In einer Pressekonferenz zur Wien Energie-Krise richtete Bürgermeister Ludwig Kritik an Türkis-Grün. Die Causa wird zum Wettbewerb um Deutungshoheit, wobei die SPÖ bald alleine dastehen könnte. Das Unternehmen selbst, das Freitagnacht an den Bund herangetreten war, entwarnt.
Wien, 30. August 2022 | Eineinhalb Tage wartete Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zu und überließ die Kommunikation zu den dramatischen Entwicklungen rund um die Wien Energie den politischen Kontrahenten. Am Dienstag meldete er sich erstmals zu Wort.
Fazit: Der Bürgermeister war bemüht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Ob ihm dies gelungen ist, werden die kommenden Wochen zeigen. Die anderen Parteien dürften jedenfalls nicht lockerlassen und verlangen weiterhin Aufklärung. Auch der Koalitionspartner NEOS richtete deutliche Worte in Richtung rotes Rathaus.
Der Rechnungshof hat bereits angekündigt, eine Prüfung durchzuführen. Laut Ludwig habe man zudem vonseiten der Stadtregierung eine Sonderprüfung des Stadtrechnungshofes angeordnet, inklusive externer Gutachter.
Hanke argumentiert mit „Black Friday“
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Finanzstadtrat Peter Hanke (ebenfalls SPÖ) und Wien Energie-Aufsichtsrats-Boss Peter Weinelt betonte Ludwig die „dramatische Preisentwicklung“ auf den Energiemärkten. Der Versorger der Stadt hatte zuvor einen Bedarf von mehreren Milliarden (kurzfristig zwei, langfristig sechs) zur Hinterlegung von Sicherheiten angemeldet – eine Art „Kaution“, wie Hanke erklärte. Die Stadt war nach einem Börsen-Beben am Freitag mit 1,75 Milliarden Euro für die Wien Energie eingesprungen.
Auf die Kritik, Ludwig hätte die von ihm genehmigte Finanzspritze zu lange vor dem Gemeinderat geheim gehalten, entgegnete der Bürgermeister, man habe entsprechend der Wiener Stadtverfassung gehandelt. Am 15. Juli habe es ein Darlehen in Höhe von 700 Millionen Euro und am 29. August dann noch einmal eines in derselben Höhe gegeben. In den nächsten Sitzungen in Finanzausschuss und Gemeinderat im September werde es dann eine Beschlussfassung dazu geben.
Heute Gutschrift, morgen wieder Milliardenbedarf?
Vorwürfe, wonach riskante Spekulationen an der Börse der Auslöser seien, wies man am Dienstag zurück. Aufsichtsrats-Chef Weinelt argumentierte mit den liberalisierten Märkten, auf denen man „zu Handel gezwungen“ sei. Geschäfte würden sofort zu einem vereinbarten Preis abgeschlossen. Mithandeln könne man nur mit Sicherheitsleistungen im Hintergrund, „sonst wird das Geld sofort fällig gestellt“, sagte wiederum Hanke.
Überraschend war die Aussage Hankes, man brauche den Großteil des angeforderten Steuergeldes nun gar nicht mehr – zumindest nicht sofort. Denn noch am Montag habe man für die Börsen-Vorkommnisse am Freitag blechen müssen. Jetzt aber sei eine Gutschrift in Höhe von 798 Millionen Euro eingegangen. Dies zeige die „unglaubliche Entwicklung des Strommarktes“. Die Milliarden dienten nur zum Absichern eines „weiteren verrückten Tages“. Die Versorgung selbst sei gesichert, das solle aber auch langfristig der Fall sein, so der Finanzstadtrat. Deshalb benötige man mehr, als bislang von der Stadt ausgezahlt worden sei.
Überhaupt waren alle drei Anwesenden bemüht, die Vorgänge als normales Geschäftsgebaren darzustellen. Es gebe mehrere Prüfroutinen bei den Stadtwerken und der Wien Energie, an deren Ende ein „uneingeschränktes Testat“ vergeben worden sei, so Weinelt. Dass Mittel der Bundesfinanzierungsagentur nötig seien, sei „kein unüblicher Vorgang“, ließ Ludwig wissen. Engpässe müssten eben überbrückt werden.
Streit um politische Kommunikation
Keine Geheimnisse, volle Transparenz – das war das Credo des Bürgermeisters, der unter Zugzwang steht, weil ihm vor allem vonseiten der Wiener Opposition vorgeworfen wird, er sei seit dem Wochenende abgetaucht. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hatte in der „ZiB 2“ am Sonntag die Wien Energie-Bombe platzen lassen, die Rede war von einer „finanziellen Notlage“ beim Versorger. Minuten nach dem Statement hatte sich das Unternehmen via Twitter zu Wort gemeldet und eine mögliche Pleite dementiert.
Ludwig wollte die Vorwürfe nicht so stehen lassen. So betonte der Bürgermeister, er sei gar nicht zum Krisen-Energiegipfel ins Kanzleramt eingeladen und dementsprechend von der Kommunikation überrascht worden: „Hätten wir gewusst, wie die Bundesregierung kommuniziert, hätten wir als Stadt auch anders kommuniziert“, so Ludwig in Richtung Türkis-Grün.
Ein Nehammer-Sprecher stellte auf Twitter allerdings klar, zumindest Hanke sei sehr wohl zum Energiegipfel am Ballhausplatz eingeladen worden, habe aber abgesagt. Ludwig indes nahm am Dienstag auch das Wort „Wien-Bashing“ in den Mund. Die Stadt bevorzuge einen „gemeinsamen Weg“ wie in der Corona-Krise, so Ludwig. Dass die Bundesregierung hier einen gewissen „Spin“ in die Causa bringe, könne er nachvollziehen.
Kritik vom Koalitionspartner
In den sozialen Medien ist die Causa weiterhin Thema Nummer 1. Spöttische Kommentare wie „Alles richtig gemacht“ waren ebenso zu lesen wie Diskussionen um außer Kontrolle geratene Märkte und die Verantwortung des Bundes für einen Schutzschirm.
Für die Wiener SPÖ ist der Druck weiterhin enorm, denn auch NEOS-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr äußerte sich deutlich: „Die Geschäftsvorgänge der Wien Energie sind untragbar, aber in der aktuellen Situation muss eines vorangestellt werden: Die Versorgung der Wiener und Wienerinnen mit Strom und Gas. Das aktuelle Krisenmanagement der Wien Energie ist unzureichend und ihrer Kommunikation fehlt jeglicher Willen zur Transparenz. Da werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.“
Bund wusste Freitagnacht Bescheid
Das Unternehmen wies gegenüber ZackZack auf die seit Monaten steigenden Energiepreise an den Börsen hin: „Wien Energie agiert vorausschauend und hat seine Kreditlinien bereits in der Vergangenheit entsprechend als Vorsorgemaßnahme aufgestockt. Am Freitag, 26.8., hat sich die Marktlage dramatisch entwickelt. Das war nicht vorhersehbar.“ Innerhalb eines Tages habe sich der Strompreis fast verdoppelt und „das zusätzlich völlig entkoppelt vom Gaspreis“.
Man habe sich deshalb noch in der Nacht an den Bund gewandt, „um die Versorgungssicherheit von Wien und Österreich in jedem Fall und auch bei weiteren Marktverwerfungen in dieser Woche sicherstellen zu können.“ Ganze zwei Tage später preschte Brunner vor. Wieder zwei Tage danach, am Dienstag, fand Ludwig dann doch noch Worte. Es dürfte nicht der letzte Redebedarf in der Causa gewesen sein.
(wb)
Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl