»Pflaster auf offenen Rippenbruch«
Hier gehe es um “ein Phänomen, das unseren gesamten Wohlstand zerstört” – Ex-Kanzler Christian Kern warnte am Freitagabend im “ZIB2”-Interview vor den Folgen der Energiekrise und ließ dabei kein gutes Haar an den Maßnahmen der Regierung.
Wien, 20. August 2022 | Gegen die hohen Strompreise müsse schnell etwas unternommen werden, so Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) im Interview mit “ZIB”-Moderator Martin Thür. Der frühere Verbund-Vorstand und nunmehrige Berater in der Energiebranche sprach sich für Eingriffe in den Markt aus.
“Massiver Kahlschlag ” für Industrie
Jetzt nicht zu handeln, sei höchst fahrlässig, so Kern. Beim Strom gebe es um 1000 Prozent höhere Preise als im Jahr zuvor, bei Gas sogar 1.300 Prozent. Das wäre so „als ob Sie zur Tankstelle fahren, zur Zapfsäule gehen und dort 18 Euro für einen Liter Benzin zahlen“, so Kern. In der Industrie würde das zu einem “massiven Kahlschlag” führen.
Zwar begrüßte Kern Vorschläge wie jene eines Stromrechnungsdeckels, solche Maßnahmen würden aber nur kurzfristig greifen, vielmehr müsse man wieder beginnen “strategisch” zu denken. Eine alternative Lösung des Problems wäre, “massiv in den Markt einzugreifen”, indem der Staat Gas einkauft und den Kraftwerksbetreibern zur Verfügung stellt. Das führe dazu, “dass man letztendlich bei der Gaskrafterzeugung, die ja nur ein Sechstel unserer Stromproduktion ausmacht, für jeden Euro, den man einsetzt, sechs Euro Ersparnis rauskriegt“, so der Energieberater.
Energiekonzerne investieren Gewinne im Ausland
Denn durch das System der „Merit Order“ bestimmt das teuerste Kraftwerk den Strompreis, im Falle Österreichs ein Gaskraftwerk. Selbst wenn 100 Prozent Strom aus Wasserkraft generiert wird, sind die Unternehmen an diesen Preis gebunden. Das führe dazu, dass auch Unternehmen wie der Verbund derzeit Rekordgewinne einfahren. Diese würden die Gewinne wegen der heimischen gesetzlichen Rahmenbedingungen aber eher im Ausland investieren.
Kern, der im Gespräch eingestand, als Ex-Kanzler selbst einen Beitrag zur Abhängigkeit von Russland geleistet zu haben, kritisierte auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin, den es eine Freude bereite, zu sehen, welche Krisen seine Verknappung der Gaslieferungen auslösen.
Die geplanten Maßnahmen der Regierung seien jedenfalls nur “ein Pflaster auf einen offenen Rippenbruch”. Man müsse beginnen, die Grundproblematik zu lösen. Auf Dauer würde kein Weg daran vorbeiführen, auf erneuerbare Energien umzusatteln.
Polit-Comeback?
Thür fragte Kern auch, ob er sich ein Politik-Comeback vorstellen könnte. Der Ex-Kanzler, den es “nicht freut”, ständig darauf antworten zu müssen, verneinte erneut. Er habe nicht vor, in die Politik zurückzukehren.
Das ganze Interview sehen Sie hier.
(mst)
Titelbild: Screenshot/ORF TVthek