sich bei uns niemand mehr eine Hose leisten.

Die Armut im Osten ist wichtig für uns im Westen. Wer daran rüttelt, muss damit rechnen, dass die Produktion ausgelagert wird. In ein Land, wo noch billiger gearbeitet wird. Zum Beispiel in den Kongo, wo Kindersklaven für eine Handvoll Reis in Kobaltminen schuften, damit wir uns ein E-Auto kaufen können. Und nachdem sie schon Löcher gegraben haben, entsorgen wir dort später die alten Batterien. Die Kinder selbst werden zwar nie ein E-Auto haben, aber hey, sie leisten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Und das ist doch das Wichtigste.

Die Website des Autors finden Sie hier.

Titelbild: APA Picturedesk

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