Freitag, März 29, 2024

Ukraine: Putin zieht Reservisten in den Krieg ein

Ukraine:

Der russische Präsident Wladimir Putin hat verkündet, Tausende Reservisten in den Krieg einzuziehen. Das wird als Zeichen dafür gewertet, dass der Krieg für ihn schlecht läuft.

Kiew/Moskau, 21. September 2022 | Knapp sieben Monate nach Beginn des Ukrainekrieges hat Russland offiziell eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet. Er habe diese Entscheidung nach einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums getroffen und das Dekret unterschrieben, sagte Kremlchef Wladimir Putin in einer Fernsehansprache am Mittwoch.

Die Teilmobilisierung beginne noch am Mittwoch. Laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu werden infolgedessen 300.000 Mann zum Militär eingezogen. Mit diesem Schritt, sagte Russland-Expertin Susanne Scholl gegenüber ZackZack, verändere Putin sein Narrativ: Der Fokus gehe weg von der angeblich nazistischen ukrainischen Führung hin zur angeblichen Verteidigung “seiner” Leute.

Russland spricht von Personalproblemen

Eingesetzt werden sollen Reservisten mit Kampferfahrung, sagte Schoigu. Insgesamt gebe es 25 Millionen Reservisten in Russland. Mit der Teilmobilmachung sollen vor allem die Personalprobleme an der Front gelöst werden. Die Reservisten würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten und auch vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult, versicherte Putin.

Susanne Scholl sagte in Anlehnung an den russischen Journalisten Arkadi Babtschenko, die russische Armee sei eine Sklavenarmee. Sie sei schon vor Putin in einem schlechten Zustand gewesen, Sanktionen hätten den Zustand noch verschärft. “Obwohl sie der ukrainischen Armee überlegen sein müsste, schafft sie es nicht, das Kriegsziel zu erreichen”, so die Expertin.

Drohungen Richtung Westen „kein Bluff“

Russland werde alle Mittel einsetzen, um seine territoriale Unversehrtheit zu schützen, sagte Putin, der zugleich drohte: “Diejenigen, die versuchen, uns mit Atomwaffen zu erpressen, sollten wissen, dass die Kompassrose sich in ihre Richtung drehen kann.” Putin hat das strategische Nukleararsenal bereits in erhöhte Bereitschaft versetzen lassen, zur Abschreckung für die NATO, in der Ukraine aktiv zu werden.

Er sage “dem Westen: Wir haben viele Waffen, um zu antworten. Das ist kein Bluff”, so Putin. “Wir werden alle Ressourcen nutzen, um unsere Leute zu verteidigen.” Dann wartete er mit krassen Behauptungen auf: “Der Westen will unser Land zerstören. Der Westen wollte keinen Frieden zwischen der Ukraine und Russland.” Es sei “unsere historische Tradition, diejenigen zu stoppen, die nach der Weltherrschaft streben, die unserem Mutterland, unserer Heimat mit Zerstückelung und Unterdrückung drohen.” Russland-Expertin Scholl traut sich mittlerweile nicht mehr auszuschließen, dass Putin Atomwaffen einsetzen würde: “Noch vor ein paar Monaten hätte ich gesagt, das ist eine reine Drohgebärde, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.”

Ukraine: „erwartbarer Schritt“

Die angekündigte Teilmobilmachung zeigt nach Worten des ukrainischen Präsidentenberaters Mychailo Podoljak, dass der Krieg für Russland nicht nach Plan laufe. Der Schritt sei zu erwarten gewesen. Die anderen Äußerungen des russischen Präsidenten seien rhetorisch, sagte Podoljak. Ziel sei es, den Westen für den Krieg und die sich verschlechternde Wirtschaftslage in Russland verantwortlich zu machen.

Laut Russland-Expertin Scholl ist die Teilmobilisierung “in gewisser Weise ein Rückzug”. Putin konzentriere sich auf die besetzten Gebiete im Osten der Ukraine, die reich an Bodenschätzen sei und wo viel Industrie sitze.

Scheinreferenden sollen Fakten schaffen

Am Dienstag wurde bekannt, dass die Separatistenregionen und selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk planen, Scheinreferenden über einen Anschluss an Russland abzuhalten. Auch für Saporischschja und Cherson ist eine solche Scheinabstimmung geplant. Sie sind für 23. bis 27. September anberaumt und werden weder von der internationalen Staatengemeinschaft noch von der Ukraine anerkannt. Sie gelten als Reaktion auf die jüngsten ukrainischen Militärerfolge im Osten des Landes.

Auf der Krim habe man bereits gesehen, wie solche Abstimmungen abliefen, so die Expertin Scholl: Die Menschen würden mit vorgehaltener Waffe zum Abstimmen gezwungen, russische Soldaten dürften trotz fehlenden Stimmrechts auf ukrainischen Boden auch abstimmen und letztendlich könne Russland dann von einem Angriff auf sein Territorium sprechen.

Teilnahme an Referenden strafbar

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Scheinreferenden hat die Führung in Kiew ihre Landsleute vor einer Abstimmung gewarnt. “Jedwede Beteiligung an den “Referenden” wird als Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine gewertet”, schrieb der Podoljak noch am Dienstagabend auf Twitter. Zuvor hatte das ukrainische Außenministerium in einer Erklärung die Organisation der Scheinreferenden schon für strafbar erklärt.

Auch Vizepremier Iryna Wereschtschuk rief dazu auf, die Abstimmung zu ignorieren “und damit der Armee und sich selbst zu helfen”. Wer einen russischen Pass beantrage, müsse mit bis zu 15 Jahren Haft rechnen, sagte sie im ukrainischen Fernsehen.

(pma/apa)

Titelbild: OLGA MALTSEVA / AFP / picturedesk.com

Pia Miller-Aichholz
Pia Miller-Aichholz
Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich
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25 Kommentare

  1. Könnte Putin die Zeit zurückdrehen, würde er die “Sonderaktion” sicher nicht begonnen haben. Die russischen Streitkräfte sind offensichtlich doch nicht so schlagkräftig, wie man im Kreml geglaubt hat.
    Aber anstatt jetzt das russische Volk zu verheizen, sollte man sich vielleicht Gedanken darüber machen, wie man diese “Sonderaktion” ohne großen Gesichtsverlust beenden könnte.

  2. Es ist jetzt eine recht deutliche Veränderung zu sehen.
    Im Donbas haben die russischen Truppen vier Monate gebraucht um Luhansk einzunehmen und Teile von Donezk. Das ist etwa der Gebietsgewinn, den die Ukrainer an zwei Tagen zunichte gemacht haben. Und die Ukrainer sind weiterhin unterwegs.

  3. Die Fernsehansprache war wieder mal bemerkenswert. Darstellung Putin: Sitzend, schräg nach vorne gerichtet, soll Dyamik ausdrücken, ein Unterarm am Tisch, beide Hände am Tisch, die sich minimal bewegen, die Augen auf den Teleprompter gerichtet, die Ansprache ablesend. Hinter ihm die Holzvertäfelung und eine Telefonanlage aus den 80iger Jahren, westlichen Standards. Der rechte Daumen zuckt immer wieder, die Hände wollen sich bewegen, werden aber fast durchgehend im Korsett der Inszenierung an die Tischplatte gepresst gehalten. Festigkeit soll das ausdrücken. Einen Tiger am Sprung.

    Nun denn: Was war das? Weil die Spezialoperation militärisch nach Plan läuft, braucht das rus Militär neues Kanonenfutter. Das war die Kernbotschaft. Wie sagte Hitler damals bei Stalingrad? “Wenn sie das nicht schaffen, dann haben sie mich nicht verdient.” Und ließ 1 Million deutsche Soldaten ebendort verrecken. Wie der rus Präsident das nun vermittelt, hört sich das genauso an.

  4. Putin wird mit der Mobilmachung den Status Quo absichern und arrondieren. Mit den nachfolgenden Referenden wird er den Status einzementieren und damit intern die Verteidigung der neuen Gebiete mit Nuklearwaffen legitimieren. Ein Angriff auf die gesamte Ukraine ist nicht zuletzt aufgrund der maroden klassischen Kampfstärke mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
    Selenskyi wird genauso wie er zuvor schon das Atomkraftwerk angegriffen hat auch die annektierten Gebiete angreifen, um Putin zu einem weiteren Fehltritt zu provozieren und um damit die Nato endlich in den Krieg hineinziehen zu können. Putin wird dann mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den Nulearwaffen greifen.
    Die weiteren Züge auf dem Schachbrett sind ziemlich klar ersichtlich und das schreckliche Resultat ist absehbar. Die Frage ist nur noch, wieviel von unserer Gesundheit und unserem Wohlstand es den handelnden Politikern wert ist, ihren Kopf durchzusetzen oder zumindest den USA ein braver Diener zu sein.

    • Das heisst wir lassen Putin gewähren und die Ukraine im Stich?
      Um nicht Diener der USA zu sein?
      Wer setzt Ihnen Ihre Texte auf?
      St. Petersburg?

      • Wir sollten einen Kompromiss herbeiführen, der in der jetzigen Situation beiden Seiten gerecht wird. Dann ist der Krieg aus und die Ukraine kann wieder aufgebaut werden und das normale Leben wieder seinen Lauf nehmen. Wenn wir aber mit dem Kopf durch die Wand wollen, dann haben wir im besten Fall noch jahrelang Krieg und Elend und tausende Tote mehr und im schlechtesten Fall einen Atomkrieg. Ist es Ihnen das wirklich wert? Ist es das der ukrainischen Bevölkerung wert?
        Ich denke, Sie werden locker Ja sagen …

        • Es gibt keinen Kompromiss mehr. Wenn ich Sie mit dem Messer angreife und in den Bauch steche, was wird der Kompromiss sein, den Sie mit mir aushandelnd? Dass ich Ihnen nicht ins Herz steche, sondern nur ein Bein abtrenne? Kompromisse können nur ohne Krieg erzielt werden. Sobald ein Krieg begonnen wurde, geht es nicht mehr um Kompromisse.

          Wie Sie von der ukrainischen Bevölkerung sprechen können, nachdem Putin heute Brüssel, London und Washington als seine Feinde ausmachte, ist mir schleierhaft. Sie müssen schon genauer hinhören, um auf dem Laufenden zu sein. Die Ukraine ist nicht sein Ziel, um die Mobilmachung zu rechtfertigen hat er Brüssel, also die EU, also uns als Feinde auserwählt.

    • Das schreckliche Resultat ist absehbar. Der Kreml wird den Krieg verlieren. Der Kreml pfeift jetzt schon aus dem letzten Loch. Vielleicht will Putin zu den Nuklearwaffen greifen, aber ob sie ihm das dan ausführen, ist auch noch eine andere Frage. Erweiterter Selbstmord als globaler Selbstmord? Kann mir schon vorstellen, dass Putin sich das ausmalt, aber ob da die Generäle und anderen Ausführenden so mitspielen, steht auf einem anderen Blatt.

      Zur Mobilmachung: 300.000 Reservisten unter 29 Jahren will er rekrutieren. Hm. 25 Millionen Reservisten gibt es in RU. Gut, 300.000. Erstmal schauen, ob das geht, ob ihm die nicht schon davongelaufen sind. Is ja schon wie zu Sowjetzeiten, dass sie Mauern bauen müssen, damit die Leute nicht davonlaufen. Aber gut, wenn er sie noch einfängt, was macht er mit ihnen? Hat er 300.000 zusätzliche Uniformen? Und wer schneidert diese? Hat er die Infrastruktur für die Lebensmittellogistik für einen Einsatz? Alles fragwürdig. An welchen Waffensystemen sollen die eine Einschulung bekommen? Oder werden die einfach ohne in die Ukraine geschickt? Als Schlachtopfer?

      Man rechnet mit dieser Mobilmachung mit einer rus Offensive im Frühling. Vorher sind die nicht bereit. Und wenn er eh mit Atomwaffen dicht machen will, dann braucht er keine Mobilmachung. Das stimmt alles hint und vorn nicht.

  5. Während Leonore uns lehr wie man richtig duscht und Teller abwäscht passiert DAS:
    Russland teilmobilisiert, Chinas Xi Jinping hat seine Armee angewiesen sich auf einen Krieg vorzubereiten, der iranische Präsident hat bei der 77. UN-Generalversammlung erklärt, eine neue Weltordnung nimmt Gestalt an, um die bestehende zu ersetzen. Scheint spannend zu werden.

    • Und? Würde es was daran ändern wenn Gewessler keine Energiespartipps geben würde? Was hat das eine mit dem anderen überhaupt zu tun? Sie wissen es selber nicht? Kann ich mir denken.

  6. Frau Susanne Scholls Einschätzung stimmte schon immer (nicht): (Wiener Zeitung 2011)
    Bulgarien und Rumänien sind Weltmarktführer in Sachen Korruption. Und dort werden auch die Menschenrechte verletzt. Ich glaube nicht, dass solche Länder in der EU sein sollten.

  7. Wenn es für Putin schlecht läuft, wird es gefährlich. Den Krieg verlieren oder kapitulieren kann und wird er sich nicht leisten sonst ist er selber dran. Das könnte den Atomkrieg auslösen. Darauf hat Richard David Precht allerdings schon im März hingewiesen. Ein Philosoph lernt das logische Denken eben gründlicher als die medial beeinflussten Kriegsbefürworter.

    • Macht einen sehr traurig. Die 3.000 die jetzt plötzlich mit einem Einberufungsbefehl dastehen werden kaum freiwillig in den Krieg ziehen weil sonst wären sie schon dort. 😒 Ich denke viele werden in die Ukraine ziehen und dort bei der erst besten Gelegenheit desertieren…..

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