Projekt „Ballhausplatz 2“:
Für Laura Sachslehner beginnt ein neuer Weg. Sein Ziel scheint mit dem Bundeskanzleramt ebenso klar wie der Wegweiser, der sich wohl erst in der letzten Etappe an die Spitze der Wandernden setzen soll: Sebastian Kurz.
Wien, 11. September 2022 Die Sonne geht auf und Laura geht ihren Weg weiter. Viele glauben, dass dieses Stück sein letztes ist. Aber Laura ist überzeugt: Der Weg ist der einzige, der ans Ziel führt. Der Weg ist der Pfad ihres Herrn: die Balkanroute.
Laura weiß, dass sie nicht alleine geht. Die Wiener ÖVP ist marschbereit. In den Bundesländern sind zwischen Juni 2017 und Dezember 2020 dichte Netze von Mitmarschierern geknüpft worden. Wie Laura warten sie auf ein Zeichen. Das Zeichen kann nur von einem kommen, von Sebastian Kurz.
Aber der Routenplaner zeigt, dass mit Tirol und Niederösterreich noch zwei Zwischenstationen durchwandert werden müssen. Erst dann, wenn die alte ÖVP nach 2017 ein zweites Mal am Boden liegt, schwenkt die neue Balkanroute wieder auf ihr Ziel, zum Ballhausplatz in Wien.
Botschaften auf den Route
Die Rücktritte sind Auftritte zur Verkündung von Botschaften. Als Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger Anfang Mai 2022 zurücktrat, verpatzte sie Karl Nehammer seinen Versuch, mit einem Neustart am Parteitag wieder auf die Beine zu kommen. Wenige Stunden nach dem Rücktritt twitterte Kurz zufrieden: „Vielen Dank für unsere gemeinsame Zeit in der Politik, in der du tagtäglich für die Werte und Überzeugungen der Volkspartei gekämpft hast und als Bundesministerin so vieles umsetzen konntest. Alles Gute für dein neues Kapitel und deinen weiteren Weg!“
Sachslehner tat wohl genau dasselbe wie Köstinger. So wie die Landwirtschaftsministerin wusste sie offensichtlich, dass ihre Ablöse bevorstand. Laura Sachslehner war das Bauernopfer, das für den Tag nach dem Tiroler Absturz vorbereitet wurde. Aber wie Köstinger war Sachslehner schneller.
Christian Nusser beschreibt in seiner neuen „Kopfnuss“ Lauras beginnende Wanderschaft: „Nun piepst ihr Smartphone häufig, viele aus der Partei, vom Nationalrat bis zum Bürgermeister vom Land, sprechen ihr Mut zu, die Wiener Landesgruppe solidarisiert sich mir der Gefallenen, ihre Position hat in der ÖVP mehr Anhänger als dem Kanzler lieb sein dürfte.“
Ballhausplatz 2
In der Botschaft, mit der sich Laura Sachslehner aus der ÖVP-Zentrale verabschiedete, geht es erstmals um den Weg. Wenige letzte Minuten lang teilte sie ihrer ÖVP öffentlich mit, dass die Partei vom Weg abgekommen sei: „Das ist nicht mehr meine Welt“.
Im Mai 2022 wirkte der Rücktritt der Ministerin wie ein letzter Racheakt der Kurz-Partie an einer Partei, die sie nicht mehr wollte. Heute verziehen sich die Nebel des ÖVP-Sommers. Es scheint immer klarer: Das Projekt „Ballhausplatz 2“ ist angelaufen.
„Nehammer kann es nicht.“ Das war im Mai 2022 Botschaft Nr. 1. Mit „Die ÖVP ist am falschen Weg“ ist jetzt Botschaft Nr. 2 platziert. Botschaft Nr. 3 kommt gleich nach dem 26. September 2022, dem Tag der verlorenen Landtagswahl in Tirol. Sie lautet „So geht es nicht weiter“. Botschaft Nr. 4 wird die Wiederholung von Nr. 3 nach der verlorenen Wahl in Niederösterreich. Dann kommt mit Nr. 5 die Schlussbotschaft: „Er ist bereit!“
Elisabeth Köstinger sitzt im Kärntner Bergdorf Diex in einem kleinen Büro und wartet auf das Zeichen. Mit ihr sitzen Vertraute in Ländern und Bünden und warten mit.
Das letzte Bollwerk
Sie sehen zu, wie die alte ÖVP im letzten Bollwerk „ÖAAB“ ein zweites Mal scheitert. Nehammer, Wöginger, Sobotka und Mikl Leitner sind ÖAAB. Sobotka und Wöginger werden bereits von der WKStA als Beschuldigte geführt. Mikl-Leitner stemmt sich mit letzten Kräften gegen ihren Absturz. Nehammer hat auch dafür nicht mehr die Kraft.
Sachslehner, Köstinger und Kurz ist klar: Wenn auch der St. Pöltner Damm gebrochen ist, wird der Ruf nach dem Retter laut. Sie kennen ihre Partei und wissen, dass es dort jenseits aller Überzeugungen mit der Macht und ihren Futtertrögen nur ein gemeinsames Motiv gibt.
Dann schlägt die Kurz-Stunde. Der Ex-Kanzler wird erklären, dass er bereit ist, die nächste Etappe auf seiner Route zu gehen. Er hat das Geld für den Wahlkampf, ein Team, das verlässlich loyal und unfähig ist, und Gegner, die auch 2023 mit Inseratenmillionen, frisierten Umfragen und gezielten Spritzen aus dem Giftschrank erledigt werden können. Er weiß, dass ausreichend Wedelfedern in Redaktionen zum gut bezahlten Jubel bereitstehen.
Nur eines weiß er nicht: ob er dann noch auf freiem Fuß ist. Aber das ist in der ÖVP längst kein Argument mehr.
Nachtrag um 10.00 Uhr:
Einige Kommentatoren weisen mich darauf hin, dass das alles höchst unsicher und vielleicht „Lesen im Kaffeesud“ sei. Aber so war das auch beim ersten Projekt „Ballhausplatz“. Damals haben viele unsere Berichte über den Plan, mit Pilnacek & Co. ein autoritäres System in Österreich zu erreichten, als böse Phantasie abgetan. Inzwischen wissen es fast alle besser.
Das, was ich hier beschreibe, wird von Tag zu Tag realistischer. Das heißt nicht, dass es so kommt. Die Zukunft hat auch in diesem Fall eine wunderbare Eigenschaft: Sie ist unsicher.
Wir können rechtzeitig Hinweise sammeln, Spuren sichern und versuchen, Muster zu erkennen. Wenn sich dann herausstellt, dass einige Befürchtungen nicht eintreffen, bin ich der erste, der sich darüber freut.
Titelbild: APA Picturedesk