Ukraine:
Der russische Präsident Wladimir Putin hat verkündet, Tausende Reservisten in den Krieg einzuziehen. Das wird als Zeichen dafür gewertet, dass der Krieg für ihn schlecht läuft.
Kiew/Moskau, 21. September 2022 | Knapp sieben Monate nach Beginn des Ukrainekrieges hat Russland offiziell eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Mittwoch.
Die Teilmobilisierung beginne noch am Mittwoch. Laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu werden infolgedessen 300.000 Mann zum Militär eingezogen. Mit diesem Schritt, sagte Russland-Expertin Susanne Scholl gegenüber ZackZack, verändere Putin sein Narrativ: Der Fokus gehe weg von der angeblich nazistischen ukrainischen Führung hin zur angeblichen Verteidigung “seiner” Leute.
Russland spricht von Personalproblemen
Eingesetzt werden sollen Reservisten mit Kampferfahrung, sagte Schoigu. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland. Mit der Teilmobilmachung sollen vor allem die Personalprobleme an der Front gelöst werden. Die Reservisten würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten und auch vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult, versicherte Putin.
Susanne Scholl sagte in Anlehnung an den russischen Journalisten Arkadi Babtschenko, die russische Armee sei eine Sklavenarmee. Sie sei schon vor Putin in einem schlechten Zustand gewesen, Sanktionen hätten den Zustand noch verschärft. “Obwohl sie der ukrainischen Armee überlegen sein müsste, schafft sie es nicht, das Kriegsziel zu erreichen”, so die Expertin.
Drohungen Richtung Westen „kein Bluff“
Russland werde alle Mittel einsetzen, um seine territoriale Unversehrtheit zu schützen, sagte Putin, der zugleich drohte: “Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass die Kompassrose sich in ihre Richtung drehen kann.” Putin hat das strategische Nukleararsenal bereits in erhöhte Bereitschaft versetzen lassen, zur Abschreckung für die NATO, in der Ukraine aktiv zu werden.
Er sage “dem Westen: Wir haben viele Waffen, um zu antworten. Das ist kein Bluff”, so Putin. “Wir werden alle Ressourcen nutzen, um unsere Leute zu verteidigen.” Dann wartete er mit krassen Behauptungen auf: “Der Westen will unser Land zerstören. Der Westen wollte keinen Frieden zwischen der Ukraine und Russland.” Es sei “unsere historische Tradition, diejenigen zu stoppen, die nach der Weltherrschaft streben, die unserem Mutterland, unserer Heimat mit Zerstückelung und Unterdrückung drohen.” Russland-Expertin Scholl traut sich mittlerweile nicht mehr auszuschließen, dass Putin Atomwaffen einsetzen würde: “Noch vor ein paar Monaten hätte ich gesagt, das ist eine reine Drohgebärde, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.”
Ukraine: „erwartbarer Schritt“
Die angekündigte Teilmobilmachung zeigt nach Worten des ukrainischen Präsidentenberaters Mychailo Podoljak, dass der Krieg für Russland nicht nach Plan laufe. Der Schritt sei zu erwarten gewesen. Die anderen Äußerungen des russischen Präsidenten seien rhetorisch, sagte Podoljak. Ziel sei es, den Westen für den Krieg und die sich verschlechternde Wirtschaftslage in Russland verantwortlich zu machen.
Laut Russland-Expertin Scholl ist die Teilmobilisierung “in gewisser Weise ein Rückzug”. Putin konzentriere sich auf die besetzten Gebiete im Osten der Ukraine, die reich an Bodenschätzen sei und wo viel Industrie sitze.
Scheinreferenden sollen Fakten schaffen
Am Dienstag wurde bekannt, dass die Separatistenregionen und selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk planen, Scheinreferenden über einen Anschluss an Russland abzuhalten. Auch für Saporischschja und Cherson ist eine solche Scheinabstimmung geplant. Sie sind für 23. bis 27. September anberaumt und werden weder von der internationalen Staatengemeinschaft noch von der Ukraine anerkannt. Sie gelten als Reaktion auf die jüngsten ukrainischen Militärerfolge im Osten des Landes.
Auf der Krim habe man bereits gesehen, wie solche Abstimmungen abliefen, so die Expertin Scholl: Die Menschen würden mit vorgehaltener Waffe zum Abstimmen gezwungen, russische Soldaten dürften trotz fehlenden Stimmrechts auf ukrainischen Boden auch abstimmen und letztendlich könne Russland dann von einem Angriff auf sein Territorium sprechen.
Teilnahme an Referenden strafbar
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Scheinreferenden hat die Führung in Kiew ihre Landsleute vor einer Abstimmung gewarnt. “Jedwede Beteiligung an den “Referenden” wird als Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine gewertet”, schrieb der Podoljak noch am Dienstagabend auf Twitter. Zuvor hatte das ukrainische Außenministerium in einer Erklärung die Organisation der Scheinreferenden schon für strafbar erklärt.
Auch Vizepremier Iryna Wereschtschuk rief dazu auf, die Abstimmung zu ignorieren “und damit der Armee und sich selbst zu helfen”. Wer einen russischen Pass beantrage, müsse mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen, sagte sie im ukrainischen Fernsehen.
(pma/apa)
Titelbild: OLGA MALTSEVA / AFP / picturedesk.com