Montag, September 9, 2024

Gefährliche Freakshow – Kommentar zur Präsidenten-Debatte

Kommentar zur Präsidenten-Debatte

Am Sonntag wurde ein Stück Fernsehgeschichte geschrieben – im schlechtesten Sinne. Die Debatte der Präsidenten-Herausforderer war bizarr und unterirdisch. Lässt man die Fassungslosigkeit beiseite, muss man feststellen: Es braut sich etwas Gefährliches zusammen.

Benjamin Weiser

Wien, 12. September 2022 | Wer am Sonntag die ORF-Sendung „Im Zentrum“ verfolgt hat, wird auch am Montagmorgen noch ratlos gewesen sein. Was sich dort an Wahnsinn dargeboten hat, kommt äußerst selten vor.

Den ORF oder Moderatorin Claudia Reiterer zu kritisieren, greift zu kurz. Hätte sie öfter interveniert, etwa bei Schwurbler-Fake News oder Rassismus, wäre wohl bald die Frage nach dem Sinn der Sendung aufgekommen. Reiterer hätte nämlich ständig unterbrechen müssen. Es ist aber gar nicht schlecht, dass Österreich diese Debatte sehen konnte.

Während Impfgegner-Kandidat Michael Brunner mit etwas unheimlicher Gestik und Mimik ankündigte, notfalls auch als Staatsoberhaupt auf der Straße marschieren zu wollen, hielt sich der ehemalige Haider-Gefährte Gerald Grosz bereits wegen seiner 6.000 Unterschriften für qualifiziert. Mit voller Inbrunst erklärte der selbsternannte Austro-Trump, was bei der Moderation und im Land alles falsch laufe.

Kanzler oder Präsident – Hauptsache König

Dabei verstanden er und die meisten anderen Kandidaten offenkundig nicht, was der Unterschied zwischen einer Präsidenten- und einer Kanzler-Debatte ist. Die Hauptkompetenzen des Bundespräsidenten sind traditionell dessen Repräsentationsfunktion und die Macht des vernünftigen, manchmal auch mahnenden Wortes – gerade in Krisenzeiten.

In der Theorie geht natürlich deutlich mehr. Wir erinnern uns an Norbert Hofers Sager „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“. Was aber wirklich geht, wusste von den Schaustellern niemand so recht. Außer Dominik Wlazny wollten die Van der Bellen-Herausforderer den Eindruck entstehen lassen, man solle sich vor ihren Vorhaben fürchten. Zumindest das ist ihnen gelungen.

Wenn selbst Anwalt Tassilo Wallentin keinen Wert auf rechtliche Präzision legt, weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Da ist es fast schon zweitrangig, dass mit Wallentin erstmals praktisch ein Kandidat der größten Tageszeitung des Landes ins Feld zieht. Anders kann man seine Kandidatur nicht einordnen. Man muss dazu nur einen Blick in die „Krone“ werfen, bei der populistische Kolumnen des Anwalts erscheinen – und üppige Inserate.

Ein ganz neutral aufgerüstetes Militär

Walter Rosenkranz warb indessen für ein stärkeres Militär und spannte einen etwas unerwarteten „Verfassungsbogen“. Der FPÖ-Mann hält die Neutralität Österreichs für in „Waldviertler Granit“ gemeißelt, wie er am Sonntag wissen ließ. Gleichzeitig sprach er sich für eine Aufrüstung aus, die NATO-Fans entzücken lassen würde. Erst 1, dann 1,5 und schließlich 2 Prozent des BIP sollten laut Rosenkranz investiert werden. Sein Plan also: Ganz patriotisch soll sich Österreich aus allem heraushalten – außer bei Landesverteidigung, Grenzschutz gegen böse Asylwerber und Katastrophenschutz.

Komplettiert wurde die sonntägliche Runde vom schläfrigen Pazifisten Heinrich Staudinger, der sich irgendwo zwischen Corona-Esoterik, Alt-68er-Romantik und durchaus gut gemeinter Sozialpolitik bewegte. So richtig in Fahrt kam er aber nicht. Vielleicht war das ganz gut so, wobei Staudinger sicher harmloser als seine rechten Kontrahenten einzuschätzen ist.

Am Ende war Wlazny der einzige Herausforderer, bei dem man das Gefühl bekam, im Falle seiner Wahl einigermaßen ruhig schlafen zu können. Der Arzt wirkte nervös und nicht immer sattelfest, aber er zeigte: Vernunft und Anstand sind kostbar in diesen Zeiten.

Im Zweifel für den Amtsinhaber

Und jetzt stellen Sie sich mal vor, Amtsinhaber Van der Bellen kann aus gesundheitlichen oder anderen Gründen unerwartet nicht antreten. Dann könnte aus der schaurigen Unterhaltung Realität werden. Was sich da politisch zusammenbraut, ist gefährlich. Leute wie Brunner oder Grosz brauchen die Aufwiegelung, sie profitieren davon, wenn es dem Land schlecht geht. Sie würden in der Hofburg fuhrwerken, als gäbe es kein Morgen. Sie würden ihr Amt im Zweifel nutzen, um Demokratie, Rechtsstaat und EU durch die Hintertür zu verlassen. Das wurde am Sonntag klar.

Fest steht auch: Van der Bellen selbst hätte am Sonntag kommen müssen. Er hätte der Freakshow den Wind aus den Segeln nehmen können. So muss er sich Arroganz vorwerfen lassen. Eine mögliche negative Dynamik sollte VdB nicht unterschätzen. Demnächst wird er, so das Kalkül seiner Berater, jedoch Bella Figura auf der internationalen Bühne machen können. Er reist zum Begräbnis der Queen und dann zur UNO nach New York. Ein Bundespräsident eben, kein perfekter, ein oft zu schweigsamer und auch in diesem Medium oft kritisierter. Aber einer, bei dem man nachts nicht schweißgebadet aufwacht, wenn er die Hofburg hütet.

Versagen der Großparteien

Wie es so weit kommen konnte, dass diese Runde so zusammentritt, müssen die Österreicherinnen auch SPÖ und ÖVP fragen. Dass die Volkspartei am Sand ist, weiß man nicht erst seit dem Sachslehner-Abgang. Ihre Kontrahentin SPÖ profitiert in Umfragen zwar vom türkisen Fall, ist sich aber uneins, was sie damit anfangen soll. Ganz zu schweigen vom Fehlen eines attraktiven Personals – so weit, so bekannt.

Und dennoch ist es ein großes Versagen der beiden immer noch mächtigsten Parteien des Landes, niemanden aufgestellt zu haben. Ja, Van der Bellen ist schwer zu schlagen. Ja, ein Wahlkampf kostet Geld. Aber dieses Geld ist für die Stabilität der Demokratie immer gut ausgegeben. Eine Partei ist kein Unternehmen. Sie hat der Bevölkerung zu dienen und nicht sich selbst. Der Präsidentenwahlkampf ist eine geschenkte Bühne. Wer gegen einen starken Gegner spielt, kann dort verlieren. Wer die Bühne aber gar nicht erst betritt, ist ein Loser.

Titelbild: Screenshot ORF.

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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