Sonntag, Dezember 8, 2024

Radau um Bau in der Venediger Au – Reportage

Reportage

Wie baut man eine Sporthalle ohne Baugenehmigung? Ein schwammiger Paragraf und Intransparenz seien das Geheimnis, behauptet eine Bürgerprotestbewegung im 2. Wiener Gemeindebezirk. Was ist da los in der Venedig Au? ZackZack war vor Ort.

Anja Melzer

Es ist ein Montagmorgen Mitte Juli, in einem grünen Wiesenzipfel nahe des Wiener Pratersterns zwitschern die Vögel, der Wind geht ein bisschen zu stark für diese Jahreszeit, ansonsten scheint hier alles völlig friedlich. Doch die Idylle trügt. Hier in der Venediger Au herrscht Streit.

Ort des Geschehens: ein langer Bauzaun. Er teilt das Areal in zwei Welten. Auf der einen Seite werden gerade Stehtischchen mit weißen Tischdecken bezogen, Menschen in Anzug oder Kostüm lachen sich fröhlich zu. Auf der anderen Seite sammeln sich finsterere Minen, noch ist das Grüppchen allerdings sehr überschaubar.

„Wie zackzack das hier jetzt geht“, sagt einer der Schlechtgelaunten, das sei schon sehr bemerkenswert, und er meint dabei nicht unsere Zeitung. „Nix funktioniert sonst in dieser Stadt so schnell“, fügt er hinzu. Eine andere Frau schnaubt aufgebracht vor sich hin: „Sie lügen von Anfang bis Ende, um das hier durchzusetzen!“

Was ist hier los? Wer sind „sie” und wieso fühlen sich die Anwesenden jenseits des Bauzauns, hier, mitten an diesem Fleck im zweiten Wiener Gemeindebezirk, derart übergangen? Diese Geschichte muss man an einem früheren Zeitpunkt beginnen.

Wie alles begann

Im November 2021 verdichten sich Gerüchte, dass sich ein passender Standort für eine neue Sport- & Fun-Halle im zweiten Gemeindebezirk gefunden habe. Die alte – bisher zwischen Stadion Center und Handelskai gelegen – wird einem neuen, riesigen Fernbus-Terminal weichen und wird abgerissen, so wie auch gerade das lang gediente Ferry-Dusika-Radstadion direkt daneben, die Kosten für den Neubau gehen in den neunstelligen Bereich. Im Moment hält die alte Fun-Sport-Halle noch als Erstaufnahmequartier für Geflüchtete aus der Ukraine her.

Ziemlich üppig kalkuliertes Mega-Projekt, könnte man an der Stelle einwenden, doch das teure Busterminal war es gar nicht, was die Gemüter so erhitzte. Der Busbahnhof halte nur als billiges Standortargument her, so die Kritik. Auch gegen städtische Sporthallen habe man nichts, im Gegenteil, Sport sei wichtig und richtig. Sie störten sich vielmehr am neuen, anvisierten Ausweichquartier: die – unbestritten in die Jahre gekommene – Jugendsportanlage in der Venediger Au, die Grünfläche zwischen Prater, Praterstern und dem Stuwerviertel. Eine kleine, grüne Oase zwischen vierspurigen Straßen, Häuserblocks und dem vor allem durch seine monotone Betondichte bestechenden Praterstern-Bahnhof.

Rotlicht-Venedig

Benannt nach den hier angrenzenden, nach venezianischem Vorbild gestalteten Fassaden, galt der Ort lange als berüchtigt: Er bildet sozusagen das Eingangstor in das einstige Rotlicht-Grätzel. Doch in den vergangenen Jahren wirkte das Stuwerviertel so verschlafen, dass es selbst die schleichende Gentrifizierung teils verpasste. Diese Gemütlichkeit änderte sich, so wirkt es, schlagartig mit den Hallen-Bauvisionen. Der Kampf um die Wiese brach aus.

Eine Bürgerinitiative formierte sich, sammelte Unterschriften, innerhalb von nur drei Tagen hatte sie genug Namen beisammen, um sich für den Petitionsausschuss der Stadt zu qualifizieren, man verteilte Flyer, organisierte Aktionen und Feste, rumorte im Gemeinderat und erwirkte schließlich sogar ein offizielles Bürgergespräch mit demjenigen, an dem sich ihre Wut abarbeitet: dem roten Bezirksvorsteher Alexander Nikolai. Der hatte 2020 die Leopoldstadt von den Grünen zurückerobert und wieder umgefärbt.

Hotspot für Trendsport

Der Schreck über die Baupläne war groß. Errichtet werden soll die Halle als Holzbau, rund um einen Kern aus Stahlbeton. Im Freien ist ein Sportrasen geplant, drinnen soll es Felder für „Trendsportarten“ geben, also Beachvolleyball, Badminton, Streetsoccer, Streetbasketball, Hockey. Alles ganz multifunktional, die SPÖ bewirbt den Neubau der Halle als „klimafreundlich” und “energieeffizient”, begrünt von Fassaden-Kletterpflanzen und Gras am Dach, eine eigene Fotovoltaikanlage soll den Strom liefern. Die geplanten Maße: 13 Meter hoch, 40 Meter breit und 70 Meter lang. Insgesamt soll die Halle inklusive aller Nebenräume rund 3.700 Quadratmeter Nutzfläche umfassen, dazu solle es rund 4.800 Quadratmeter Freifläche geben. 15 Millionen Euro soll der Quader kosten, bezahlt aus dem Busterminal-Budget, 16.000 Schüler und Schülerinnen werden von der Sportstätte profitieren. So jedenfalls die Theorie, zurück in den Praxis, zurück zum Julimontag.

Die Prominenz trifft ein: SPÖ-Sportstadtrat Peter Hacker, dessen Mimik die Freude über die willkommene Abwechslung vom sonst so herausfordernden Corona-Krisenmanagement ausdrückt. Natürlich auch der rote Bezirksvorsteher Nikolai. Oder zum Beispiel auch der SPÖ-Stellvertreter der Leopoldstadt. Der marschiert beschwingt durch den Park, direkt an der unzufriedenen Bürgeransammlung vorbei, um den in Kürze beginnenden Spatenstich-Festlichkeiten beizuwohnen. Der Sozialdemokrat spöttelt noch über die immer noch recht kleine Demo-Gruppe, dann verschwindet er zwischen den Bauzäunen.

Übereilter Spatenstich?

Dass überhaupt Leute um diese Uhrzeit gekommen sind, überrascht, der Aufruf der Bürgerinitiative dazu war erst am sonntäglichen Vorabend erfolgt. Der klang dafür äußerst alarmiert: Kurzfristig und spontan habe man vom terminierten Spatenstich für den Hallen-Baustart erfahren. Ihr Vorwurf: Die SPÖ habe absichtlich dieses Zeitfenster am Montagmorgen gewählt, während halb Wien gerade vor sich hin urlaube oder sich wegen der lähmenden Juli-Hitze in Büros und Wohnzimmern verkrieche, um das Ganze unbemerkt über die Bühne zu bringen. Wenig später mit der Frage konfrontiert, woher die Eile rühre, hatte die Politikergruppe keine Antworten, nur Schmunzeln übrig.

Wer allerdings aller Widrigkeiten zum Trotz auffällig zahlreich vertreten ist: die Polizei. „Sie haben hier ja ein ganz schönes Aufgebot“, meint einer der Sporthallen-Gegner in Richtung der herumstehenden Beamten. Die Nervosität der Wiener Polizei scheint nach den bekannten, teils ausgearteten Klimaprotesten wie dem in der Lobau auch hier in der Venediger Au greifbar.

Die Polizei ist schon da, als sich die ersten zum Protest einfinden. (c) am

Pfui

Grünen-Bezirksvorsteher-Stellvertreter Bernhard Seitz, der die spontane Demo angemeldet hatte, beginnt die Umstehenden zu animieren, Transparente „aus dem Demowagen“ zu ziehen. Der Demowagen: der mitgebrachte Kinderwagen des jungen Vaters. Kurz darauf entrollen die Demonstranten selbstgebastelte Plakate, es erklingen die ersten Rufe – und dann wird es richtig laut. „Kein Verbau der Venediger Au!“, „Pfui!“ und schrille Pfiffe hallen durch den Park, geradewegs gerichtet an die Politprominenz und die Baukönige auf der anderen Seite des Baugitters. Ihre Hände klammern sich wütend an die Baugitter.

Bernhard Seitz, Bezirksvorsteher-Stellvertreter (Grüne) im 2. Wiener Gemeindebezirk. (c) am

Auf den ersten Blick wirkt die Szene wie immer: Wenn Grünflächen in der Stadt bebaut werden, herrscht Widerstand. Aber in diesem Fall geht es um mehr als Versiegelung.

Wieso, zeigt an jenem Montagvormittag eine fast skurril anmutende Szene in der zweiten Reihe, zwischen den Bäumen, die wohl die wenigsten überhaupt mitbekommen. Doch sie ist ein Schlüsselmoment und offenbart, worin der Kern dieser ganzen Aufruf und des Anrainerwiderstandes liegt. Plötzlich nähert sich der Einsatzleiter der Polizei und raunt – während der Rest lauthals weiter skandiert – Grünen-Chef Seitz hinter vorgehaltener Hand zu: „Und, gibt’s da jetzt eigentlich eine Baugenehmigung oder nicht?“

Der Demowagen. (c) am

Grünfläche oder Baugrund?

Was Seitz genau antwortet, geht im Lärm des Protests unter, doch er wird den Bau an späterer Stelle als „illegal“ bezeichnen. Schließlich fehle die Flächenwidmung – und damit eben auch die Baugenehmigung. Laut Flächenwidmungsplan nämlich darf auf der Wiese der Jugendsportanlage nicht gebaut werden. Das Gelände ist als Erholungsgebiet gewidmet, als Sport- und Grünland, eine weitere Verbauung ist nach der derzeitigen Widmung ausgeschlossen. Das weist der Zusatz „BB1“ im Flächenwidmungsplan dezidiert aus. Um trotzdem zu bauen, müsste die Fläche also zuerst umgewidmet werden. Übrigens: Einen öffentlich ausgeschriebenen Architekturwettbewerb, wie sonst bei vergleichbaren Projekten üblich, hat man gleich ganz ausgelassen. Seitz wirft den Verantwortlichen intransparentes Vorgehen vor.

Ist dieses Projekt überhaupt also von der Bauordnung gedeckt? Die Stadt Wien argumentiert in dieser Frage mit einem speziellen Paragrafen, nämlich §71 der Wiener Bauordnung, der da lautet: „Bauwerke, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, (…), kann die Behörde auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen.“ Sprich: erst eine temporäre Bewilligung, dann der Hallenbau und zum Schluss die permanente Flächenumwidmung. Dieser Befristung zustimmen muss die Baupolizei, angesiedelt in der MA37. In der Abwägung handele es sich um „Ermessensentscheidungen“, heißt es von der Behörde.

„Gummiparagraph“

Dass eine quasi nachträgliche offizielle Umwidmung dann nur noch Formsache sein könnte, das hat der Chef der Wiener Baupolizei, Gerhard Cech, im Mai in der Tageszeitung „Die Presse“ offen angedeutet: Ein derartiges Prozedere sei in besonderen Fällen möglich, „wenn es bereits eine Umwidmungsabsicht gibt“. Und: „Es kommt nicht oft vor, aber es kommt vor.“ Würde die Umwidmung später nicht erfolgen, müsste das Gebäude wieder abgerissen werden, das sei aber noch nie passiert.

Das erbost nicht nur die Protestanrainer, in der aktuellen Ausgabe der Wiener Straßenzeitung „Augustin“ spricht man gar von einem „Gummiparagraphen“. In der Architekturszene, steht da, munkele man schon länger, dass die Wiener Bauordnung weniger der Schaffung von Rechtssicherheit diene, sondern ein „Machtinstrument“ der Stadtregierung sei.

Sandspielplatz

Ein „ganz schlechtes Beispiel für die Grundstücksspekulanten in der Stadt“, so die Wiener Grünen. Bernhard Seitz nennt es „einen Skandal erster Güte“: „Was hier passiert, ist demokratiepolitisch einfach falsch.“ Passieren tut es dennoch. Noch während er diese Worte ausspricht, greifen die Herren am Baugelände zu den Spaten, Bezirksvorsteher, Stadtrat & Co. platzieren sich in einer Reihe vor einem Sandhaufen, es klicken die Presse-Kameras, und mit fast kindlicher Freude rammen die Herren ihre Schaufeln in den Boden und wirbeln jeder eine Schippe Sand durch die Luft. Im Hintergrund hallen weiter die Protestrufe.

Der Spatenstich. (c) David Bohmann / PID

Die Gruppe ist inzwischen personell größer geworden, neben den Grünen haben sich auch Parteivertreter von KPÖ und Links und viele Anrainer und Sympathisanten dazu gesellt. Als reine Grünen-Demotruppe möchten sie sich hier drüben nicht verstanden wissen. „Die Grünen hätten ja schon auch mehr tun können“, meint ein Mitdemonstrant, und hält ein selbstgebasteltes Plakat hoch. Auf diesem prangen Worte wie „rosa-rote Rüpel“ als Anspielung auf die SPÖ-NEOS-Stadtregierung, „rücksichtsloses Ramponieren“ oder „rotzfrech ruinieren.“

Nicole Raker, Sprecherin der Bürgerinitiative “Kein Verbau der Venediger Au”. (c) am

Während der Wind nachlässt, sich der Tag dem Mittag annähert, die Sonne aufs Stuwerviertel knallt und einen Vorgeschmack auf die heißen Temperaturen gibt, die besonders in diesen Tagen über der Hauptstadt brüten, fasst Nicole Raker, Sprecherin der Bürgerinitiative, zusammen, wofür sie kämpft: Wien brauche weniger Bodenversiegelung, nicht mehr. „Hier wird mitten in einem grünen Park eine große Wiese, die wir alle nutzen könnten, nachhaltig verbaut. Man wird das nie wieder rückbauen können.“

Man hätte doch auf Sport im Freien setzen können, so Raker. Nun sei die Grünfläche für die nächsten Generationen verloren, es sei auch kein Trost, dass die Halle als „Öko-Bau“ konzipiert ist. Jeder Bau sei eine „ökologische Belastung“ zu viel. Das sieht auch Seitz so: “Im Jahr 2022 eine solche Halle zu bauen, ist einfach ein No-Go.”

Inzwischen sind es mehr Demonstranten geworden: Anrainer, Grüne, KPÖ und Links Wien. (c) am

Urbane Hitzeinsel Wien

Erst im vergangenen Jahr enthüllte ein WWF-Report eine traurige Auszeichnung: Österreich ist “Europameister” im Versiegeln von Grünflächen. Auch wenn der tägliche Bodenverbrauch in den letzten zehn Jahren sukzessive zurückgegangen ist, lag er im Durchschnitt der letzten drei Jahre immer noch bei 11,5 Hektar pro Tag, also bei einer Fläche von 16 Fußballfeldern täglich.

Das ist aus Klimaperspektive hoch problematisch: auf Beton entstehen Hitzeinseln, die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren nimmt ab, auf den verbleibenden freien Flächen nimmt aufgrund der Erderhitzung der Druck zu.

Allein in Wien stieg die Durchschnittstemperatur in nur vier Jahrzehnten um satte zwei Grad. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten laut Klimaprognose der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) noch einmal vier Grad dazukommen und die Anzahl der jährlichen Hitzetage auf bis zu 80 steigen. Der Trend ist klar: In Österreichs Hauptstadt wird es heiß werden. Zu heiß.

Aufgeben gibt’s nicht

Die Bauherren und Politiker stoßen mittlerweile jenseits des Gitters mit Gläschen an, der Bau kann starten, 2023 soll die Halle fertig sein. Ist es angesichts dessen nicht eigentlich schon zu spät, jetzt noch herum zu protestieren? „Theoretisch ist es immer zu spät“, sagt Raker trotzig. Die Fläche gebe man zwar – auch ohne Baugenehmigung – im Grunde für verloren. Doch es ginge ihnen ja ums große Ganze. Sie wollen weitermachen und der Flächenversiegelung in der Hauptstadt die Stirn bieten. Zu tun gebe es genug, man habe kürzlich von einem ähnlich gearteten Projekt erfahren – gar nicht mal nicht unweit, dieses Mal auf der anderen Seite des Pratersterns.

Titelbild: am/ZackZack

Autor

  • Anja Melzer

    Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.

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