Donnerstag, April 25, 2024

SPÖ-Jugend schreddert vor ÖVP-Zentrale

Vor der Wiener ÖVP-Zentrale wurden am Montagvormittag Stimmzettel für die Bundespräsidentenwahl geschreddert – aber anders, als Sie denken. Wir waren vor Ort.

Wien, 19. September 2022 | Im Wind und strömenden Regen sammelte sich am Montagmorgen eine Gruppe an Menschen vor der ÖVP-Zentrale beim Wiener Rathaus in der Lichtenfelsgasse. Direkt platziert vor den rotjackigen, jungen Leuten: Schreddergeräte, beschriftet mit dem dicken Hashtag #stimmlos. So nämlich heißt die neue Kampagne der Wiener SPÖ-Jugend im Vorfeld der Bundespräsidentschaftswahlen.

Eine und einer nach dem anderen zieht einen leeren Stimmzettel, darauf lediglich die sieben Präsidentschaftskandidaten, durch den Schredder. Was soll die Aktion? Und warum vor der ÖVP-Zentrale?

„Es gibt bekanntlich keinen authentischeren Ort als hier, um einen Schredder zu benutzen“, so der Landesvorsitzende der Jungen Generation, Alexander Ackerl. Er spielt mit der Aussage auf das sogenannte Schreddergate im Jahr 2019 an, als ein türkiser Kanzlermitarbeiter Druckerfestplatten im Zuge des Misstrauensvotums gegen die damalige Ibiza-Kurz-Regierung schreddern ließ: heimlich, unter falschem Namen und ohne zu bezahlen.

1,4 Millionen Menschen ohne Wahlrecht

Die Aktion am Montag sollte allerdings die Aufmerksamkeit weniger auf Ibiza, sondern vielmehr auf eine ganz andere Problematik lenken: auf das große Demokratiedefizit bei der anstehenden Präsidenten-, aber auch den meisten anderen Wahlen. Allein ein Drittel aller Wiener und Wienerinnen darf nicht wählen, in ganz Österreich sind es sogar knapp 1,5 Millionen Menschen das entsprich rund 18 Prozent der Bevölkerung. Noch 2006 hatte die ÖVP weitere Verschärfungen im Staatsbürgerschaftsrecht herbeigeführt, so lautet das zweite Argument der jungen Aktivisten und Aktivistinnen für die türkise Standortwahl.

JG-Landesvorsitzender Alexander Ackerl vor der Wiener ÖVP-Zentrale. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

„Es kann nicht sein, dass Menschen, die in Österreich aufgewachsen sind, hier ihren Lebensmittelpunkt haben, hier hackeln und Steuern zahlen, nur dann auch als Österreicher gelten dürfen, wenn sie nach Abzug aller Lebenshaltungskosten monatlich weitere 1.000 Euro im Geldbörsel haben“, so Vorsitzender Ackerl. So hätten 72 Prozent der Hilfsarbeiter, 82 Prozent des Reinigungspersonals, aber gerade einmal acht Prozent der Ärzte und Ärztinnen mangels Staatsbürgerschaft kein Wahlrecht. „Das ist zynisch“, so Ackerl.

„Demokratiepolitische Zeitbombe“

Doch die finanzielle Hürde zur Erlangung des österreichischen Passes ist nicht das einzige, an dem man sich hier im montäglichen, nasskalten Wetter stört: „Wenn ein Drittel der Wiener Bevölkerung nicht mitbestimmen darf, wie Nationalrat und Gemeinderat zusammengesetzt sind oder wer für die nächsten sechs Jahre Bundespräsident werden soll, dann stellt sich schon die Frage nach der demokratischen Legitimation.“ Es handele sich um eine „demokratiepolitische Zeitbombe, die dringend entschärft werden muss“. Ackerl: „Wem nützt diese Regelung wohl eher: der Altenpflegerin oder der berühmten Opernsängerin?“ Die #stimmlos-Kampagne solle dieser Problematik eine Stimme geben.

Schreddern vor der ÖVP-Parteizentrale in Wien. (C) ZackZack/Christopher Glanzl

Während die ÖVP – erst in den letzten Wochen wiederholt in Person der gerade eben zurückgetretenen Generalsekretärin Laura Sachslehner – laufend betont, dass man sich die österreichische Staatsbürgerschaft erst „verdienen“ müsse, fällte die Arbeiterkammer beispielsweise erst im Mai einen historischen Beschluss für eine neue Staatsbürgerschaftsregelung – und damit auch die Frage, wer sie wie schwer oder leicht bekommen soll. Geht es nach der größten Interessensvertretung im Land, sollen künftig auch im Inland geborene Kinder und auch solche, die zumindest die Hälfte ihrer Schulpflicht in Österreich absolviert haben, die Staatsbürgerschaft nach fünf Jahren erhalten können, wenn sich zumindest ein Elternteil rechtmäßig im Inland aufhält.

Wahlrecht und Mitreden

Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hielt kürzlich in einem Statement für SOS Mitmensch fest: „Ohne Wahlrecht ist man vielleicht Mitglied einer wirtschaftlichen oder sozialen Gemeinschaft, aber kein vollwertiges Mitglied einer politischen Gemeinschaft, das fehlt den Menschen. Keine Stimme zu haben ist auch auf der emotionalen Ebene nicht trivial. Es kann das Gefühl verstärken, auch im Alltag nichts zu sagen zu haben.“ Auch sie ortet hinsichtlich der finanziellen Barrieren eine „ökonomische Selektion“.

Die JG ist – wie ihre Mutterpartei – nur eine von vielen Organisationen und NGOs, die eine dringende Überarbeitung des Wahlrechts und eine Neuregelung rund um die Erlangung der Staatsbürgerschaft fordern. Um zu erfahren, was eigentlich die einzelnen Präsidentschaftskandidaten von der derzeitigen Lage halte und davon, dass so viele hier Menschen sie nicht einmal wählen können, auch wenn sie wollten, wurde ein Fragebogen an alle ausgesendet.

Pass-Egal-Wahl

Laut SOS Mitmensch wird annähernd jede fünfte in Österreich lebende Person im Wahlalter aufgrund der Staatsbürgerschaft nicht an der Bundespräsidentschaftswahl teilnehmen dürfen. Knapp die Hälfte der Betroffenen lebt laut den Daten der Statistik Austria schon länger als zehn Jahre in Österreich, ein Drittel sogar schon länger als 15 Jahre. Immer mehr werden im Land geboren.

Übrigens: Auch heuer bietet die NGO wieder die sogenannten Pass-Egal-Wahlen an. Unter dem Motto „Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss“ kann jeder ungeachtet seiner Staatsbürgerschaft noch bis 4. Oktober für die Kandidaten der Bundespräsidentschaftswahl stimmen.

(am)

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Anja Melzer
Anja Melzer
Hält sich für die österreichischste Piefke der Welt, redet gerne, sehr viel und vor allem sehr schnell, hegt eine Vorliebe für Mord(s)themen. Stellvertretende Chefredakteurin. Sie twittert unter @mauerfallkind.
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19 Kommentare

  1. Die ÖVP Jugend schreddert als Antwort bald ihre Anzüge in Griechenland neben Moria 2. “Es gibt bekanntlich keinen authentischeren Ort um bloßhappert um sein Leben zu betteln.”

  2. Mich würde interessieren, wie es in DE, ES, IT, DK und FR im Vergleich aussieht. Weiß das jmd auf die Schnelle?

  3. Das Lebensprinzip rechts der Mitte im national-freiheitlichen bzw. konservativ christlich-sozialen Milieu? Segregation statt demokratische Inklusion. Kulturell, wirtschaftlich, politisch und identitär (völkisch). MIA bestimmen über den “Rest”!

    -> “Heile Welt” in wertenden Kategorien gedacht, um das “Law and Order Prinzip” im Überwachungsstaat Angst getriggert am Leben zu erhalten, “externe” (fremd-ländische) Feindbilder auch mitten in der Multikulti-Gesellschaft zu kultivieren, um sich elitär im repressiven Regulativ zu legitimieren… (also eher doch schein-heilig?)

  4. Ein weiterer Versuch, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen. Die Intention ist völlig durchschaubar, ich erspar mir daher jeden Kommentar dazu. Nur soviel, man sollte die Bedingungen für den Erhalt unserer Staatsbürgerschaft nicht nur nicht erleichtern, sondern sogar noch erheblich verschärfen und rigoros jeden Missbrauch streng bestrafen. Wer unsere Werte und unsere Lebensform ablehnt, soll natürlich keinesfalls unsere Staatsbürgerschaft erhalten können, und selbstverständlich auch kein Wahlrecht haben. Wer als Fremder in unser Land kommt und unsere Bedingungen erfüllen will, sich integriert, nicht straffällig wird und sich mit unserer Heimat voll identifiziert, dem wird es auch leicht fallen, unsere Staatsbürgerschaft zu erwerben. So teuer ist das nämlich nicht, und die Wartezeit ist auch überschaubar.

    • Ganz ehrlich, ich bin dafür, das man die Staatsbürgerschaft Leuten wie ihnen aberkennt. Für mich erfüllen sie keine der Bedingungen, die ich an einen anständigen Staatsbürger stelle, widerlicher Hetzer. 🤮

  5. Ja,der Zugang zur Staatsbürgerschaft sollte modernisiert werden;
    Nein,es soll nicht jeder,der da ist, wählen dürfen!

  6. Eigentlich wollte ich heute nichts mehr kommentieren. Bin jedoch über ein Auswanderer Video Thailand gestolpert. https://m.youtube.com/watch?v=iPEF88XD0Yo

    Probleme gibts mit dem generellen Rechtsstaat und den Ärzten.
    Sowas wie Stimmrecht ist in anderen Landern in Wahrheit ein Luxusproblem.

    Finde dennoch gut über solche Topics zu diskutieren. Generell vlt. das Wahlrecht in der Eu zu überarbeiten. Ein Deutscher lebt 20 Jahre in Ö und darf dann niergends richtig wählen.

  7. Ganz dumm aufgezogen war die Kampagne der Jugend nicht.

    Nur mal im Vergleich.
    UK: 1.516 €
    Usa: 750 € (formelles ist jedoch extrems schwer)

    Eine gewisse Staatsbürgerschaft sollte schon was bedeuten. Setzen wir diese zB. auf 500 € runter… Mir kommt die dann halt ein bisschen Wertlos vor.

    Wo ich eher der Freund bin, ist die Idee eines beschränkten Wahlrechts. Z.B. Eu Bürger lebt in Wien seit Hausnummer 5 Jahren. Dann soll er hier auch sein Stimmrecht warnehmen können. Die Diskussion sollte eher in diese Richtung gehen und defakto geht es der Spö auch nur um diesen Punkt.

    Auf dieses Topic habe ich als Emigrant natürlich 2 Blickwinkel. Ich habe kein Problem damit kein Stimmrecht zu haben. Erneut Emigriert ist schnell. Mir ist es wichtiger in meinem Heimatland mittels Briefwahl die Ordentlichen Machtverhältnisse zu wahren. Es gibt einfach zu viele Österreicher die Stunk machen und den VdB wählen

  8. Macht doch einmal Feldforschung in NÖ.
    In Alt-Pröllistan bestimmt der Bürgermeister wer wählen darf und wer nicht.

    • Im Land Johanna der Schrecklichen oder doch, historisch konnotiert,
      Johanna der Wahnsinnigen?

  9. Widerlich, eine ganze Bevölkerungsgruppe einfach auszuschließen nur aus wahltaktischem Kalkül.

    • Ja, widerlich.
      Aber darin ist die ÖVP geübt: zu schauen, wen sie wählen lässt und wem sie es zumindest schwer macht.
      Offensichtlich weiß die ÖVP ganz genau, dass sie nicht mit “Politik fürs Volk” punkten kann und in ihrem Stimmenfang auf Freunderlwirtschaft und dergleichen angewiesen ist.
      Ich hoffe, dass es über kurz oder lang zu einer Anklage nach dem Mafiaparagraphen kommt. So, wie auch jetzt noch viele mauern, um Aufklärung zu verhindern, muss man annehmen, dass all diese Teil des Systems sind

  10. Auch österreichische Staatsbürger bei welchem man einfach ihren Hauptwohnsitz abgemeldet hatte, wie diese erst viel später danach überhaupt erfahren konnten, können nicht in diesem Lande wählen

    • Als Auslandsösterreicher:in kann man wählen. Man muss allerdings irgendwo gemeldet sein. Sonst kann man in keinem Register aufscheinen. Und da gibt es 100.000e, die schon mehr als 15 Jahre mit Österreich nichts mehr am Hut haben, aber wählen dürfen sie. Sie kennen sich in Ö nicht mehr aus, wissen über die Politik nicht mehr bescheid, aber wählen geht.

      • Danke für diese Info – wußte ich nicht und wohl auch die meisten Einwohner nicht?
        Am besten sagen wir es diesen auch nicht weiter…
        Gott sei Dank gibt es auch die gekauften Medien

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