Sonntag, September 8, 2024

Julya Rabinowich – Skylla & Charybdis – Herrn Karls Reinkarnation, unverpixelt

Skylla & Charybdis

Manche Menschen entscheiden sich dazu, ungut und bösartig zu sein – mehr oder minder vorgeprägt, mehr oder minder aus freien Stücken.

Wien, 13. August 2022 | Das Internet ist nicht gerade geizig mit peinlichen, abstoßenden, absurden Momenten. Manche sind lustig, manche sind wie ein Unfall, wenn man ein Kiebitz ist: Man kann einfach nicht wegsehen, aber es tut dennoch weh.

Im Augenblick kursiert ein Video, dass eine Frau jenseits der Grenzen zeigt. Vielleicht sogar außer Rand und Band. Jedenfalls ziemlich drüber. Und darüber hinaus untendurch. Insgesamt erfüllt es jedes oben genannte Kriterium: es schmerzt, ist lächerlich, erschreckend und verstörend zugleich. Die Frau tobt in einer U-Bahn-Garnitur, sie eskaliert schnell und stänkert Fremde an, jedes Wort, dass ihren Mund verlässt, ist hasserfüllt.

Etwas Qualtingers Karl

Es geht um Masken. Es geht darum, dass sie dagegen ist. Und gegen Wien. Und gegen die Wiener und Wienerinnen. Es ist, kurz zusammengefasst, die Audio-Version dessen, was man auf Facebook auf Impfgegnerseiten häufig findet: Wut und Zorn und Masken. Das Video wurde eifrig geteilt – von Gleichgesinnten als Beweis ihres Heldenmutes, von anderen mit Empörung.

Mehrere sprachen sich dagegen aus, dieses Video zu teilen: Die Tobende war unverpixelt zu sehen. Sie beschimpfte wahllos Frauen, Männer, Alte, Junge – ohne Gnade. Zeitweise klang sie wie eine weibliche Inkarnation von Qualtigers Karl, aber nur zeitweise. Eine zweifelhafte Wiedergeburt quasi.

Krank oder radikal?

Die öffentliche Normsprengung führte – da ungeahndet und vermutlich auch nicht strafbar – jedenfalls zu keiner Zellteilung, aber zu wilden Diskussionen auf Twitter. Ein Argument gegen das Showing-off des Showing-offs war eine ferndiagnostizierte Erkrankung – psychischer Natur – oder von beginnender Demenz. Ja, beides kann zu Aggressionsausbrüchen führen.

Das kann Radikalisierung und Abdriftung in einschlägigen Szenen aber auch bewirken. Ein schwieriges Terrain. Die meisten Anti-Corona-Demos klangen in etwa gleichlautend. Man will nun nicht unbedingt annehmen, da sei gut organisiert eine breite Masse an Demenzkranken aufmarschiert. Andererseits: Ja, es gibt auch öffentlich Durchdrehende mit Diagnose.

Böse ist nicht gleich krank

Es ist aber insgesamt zu einfach, das Verhalten dieser Art prinzipiell als reinen Wahn, als reine Erkrankung zu definieren. Es führt an unangenehme Punkte: Wieviel Wahn steckt in der Bösartigkeit? Wieviel psychische Erkrankung in öffentlicher Aggression? Konsequent fertiggedacht würde auch eine Erklärung des Terrors, des Nationalsozialismus in der Erklärung einer psychischen Erkrankung enden – und es wäre falsch. Manche Menschen entscheiden sich dazu, ungut und bösartig zu sein – mehr oder minder vorgeprägt, mehr oder minder aus freien Stücken.

Das zu negieren wäre eine gefährliche Verharmlosung der Neigung und der Entscheidung zu Gewalt. Was davon auf die Underground-Tobende zutraf, wird die Öffentlichkeit nicht mehr erfahren. Aber eines ist jetzt schon gewiss: Die unverpixelte Verbreitung war falsch. Ja, auch ich habe mich dessen schuldig gemacht.

Titelbild: APA Picturedesk

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