Donnerstag, März 28, 2024

In der Nacht bin ich die Créme de la Créme – Pop-Up

Pop-Up:

Die Wiener Band “Playbackdolls” hat am Freitagabend ihr neues Album präsentiert und orcheströs am Donaukanal aufgespielt. Unsere stellvertretende Chefredakteurin war dabei.

Anja Melzer

Wien, 3. September 2022 | Als sich die Dunkelheit am Freitagabend über den Wiener Donaukanal senkt, nehmen die Playbackdolls Instrumente und Mikros in die Hand. Sie stellen ihr neues Album „Chansons 2084“ im „Central Garden“ vor. Und sie nutzen die Nacht, um sich von „ihrem alten Programm zu verabschieden“, wie Frontsängerin Tini Trampler dem Publikum stolz verkündet. Dann folgen Songs, die sie teilweise noch nie zuvor live dargeboten haben.

Schon nach dem zweiten Lied ruft Sängerin Tini Trampler: „Ihr sitzt ja noch immer, ich sag euch, das wird nicht so bleiben!“ Und sie wird Recht behalten. Immer mehr Menschen scharen sich um die Bühne, Passanten am Donaukanal bleiben stehen und lauschen, und vor der Kapelle sammeln sich laufend mehr Tanzwütige. Denn das, was aus den Lautsprechern dröhnt, zwingt einen, aufzuspringen und sich zu bewegen. Sitzen bleiben und nur mitzustampfen, mitzuwippen oder unauffällig mitzuschunkeln ist wie eine Tortur. Und tatsächlich: Still am Sessel kleben wird bei den Takten am Ende dieses Abends keiner mehr.

Die Playbackdolls live im “Central Garden” am Wiener Donaukanal. (c) ZackZack/Christopher Glanzl

Die Playbackdolls sind wohl eine der wenigen Wiener Bands, die schon in so viele musikalische Richtungen gegangen sind und mit dieser Platte trotzdem noch einmal einen neuen Raum geöffnet haben, sich auch mit dem fünften Album immer noch weiter entwickeln. Auch das neue Werk „Chansons 2084“ besticht wieder durch politische, feministische und stürmisch lebenssprudelnde Texte sowie eingängige, poppige Melodien, immer wieder gebrochen von Virtuosi und Soli. Auch eine Hommage an Marlene Dietrich und ihr berühmtes Stück “Wenn ich mir was wünschen dürfte” ist dabei.

Rebellionen

Die Chansons kommen mal ruhig und mal rebellisch daher, aber immer poetisch. Es sind Lieder, die auch in Krisenzeiten Kraft und Motivation vermitteln. Das zeigen zum Beispiel Lyrics wie So ziehen wir jetzt los / denn was ist uns zu groß aus „Zugvögel“. In der Single „Flamingos“ verstecken sich Passagen, die als politische Anspielung auf die Ungleichheiten der Corona-Pandemie gelten können: Zuviel Besitz in meinen Händen / doch eilt im Kreise meine Not / wie sollt ich so Andren helfen / das was zählt und tut so gut / Zu viel Masken muss ich tragen / die mich schützen wie mein Hut. Auch mit Kritik am Kapitalismus wird nicht gespart, wie im Song „Habts mich ein bisserl gern“: Ich streng mich jeden Tag an / erwisch jede Straßenbahn / damit ich auch pünktlich bin / üb ich Taten ohne Sinn.

Das Album ist schließlich selbst ein Corona-Produkt. Die Band saß im Lockdown, als sie die neuen Songs – alle geschrieben von Sängerin Tini Trampler und Pianist Stephan Sperlich – gemeinsam arrangierten. Gemischt hat das Album später im Studio der Gitarrist himself.

Tino Klissenbauer am Akkordeon. (c) ZackZack/Christopher Glanzl

Wenn die Playbackdolls mit ihren viele Hüten aufgeigen, geht es orcheströs zu. Die Besetzung ist opulent: Stephan Sperlich am Piano, Tino Klissenbauer am Akkorden, Lina Neuner am Kontrabass, Bernhard Rabitsch an der Trompete, Alex Lausch an der Gitarre, David S. Strobl an den Drums – und das alles verfeinert von der rauchigen Stimme Tini Tramplers und ihren ausladenden, sich voller Hingabe über die Bühne tänzerisch schlängelnden Bewegungen.

Bernhard Rabitsch an der Trompete. (c) ZackZack/Christopher Glanzl

Eine Stadt der Fantasien

Der Titel des Albums spielt unverkennbar auf den Bestseller von George Orwell, „1984“, an. So zeichnen die Texte einen Stadtriss: den einer utopischen Stadt voller charmanten Alltagsblues, einer Stadt, in der nichts zu hoch ist, die heimliche Ecken hat, ein Lebensgefühl im freien Fall, auf Teppichen aus Schokolade, mit elastischen Grenzen, Verstecken hinter tausend Türen und einem „Farbenstau“ – und die von Träumen und wunschvollen Fantasien zusammengehalten wird: So leben wir ganz unangemeldet / in der unsichtbaren Stadt / Große Fragen sind der Eintritt / in die unsichtbare Stadt.

Sängerin Tini Trampler. (c) ZackZack/Christopher Glanzl

Nächtlicher Hauch von Paris

Einer der Höhepunkte ist wohl der Song „Créme de la Créme“, den nur eine wie Tini Trampler singen kann, der die Chanson-Stimme scheints in die Wiege gelegt wurde. Der Song erinnert ein bisschen an Hildegard Knef und beschreibt eine Frau, die am Tage schläft und sich brav lächelnd fürchterlich langweilt (Ich denke da an Gurken und Radieschen / wenn ich Gemeines, Wissenswertes hör). Doch wenn es dunkel wird, dann lebt sie auf und trägt auf ihrem Kopf die Anzughosen, während sie sich aus ihren Socken ein Getränk braut: Ich werd so schön in der Nacht / da bin ich die Créme de la Créme / enge Blicke, welke Rosen / wachsen in der Nacht nicht so bequem.

Und während man diese Klänge hört, vergisst man für einen Moment, dass es der Wiener Kanal ist, an dem man gerade lauschend sitzt. Für eine Sekunde könnte es auch das Pariser Seine-Ufer sein, an dem sich zu den Chansons der Playbackdolls die Menschen wiegen. Und das passt in dieser Sekunde der “Créme de la Créme” ziemlich gut.

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„Chansons 2084“ wird am 23. September auf dem Label Medienmanufaktur Wien offiziell erscheinen. Hier geht’s zur Band.

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Anja Melzer
Anja Melzer
Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.
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