»Abends gehe ich nicht mehr raus«
Der Keplerplatz in Wien-Favoriten machte zuletzt immer wieder negative Schlagzeilen, Anrainer sind verzweifelt. Die Polizei hat sich seit Anfang des Jahres auf den Hotspot fokussiert und präsentierte am Mittwoch ihre Erfolge im Kampf gegen die dortige Suchtmittelszene. Was sagen Suchtexperten dazu?
Wien, 19. August 2022 | Dienstagnachmittag, 15.40 Uhr, am Keplerplatz in Wien Favoriten. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort und führt eine Schwerpunkt-Aktion auf dem Areal rund um die U1-Station und der dort ansässigen Keplerkirche durch.
Spürhunde und Polizeikontrollen
Anrainerbeschwerden und Medienberichte über Gewalt und Drogenhandel haben dafür gesorgt, dass der Ort zwischen Reumannplatz und Hauptbahnhof nun verstärkt kontrolliert wird. Personenkontrollen an den U-Bahn-Aufgängen, vier weitere Polizisten machen einen Rundgang durch den angrenzenden Park. Eine Beamtin sucht mit einem Drogenspürhund die umliegenden Blumenbeete nach Drogenverstecken ab.
(Bilder: ZackZack)
Angespannte Stimmung dominiert zu diesem Zeitpunkt den Platz. Männer, vereinzelt aber auch in Gruppen, beobachten das Geschehen aus der Ferne. Als ZackZack ein Bild der Polizisten macht, ruft uns ein sichtlich angetrunkener Mann Mitte 30 abwertend hinterher: „Schon spannend, die Polizei zu fotografieren, oder?“
Der Mann gehört zu jenem Milieu, das die Exekutive durch Zerschlagung des hier niedergelassenen Drogenhandels versucht, aus dem Grätzl zu bekommen. Etwa zwei Dutzend von ihnen kommen zu dieser Uhrzeit hier auf den Parkbänken vor der Kirche zusammen, um Alkohol und Drogen zu konsumieren.
„Abends gehe ich hier nicht mehr raus“
Ein paar Meter weiter beim U-Bahnaufgang steht eine Pensionistin mit ihrem Einkaufswagen. Mit finsterer Miene beobachtet sie das Treiben auf dem Platz. Sie wohnt ein paar Straßen weiter, was sich hier seit einigen Monaten abspielt, sei „schlimm“, erzählt sie. „Der ganze Bezirk geht schon lange den Bach runter, in den letzten Monaten ist es aber unerträglich geworden.“ Ob sie sich nun sicherer fühlt, jetzt wo die Polizei verstärkt kontrolliert? „Da wird wahrscheinlich wieder wer angerufen haben, sonst kommt hier keiner vorbei. Abends gehe ich hier auf gar keinen Fall mehr raus.“
Die Dame spricht vielen anderen Anrainern aus der Seele. Die jüngsten Medienberichte über Massenschlägereien und sexuelle Belästigungen vor Ort bestätigen das, was die Bewohner des Grätzls schon lange beobachten. Ein Grund, warum die Polizei seit Anfang des Jahres neben verstärkter Präsenz auch Ermittlungen und Kontrollen durchgeführt hat. Mit ersten Erfolgen.
Bereits 21 Festnahmen
Wie die Polizei am nächsten Tag, Mittwoch, in einer Pressekonferenz bekanntgibt, konnten in Zusammenarbeit mit diversen Sonderkommandos wie dem Landeskriminalamt bereits 21 Verdächtige aus dem illegalen Drogenhandel festgenommen werden. Auch neun Mitglieder höherer Organisationshierarchien, laut dem Leiter des Landeskriminalamts Wien, Gerhard Winkler, unter anderem algerische und marokkanische Staatsbürger, konnten mittels personellen und technischen Überwachungsmaßnahmen bereits aus dem Verkehr gezogen werden. Mehrere Kilogramm Drogen, vermehrt Cannabis, aber auch Kokain in kleineren Mengen wurden sichergestellt.
Landespolizeipräsident in Wien, Dr. Gerhard Pürstl, der Stadthauptmann von Favoriten, Hofrat Erich Zwettler sowie der Leiter des Landeskriminalamtes Wien, Außenstelle Süd, Oberst Gerhard Winkler, berichteten am Mittwoch über die polizeilichen Ermittlungen. (Bild: ZackZack)
Cannabis, Bargeld und Handys wurden bereits sichergestellt. (Bild: LPD Wien)
Mit verstärkter Präsenz und Ermittlungen agiert die Polizei so, wie sie es in Wien bei Handelsszenen, die sich auf bestimmten Plätzen zu manifestieren drohen, immer tut: Es wird versucht, die Szene in Bewegung zu halten. Dass man jetzt am Keplerplatz seit Anfang des Jahres daran arbeitet, begrüßt auch die Drogen und Suchtkoordination der Stadt Wien, die die Lage in Favoriten seit mehreren Jahren beobachtet.
Aber wie Polizei und viele Medien von “Hotspots” oder einer “Drogenszene” am Keplerplatz zu sprechen, sei dann doch übertrieben, meint Ewald Lochner, Koordinator für Psychatrie-, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien.
Keplerplatz “keine Drogenszene”
“Von einer Szene spricht man, wenn sich über 200 Menschen dort aufhalten und eine Vielzahl an Substanzen dort konsumieren. Das haben wir am Keplerplatz nicht, in ganz Wien gibt es das zum Glück nirgends mehr.” Was am Keplerplatz seit Anfang des Jahres zu beobachten sei, ist, dass viele Menschen, in diesem Fall junge Erwachsene, sich im öffentlichen Raum aufhalten. “Das ist ein Phänomen, das es im Sommer in Wien immer gibt. Zusätzlich ist es so, dass dort sehr viel, in erhöhtem Ausmaß mit Cannabis gehandelt wird. Wir wissen auch dass es sich ausschließlich um Cannabishandel handelt”, beschreibt Lochner die Lage. Dass männliche, junge Erwachsene zuletzt auch immer wieder ein sexualisiertes und teilweise aggressives Verhalten an den Tag gelegt haben, sei aber nicht schönzureden, hier sei man mit der Polizei in Zusammenarbeit.
Bier draußen statt daheim
Hinzu kommt – und auch das lässt den Keplerplatz in schlechtem Licht erscheinen – die schon seit ein bis zwei Jahren etablierte Alkohol- und Obdachlosenszene. Diese Menschen seien aber meistens nicht die Abnehmer solcher Drogenbanden. “Denen geht es zu Hause auch nicht gut, deswegen trinken sie das Bier im öffentlichen Raum”, so Lochner. Eine Problematik wie damals mit Heroin am Karlsplatz hätte man am Keplerplatz zum Glück nicht. Mit der Streetworking-Einheit “SAM” sei man als Drogenkoordiantion dort nun auch verstärkt im Einsatz, um auf Jugendliche, aber auch auf Anrainer zuzugehen und zu helfen.
Mehr Polizisten gefordert
Laut dem Drogenkoordinator würde sich die Lage am Keplerplatz derzeit schon wieder beruhigen. Trotzdem werden für den Bezirk mehr Polizisten gefordert. Bezirksvorsteher Marcus Franz (SPÖ) forderte am Mittwoch in einer Aussendung erneut mehr Polizeipräsenz im gesamten Bezirk. “Die Polizistinnen und Polizisten haben gute Arbeit geleistet. Sie hätten es sich verdient, endlich personelle Unterstützung von weiteren rund 180 Kolleginnen und Kollegen zu erhalten, die in Favoriten ja bekanntlich fehlen und die ich seit Jahren einfordere.” Derzeit gibt es in Favoriten 319 Polizisten, bei 210.000 Einwohnern.
Lange Zeit war der Reumannplatz jener Hotspot im zehnten Bezirk, der mit Alkohol und Drogen in Verbindung gebracht wurde. Eine 2021 dort installierte Videoüberwachung sorgte für eine Beruhigung der Lage. Eine solche Videoüberwachung samt Alkoholverbot forderten zuletzt auch die Wiener ÖVP und FPÖ für den Keplerplatz.
(mst)
Titelbild: ZackZack