Freitag, April 19, 2024

Rabensteiner: Ein fairer Handel

„Gegen all euer Leiden verschreibe ich euch Lachen“, sagte der französische Arzt und Humanist François Rabelais. Die wöchentliche Dosis Medizin verabreicht Fritz Rabensteiner.

 

Fritz Rabensteiner

Wien, 16. Juli 2022 | „Du brauchst eine neue Hose“, sagt meine Frau. „Keinesfalls“ entgegne ich lächelnd, „ich verfüge über ausreichend Beinkleider. Sie sind der Umwelt angepasst, aus robustem Material und zeichnen sich durch hohen Tragekomfort aus.“ Sie gibt nicht auf. „Geh zu H&M.“ „Bist du verrückt geworden? Bevor ich etwas von H&M kaufe, ziehe ich einen Kartoffelsack an.“

Sie weiß, dass ich manchmal zu Übertreibungen neige, will aber trotzdem den Grund meiner Ablehnung wissen. „Erstens: Mir passt nix von der Stange. Es muss alles geändert werden. Und ich habe keine Lust, mir von einem Schneider mit Kreidestaub an den Händen im Schritt herumfummeln zu lassen. Hatten wir alles schon. Inklusive der Frage, wo ich denn üblicherweise meine Natur trage. Und zweitens: Für meine Hose schuften in Bangladesch Frauen und Kinder rund um die Uhr für einen Hungerlohn. Und nur damit das klar ist: Ich kauf auch nichts bei C&A, Primark und KiK. Auch nichts bei Tchibo.“

Fairtrade ist super

Wussten Sie eigentlich, dass Tchibo auch Kaffee verkauft? War mir neu. Bei denen hängen im Schaufenster doch nur Unterhosen, Badetücher, Taucherflossen und so Zeugs. Aber egal. Jedenfalls wird es langsam eng bei der Auswahl an Lieferanten, die mir fair getradete Kleidung verkaufen könnten. Ich war vor ein paar Jahren in Indien. Da habe ich mir in Jaipur zwei Hemden machen lassen. Direkt vom Schneider vor Ort. Reine Seide. 40 Euro, das Stück. Lieferung noch am selben Abend. Dieses Fairtrade ist schon super. Da habe ich gleich viel besser geschlafen.

Andererseits kann ich wegen einer Hose nicht extra nach Delhi reisen. Das wäre ethisch zwar korrekt, wirft aber umgehend ein neues Problem auf. Nehme ich ein Flugzeug, schmelzen die Polkappen und die Eisbären sterben aus. Fahre ich mit der Bahn, bin ich Monate unterwegs. Meine Frau könnte nebenher mit dem Auto fahren, um das fehlende Schienennetz zu überbrücken, so wie das Bundespräsident van der Bellen kürzlich seinen Chauffeur machen ließ, während er gemeinsam mit dem niederländischen Königspaar mit der Bahn von Wien nach Graz fuhr. Verstehen Sie mich nicht falsch, derzeit liegen Schienen von Wien nach Graz. Aber es könnte natürlich passieren, dass plötzlich auf Höhe von Bruck an der Mur Schienen fehlen, es wird ja so viel gestohlen, von rumänischen Banden hört man da immer wieder, jedenfalls würde dann der Chauffeur…egal.

Klimaticket: Nichts für Indian Railways

Und mein Klimaticket wird in Indien nicht akzeptiert. Das hat mir Indian Railways schon bestätigt. Das war wieder so ein Fehlkauf von mir. Und das alles nur wegen einer Hose. Irgendwo liegt zu Hause noch eine Strickliesel herum. Das wäre zumindest einen Versuch wert. Oder ich buche einen dieser Selbstfindungskurse, wo einem Vortragende in Birkenstocksandalen ökologisch korrekt erklären, wie man töpfert und webt. Ich sehe mich schon eine Hose basteln, die nach einem Aschenbecher aussieht. Das hat schon in der Schule nicht funktioniert. Meine Vogelhäuser hätten sie sehen sollen. Vögel, die dort eingezogen sind, haben den Winter nicht überlebt.

Sorry, ich kann das nicht. Einmal mussten wir einen Christuskopf herstellen, als Furnier-Einlegearbeit. Der Dornenkranz sah aus wie ein Mopedreifen. Demütigend. Die Situation ist verfahren. Also recherchiere ich im Netz und bleibe bei KiK hängen. Der Geschäftsführer betont in einem Interview, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um die Situation der Näherinnen in Bangladesch zu verbessern. Das ist sehr lobenswert. Wenn die jetzt, sagen wir mal großzügig 15 Cent in der Stunde bekommen, dann ist das doch fair und marktgerecht. Danach muss aber Schluss sein. Denn wenn diese Weiber auch noch einen 8-Stunden-Tag bei einer 5-Tage-Woche verlangen, dann kann sich bei uns niemand mehr eine Hose leisten.

Die Armut im Osten ist wichtig für uns im Westen. Wer daran rüttelt, muss damit rechnen, dass die Produktion ausgelagert wird. In ein Land, wo noch billiger gearbeitet wird. Zum Beispiel in den Kongo, wo Kindersklaven für eine Handvoll Reis in Kobaltminen schuften, damit wir uns ein E-Auto kaufen können. Und nachdem sie schon Löcher gegraben haben, entsorgen wir dort später die alten Batterien. Die Kinder selbst werden zwar nie ein E-Auto haben, aber hey, sie leisten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Und das ist doch das Wichtigste.

Die Website des Autors finden Sie hier.

Titelbild: APA Picturedesk

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26 Kommentare

  1. Hat jemand zufällig den Film Workingman’s Death von Michael Glawogger gesehen? War vor ca. 15 Jahren im Kino und beschreibt, unter welchen unbeschreiblichen Bedingungen Menschen arbeiten (müssen), um überhaupt zu überleben.

  2. Sie haben ja soo recht, Herr Rabensteiner!

    “… Denn wenn diese Weiber auch noch einen 8-Stunden-Tag bei einer 5-Tage-Woche verlangen, dann kann sich bei uns niemand mehr eine Hose leisten…”

    Stellen sie sich nur vor, diese von ihnen angesprochene Hose würde drei Euro MEHR kosten für uns Schmarotzer.
    Und dafür würden wir diesen “Weibern” in Bangladesh gnädigerweise auch noch ein menschenwürdigendes Auskommen quasi SCHENKEN .

    UNZUMUTBAR für uns barmherzige Samariter!

    Von den Kindern, die durch uns einen Abenteuerspielplatz in Kobaltminen bezahlt kriegen, willich schon gar nicht reden.

    Völlig realitätsfremde Menschen, wohin man auch schaut auf dieser Welt. Anstatt uns dankbar zu sein, beklagen sie sich über angeblich unzumutbare Arbeitsbedingungen!
    ES IST EINFACH UNGLAUBLICH!

  3. Es stimmt schon: Kostenwahrheit haben die maßgeblichen Industriekapitäne (auch Cargo-, Logistik, Produktion, Rohstoff und nicht zuletzt Handel- und Werbeindustrien samt deren Politik-Handlanger:innen in der Rahmengesetzgebung) nicht auf dem Zettel ihrer Betriebswirtschaft.

    https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/muellhalde-atacama-wueste-101.html

    Der Link nur ein einziges Beispiel unter 1000en. Globalisierung, sogen. “Wohlstand” auf Kosten Natur-Ressourcen und Ausbeutung… Der Erdball erstickt im Müll. Wir verursachten das vermutlich bisher größte Massensterben, die Klimakatastrophe, damit auch unser langsames Sterben. Lassen uns weltweit durch Arbeitsplatz- und Produktivitätsdruck erpressen, demütigen, umbringen, korrumpieren…

    -> Kaufe zB (d)eine Hose mit Kostenwahrheit in lokaler Produktion. Kostet das 10fache, hält aber auch 10 mal länger. Figürlich müsstest dich dann aber auch einschränken, damit sie dir so lange passt… 😉

  4. Steht’s bereit zur Feinsinnigkeit. Das Wort Gut Hort, das Dilemma steht’s zur Seite des manchen Umkehrschluß wards schon als Verdruss noch immer kein Gnadenschuß.
    Viva la dem steinernem Raben.
    Viva

  5. Ich kannte Rabensteiner nicht .
    Danke an PP
    Danke an ZZ
    Der Typ ist für mich Granate.
    Ich liebe diesen Schmäh.
    Gut als WIener kann man gut damit umgehen.
    Ps:
    Mehr Fotos vom Scheisser und Furzer. You know??? Auf Twitter

  6. Lieber Herr Rabensteiner, der Zynismus der sich durch Ihren ganzen Kommentar zieht, ist absolut berechtigt…
    Es muss viel heller werden!

  7. Gegen alle eure Leiden verschreibe ich euch ein Lachen – ist mir allerdings schon lange vergangen, ich werd’ nie wieder gesund solange ausgewiesene volltrottel unser Land ruinieren.

  8. momentan ist ausverkauf allerorten, schon probiert bei hessnatur, grüne erde, waschbaer, u wie sie sonst so alle heißen.

  9. Die Sache mit dem Auto… ist nicht so schwierig wie gedacht. “Unser Weg zurück” wird – seit Kurz auf dem Radar erschien – ohne Verschnaufpause abgewandert. Da ist es nur recht und billig, wenn eine Regierung mit Anstand und Verantwortung sich zuerst um den Pöbel kümmert, der unfreundlicherweise in der letzten Zeit etwas zu viel über die Drangsalierungen aufbegehrt hat. Was *es* braucht, ist eine knallharte Gegensteuerungsmaßnahme. Parteipolitisch übersetzt: Dem Gsindl wird die erste klimatechnische umweltfreundliche Sparmaßnahme gesetzlich vorgeschrieben:
    Das Auto der Familie Feuerstein 🙂

  10. Der Mensch trachtet nach Übertreibung.
    Immer schon. Wenn wir unsere ” Probleme” in Ruhe betrachten würden….wenn wir eine Regierung hätten die arbeitet…….und….und.
    Dann wäre es etwas leichter.

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