Freitag, April 19, 2024

Ausgerechnet: Warum wir auf einen starken Sozialstaat angewiesen sind

Ausgerechnet

Die Debatte um die steigenden Preise reißt auch im Sommer nicht ab. Ein aktueller Vorschlag zur Entlastung ist eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten. Eine gute Idee?

Marie Hasdenteufel

Wien, 13. August 2022 | Mit den Lohnnebenkosten, also den Abgaben, die Arbeitgeber:innen direkt abführen, finanzieren wir zum Beispiel Pensionen, unser Gesundheitssystem, Kranken- und Arbeitslosenversicherungen, die Familienbeihilfe, kurzum: unseren Sozialstaat. Und der hat es in sich, wie die jüngsten Zahlen belegen: Sozialleistungen heben über eine Million Menschen in Österreich aus der Armut. Ohne Sozialleistungen wären 2,3 Millionen Menschen armutsgefährdet – das ist jede vierte (!) Person.

Besonders gefährdet, in die Armut zu rutschen ist, wer seinen Job verliert. Jede:r zweite, die oder der über ein Jahr lang keinen Job findet, ist armutsgefährdet. Ähnlich häufig von Armut betroffen sind Alleinerziehende oder wer nur maximal einen Pflichtschulabschluss hat. Die Geldsorgen schlagen sich auf die Gesundheit, Armut macht krank. Wer arm ist, ist häufiger chronisch krank oder schwer gesundheitlich beeinträchtigt.

Wichtige Sozialleistungen verlieren an Wert

Viele sind also auf Sozialleistungen angewiesen, diese verlieren aber monatlich an Wert. Einige Sozialleistungen werden bereits an die Inflation angepasst, weitere werden ab 2023 an die steigenden Preise angepasst. Das ist lang hin für alle, die auf jeden Cent angewiesen sind. In den kommenden Monaten werden die steigende Preise viele Sozialleistungen weiter schleichend entwerten. Ein Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern hat bei der Familienbeihilfe im letzten Jahr über 100 Euro an Wert verloren. Sozialleistungen insgesamt verzeichnen ein Minus von mindestens 8 Prozent.

Was es für den Sozialstaat der Zukunft braucht

Auf die Frage “Können Sie es sich leisten, ihre Wohnung angemessen warm zu halten?”, haben letztes Jahr knapp 150.000 Menschen mit „Nein“ geantwortet. Eine kaputte Waschmaschine zu reparieren kann jede fünfte Person in Österreich derzeit nicht bezahlen. Der Sozialstaat ist nicht armutsfest und sichert immer noch zu viele nicht ausreichend ab.

Dabei ist Österreich ein reiches Land. Leistbares Wohnen, ein höheres Arbeitslosengeld, eine bessere Absicherung für Selbstständige und der Ausbau von Kinderbetreuung müssen nächste Schritte sein, um möglichst viele Menschen aus der Armut zu holen. Die Lohnnebenkosten zu senken, um steigenden Preisen entgegenzuwirken, wäre hingegen der falsche Schritt.

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Marie Hasdenteufel, aus Karlsruhe stammend, hat es nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt nach Wien verschlagen. Am Momentum Institut forscht sie zur Einkommens- und Vermögensverteilung sowie zum Arbeitsmarkt. In Wien hat sie den Master in Economics an der Wirtschaftsuniversität absolviert.

Titelbild: APA Picturedesk

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17 Kommentare

  1. Nutzt wenig, wenn die zuwenig von derLandessprache können, um z.B die KVe zu verstehen.
    Selbst bei den nativen Ö. kommt es vor, daß die Chefs qualitativ höherwertige Arbeit verlangen, aber einige Stufen darunter zahlen wollen. Ist alles im KV beschrieben.
    Unterschied, je nach KV, bis zu einige 100€ brutto – im Monat !!!!

  2. Die Sozialleistungen wurden uns gerade über die dafür gekauften Medien als m bisher höchstem ausgegebenen Betrag verkauft.
    Defakto aber sind sie v ca. 34 Prozent des BIB auf ca. 32 Prozent reduziert worden. Das auch noch mit einer grünen Regierung. Eine unfassbare soziale Negativleistung!
    Wir werden verarscht, dass sich d Balken biegen.

    Ich fordere deshalb einen sofortigen Kriegsstopp. Eine Megainvesitionsprogramm und eine Teurungsabgeltung aber ohne Bremsen und Federn, sondern mit einem Polster!

    Was die CO2 Belastunge anbelangt meine ich, wenn es diese Gefahren wirklich geben soll, dass wir dann wirklich auch alles sofort und vor allem das Wirksamste dagegen tun müssen, was nur möglich ist. Und wenn wir neue Atomkraftwerke bauen müssen, um das CO 2 aus der Luft zu kriegen, dann sollten wir genau dieses Megainvestitionsprogramm dafür starten.

    Aber wir brauchen endlich wieder eine glaubhafte Hoffnung und vor das allem für die psychische Gesundheit unserer Kinder und Enkel…

    • Den Grünen sind m.M.n. die Armen egal. Aktuell ist es eine bürgerliche konservative Partei, die jeden Widerspruch bricht. Sie haben mit den Türkisen den idealen Koalitionspartner gefunden.

  3. Soziale Leistungen sind die ersten Leistungen die gekürzt werden oder die nicht angepasst werden, vor einen Krieg. Die Wiederholung der Geschichte ist ein darauf folgender Krieg. Russland zeigt diese frustrierte Herrschaft nicht nur in der Apokalypse das die Bevölkerung in naher Zukunft ohne Brot dastehen würde, da sich ja durch den Klimawandel und ihrer kaputten Landwirtschaft der Export in den nächsten Jahrzehnt sowieso sehr verringert hätte…durch einen Krieg die fruchtbare Erde zu stehlen.

  4. Ich finde die Autorin argumentiert zu einseitig. Nur die Lohnnebenkosten zu senken, wäre falsch, da kann ich zustimmen. Es muss noch was dazukommen. LNK verteuern den Kostenfaktor Arbeit, sie zu reduzieren, würde demnach die Attraktivität erhöhen, jemanden einzustellen, weil es dann billiger ist oder um die gleichen Kosten kann man den höheren Lohn zahlen. Die staatlichen Einnahmenausfälle bei Reduktion der LNK müssen aber kompensert werden, d. h. eine andere Einnahmequelle muss aufgehen um die Sozialleistungen zu finanzieren. Die Lösung ist nicht schwierig: Man besteuert einfach die Superreichen höher, die hohen Vermögen, die Erbschaften ab einer bestimmenten Höhe und die extremen Einkommen. Ergänzen kann man das noch durch Erhöhungen der Börsensteuern, der Kapitalanlagengewinne oder aller Finanztransaktionen. Des Rätsels Lösung heisst mit einem Wort: Neue Umverteilung. Nicht wie bisher von unten nach oben, sondern neu von oben nach unten. Dann ist wie im Lotto alles möglich.

    • … wie Sie richtig (vorsichtig) anführten: … “kann” man dann höheren Lohn zahlen […] jemanden einstellen”…

      Jetzt ist es leider halt so, dass schwarze Wirtschaftspolitik keineswegs als arbeitnehmerfreundlich, noch weniger gar als sozialstaatlich ausgewogen orientiert verschrien ist.

      Mutmaßlich wird dieser “Vorschlag” also NICHT dieser von Arbeitnehmerseite gewünschte Lenkungseffekt sein, sondern kommt mir eher als ein verdecktes Wahlzuckerl im Vorwahlkampf- Spinning in unserem Lande daher. Denn dann bliebe(!) dem Unternehmer zB auch mehr im Geschäftsergebnis (bei gleicher Leistung), wären also nach Jahresabschluss mehr liquide Mittel für allfällige Parteispenden (selbstverständlich diskret gestückelt und steuerlich absetzbar) als “Dankeschön” ggf. zur Verfügung… (ein subtiles, höflich formuliertes “Kundenbindungsinstrument” in praktischer Umwegrentabilität für einschlägig wirtschaftsfreundlichen Neoliberalismus im Lande, bzw. im objektiv direkten Ausdruck eine unverhohlene Kick-back-Offerte, wie andernorts kürzlich von mir schon angerissen)

  5. Der neuste Clou heißt ‘Generationengerechtigkeit’ (ihre ÖVP) …

    Wie der ausschauen soll, liegt nahe

    Degressive Pension

    je länger man Pension kriegt umso weniger wirds …
    … da derfst halt ned alt werden.

  6. Ja, auf einen Sozialstaat sind wir angewiesen.

    Ja, mit dieser Bundesregierung hat der Sozialstaat keine Zukunft.

    Ja, wir brauchen Neuwahlen!

    Ja, wir brauchen die info, was die Wirtschaftsprüfer des Rechnungshofes in der ÖVP Zentrale gefunden haben.

    Ja, wir brauchen die Info, was Peter Pilz über Sobotka ausgesagt hat im U-Ausschuss.

  7. Typischer Praktikantenarikel.
    Die ältere Generation soll Ihre staatliche Pension noch bekommen.

    Die Jugend gehört befreit von diesem nichtfunktionierenden System.
    Sv-Beiträge gehören direkt an den DN Ausbezahlt.
    DN Anteil: ca. 3 Mio. € zum Pensionsantritt.
    DG Anteil: ca. 4 Mio. € zum Pensionsantritt.
    (Berechnung inkl. konservativer Etf Veranlagung)

    Mit den 7 Mio. € nur aus Sv Beiträge braucht man am Ende des Berufslebens keine staatliche Pension.

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