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ME/CFS: Wie Betroffene ignoriert und belächelt werden

Das ist eine Unterüberschrift

Menschen, die mit der Krankheit ME/CFS leben, fallen in Österreich allzu oft durch die Versorgungssysteme der Krankenkassen und der Pensionsversicherung. Woran das liegt und was getan werden müsste.

Stefanie Marek

Wien, 19. Juli 2022 | Christina M. kann nachts nicht schlafen. Oft liegt sie bis sechs Uhr früh wach, manchmal länger. Die Schmerzen in allen Gelenken und Muskeln und auch das Kopfweh hören niemals auf. Die kleinsten Tätigkeiten sind für sie unermesslich anstrengend.

Christina M. (Name von der Redaktion geändert) ist 43 Jahre alt, bei ihr wurde bereits vor mehr als 20 Jahren ME/CFS diagnostiziert. An der schweren Multisystemerkrankung, bekannter als „chronisches Erschöpfungssyndrom“, leiden in Österreich Schätzungen zufolge 25.000 Menschen. Die Krankheit kann auch nach einer Covid19-Infektion auftreten – Stichwort Long Covid.

Betroffene fallen durchs Versorgungssystem

Ein großes Problem für viele Betroffene in Österreich: Sie fallen „zwischen den Versorgungssystemen der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und dem Arbeitsmarkservice (AMS) durch und landen allzu oft in der Mindestsicherung“. So benannte Andreas Huss, Arbeitnehmer-Obmann der Österreichischen Gesundheitskassen, im Februar das Problem in einer Aussendung zu Long Covid und ME/CFS.

Er fordert, dass sich das ändern muss. Doch obwohl Long Covid auch ME/CFS mehr Aufmerksamkeit eingebracht hat, liegt in Österreich noch vieles im Argen. Eine große Herausforderung: Obwohl ME/CFS seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als neurologische Krankheit anerkannt ist, ist es nicht ausreichend erforscht und gilt als schwer zu therapieren. Spezifische Medikamente gibt es bis heute nicht.

“Ich habe immer geglaubt, ich muss das machen und habe mich dadurch noch mehr kaputtgemacht.”

Arbeit: Der Wille ist da, die Kraft nicht

Das erschwert das Leben der Betroffenen enorm. Denn ME/CFS führt bei vielen zu Arbeitsunfähigkeit, leichter Betroffene sind in ihrer Leistung stark eingeschränkt. Es ist eben nicht nur „ein bisschen Müdigkeit“, wie es fälschlicherweise oft abgetan wird.

Christina M. hat in den letzten 20 Jahren Vollzeit gearbeitet: „Ich habe mich immer durchgekämpft, auch wenn ich oft schon total fertig war. Ich habe immer geglaubt, ich muss das machen und habe mich dadurch noch mehr kaputtgemacht.“

Seit 2018 ist sie zuhause, jetzt lebt sie von der Notstandshilfe. Ständig ist sie auf der teuren Suche nach neuen Therapien und Behandlungsmöglichkeiten – „damit ich wieder arbeiten kann.“

Gutachterin ohne Expertise zur Krankheit

2021 stellte Christina M. dann nach langem Zögern einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA). Der Antrag wurde nicht bewilligt und sie ging vor Gericht – und verlor.

Laut dem gerichtlichen Gutachten könne sie 30 Stunden pro Woche arbeiten, mit Psychotherapie und Schlaftabletten würde sich ihr Zustand bessern – kein Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension also. Für Christina M. ein schlechter Scherz.

Gerichtliche Sachverständige sollten aus dem Fachbereich kommen, dem die Krankheit der betroffenen Person zuzuordnen ist. ME/CFS fällt in mehrere Fachbereiche. Das Urteil, das ZackZack vorliegt, gründet sich auf das Gutachten einer Sachverständigen, die zwar Neurologin ist, aber über keine ausgewiesene Expertise zu ME/CFS verfügt.

“Es ist entscheidend, dass bei ME/CFS Aktivität nur im Rahmen der persönlich zur Verfügung stehenden Energiereserven stattfinden soll, weil es sonst zu einer Verschlechterung kommen kann, die möglicherweise auch irreversibel sein kann.”

Leistung wichtiger als Diagnose

Auf Nachfrage von ZackZack weist die betreffende Gutachterin darauf hin, dass es beim Gerichtsverfahren nicht vorrangig darum gehe, welche Krankheit die betreffende Person habe, sondern ob und inwiefern die Person leistungsfähig sei. Das nennt man „Leistungskalkül“.

Die Begutachtung habe Christina M. irritiert. Die Gutachterin habe ihr vermittelt, dass sie ME/CFS nicht ernst nehme und habe die Krankheit als reine „Verlegenheitsdiagnose“ bezeichnet, so M.

Zu hohe Belastung kann alles verschlechtern

Was bedeutet es gesundheitlich, arbeiten zu müssen, obwohl man durch ME/CFS dazu nicht in der Lage ist? Die Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber, die an der Medizinischen Universität Wien zu ME/CFS forscht, sagte gegenüber ZackZack: „Es ist entscheidend, dass bei ME/CFS Aktivität nur im Rahmen der persönlich zur Verfügung stehenden Energiereserven stattfinden soll, weil es sonst zu einer Verschlechterung kommen kann, die möglicherweise auch irreversibel sein kann.“

Kein Einzelfall: Betroffene kritisieren Zustände

Christina M. ist kein Einzelfall. Im aktuellen ME/CFS-Report von 2021 verweist die CFS-Hilfe Österreich, eine Patientenorganisation von Betroffenen, auf „gravierende Mängel und zusätzliche Hürden“ und zwar „von der Diagnosestellung bis hin zur finanziellen Absicherung“ von Betroffenen.

Der Bericht bezieht sich auf zahlreiche Beratungsgespräche, in denen Betroffene von sehr ähnlichen Situationen wie der von Christina M. und sogar von verbalen Einschüchterungen berichten. Sie erzählen von PVA-Gutachtern, gerichtlichen Sachverständigen und medizinischem Personal, die ME/CFS nicht kennen, die Krankheit trotz vorliegender Befunde ignorieren, belächeln oder sie völlig falsch einschätzen.

„Man fühlt sich wie ein Mensch zweiter Klasse.“

Wenig Wissen als Problem

Das Fazit: Viele Betroffene fühlen sich von genau jenen Institutionen nicht ernst genommen, die über Unterstützungsleistungen entscheiden. Es ist ein ständiger Kampf um Anerkennung des eigenen Zustands. Christina M. sagt: „Man fühlt sich wie ein Mensch zweiter Klasse.“

Für Eva Untersmayr-Elsenhuber komme es dann dazu, dass Betroffene nicht ernst genommen werden, wenn nicht genug Wissen über eine Erkrankung verfügbar ist. Daher sei Forschung in dem Bereich so wichtig.

CFS-Hilfe: Interessenskonflikt bei Versicherungen

Die CFS-Hilfe vermutet, dass das Nichternstnehmen der Krankheit durch Versicherungen und Gesundheitskassen auch finanzielle Gründe haben könnte und ortet einen Interessenskonflikt: Versicherungen, wie auch die PVA, die über Reha- oder Pensionsleistungen entscheiden, teilen selbst Gutachter zu, heißt es im ME/CFS-Report.

Die PVA betont auf Nachfrage von ZackZack, dass die Zuweisung der für die PVA tätigen Gutachter automatisiert erfolge und diese alle zertifiziert und zu Weiterbildungen verpflichtet sind.

Weiter heißt es: „Wir sind verpflichtet, über jede*n Antragsteller*in ein objektives auf Fakten basiertes Gutachten zu erstellen.“ Geht es nach den Betroffenen, ist das in der Praxis jedoch allzu oft nicht der Fall.

CFS-Hilfe: Was sich ändern muss

Um die Situation von Betroffenen zu verbessern, liegen bereits Forderungen und Verbesserungsvorschläge der CFS-Hilfe auf dem Tisch. Das wichtigste sei ein österreichweites öffentliches Bewusstsein für die Krankheit: Bewusstseinskampagnen bei Versicherungen, Sozialstellen und unter Gesundheitspersonal wären entscheidend.  Mehr Forschung und die Verankerung von ME/CFS in den Lehrplänen von Medizinuniversitäten wären ebenfalls nötig.

Die Arbeitsmöglichkeiten an die Situation Betroffener anzupassen, etwa Arbeit von zuhause zu ermöglichen, längere Pausen und weniger Stunden, bei denen der Rest des Einkommens aufgestockt wird, könnten helfen.

Christina M. kämpft weiter

Christina M. hat die Hoffnung, doch noch eine Behandlung zu finden, jedenfalls noch nicht aufgegeben. Auch bei der PVA wolle sie es noch einmal probieren.

Ihr AMS-Betreuer sei sehr verständnisvoll und nehme sie ernst, sagt M. Dass sie in dem Umfang arbeitsfähig sei, der von der PVA per Gutachten festgestellt wurde, musste sie jedoch unterschreiben. Ansonsten würde ihr die Notstandshilfe gestrichen werden. Jetzt muss sie auf eine weitere Abklärung zu ihrer Arbeitsfähigkeit warten.

Titelbild: Pixabay

Autor

  • Stefanie Marek

    Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.

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