Freitag, März 29, 2024

ÖVP-Klubobmann erklärt Kalte Progression falsch

Ein Versuch von ÖVP-Klubobmann August Wöginger, die Abschaffung der Kalten Progression zu veranschaulichen, ging ordentlich schief.

Wien, 22. September 2022 | ÖVP-Klubobmann August Wöginger wollte TikTok und seiner Anhängerschaft etwas Gutes tun und die Kalte Progression erklären – und damit Anti-Teuerungsmaßnahmen bewerben. Stattdessen zahlt die Person in seinem Beispiel plötzlich gar keine Steuern mehr und Twitter ist amüsiert.

Steuerlose Gehaltserhöhung

Wirtschaftliche Konzepte zu erklären ist nicht immer leicht, konkrete Beispiele schaffen Abhilfe. Wöginger ging von einer Person aus, die monatlich 2.000 Euro Brutto erhält und aufgrund der Inflation eine Gehaltserhöhung von 100 Euro im Monat bekommt. 20 Euro davon zieht er für die Sozialversicherung ab, „das war so und das bleibt so. Also die sind einmal weg.“ Dann erklärt Wöginger, in der Vergangenheit hätte die Person von den 100 Euro rund 30 Euro an Steuern abführen müssen. „Und diese 30 Euro, die sind jetzt nicht mehr besteuert“, erklärt der Klubobmann und gönnt der Person prompt eine steuerlose Gehaltserhöhung. Statt einer Steueranpassung führte er eine Steuerabschaffung vor.

Steueranpassung nicht -abschaffung

Steuerlose Gehaltserhöhungen hätte man viel weiter links auf dem politischen Spektrum verortet. Das ist auch nicht das, was die Regierung beschlossen hat. Durch die verkündete „Abschaffung der Kalten Progression“ werden mit 1. Jänner 2023 die Steuerstufen automatisch um einen Inflations-Durchschnittssatz angehoben. Was früher die Regierung in einer Steuerreform verhandelt hat, passiert künftig automatisch.

Solche Reformen waren unter anderem notwendig, um sicherzugehen, dass Gehaltserhöhungen, die auf Basis der Teuerungsrate gewährt werden, nicht verpuffen, etwa wenn man durch das Brutto-Einkommensplus in eine höhere Steuerklasse aufsteigt. Mit niedrigeren Steuersätzen bleibt zudem auch innerhalb derselben Steuerstufe mehr Netto vom Brutto. Mit der jüngsten Steuerreform sind Anfang 2022 unter anderem die Steuerprozentsätze für die zweite und dritte Steuerstufe von 35 auf 30 Prozent beziehungsweise von 42 auf 40 Prozent reduziert worden.

Experten üben Kritik

Was erst gut klingen mag, hat der Regierung aus Wirtschaftswissenschaftskreisen viel Kritik eingebracht. Regelmäßige Steuersenkungen würden gezielter unterstützen, zeigte etwa eine Studie des Momentum Instituts. Mit dem Automatismus verliere man wichtige „verteilungs-, budget und konjunkturpolitische Spielräume“, schrieb Ökonom Joel Tölgyes im Juni.

Durch das Gesamtpaket profitieren letzten Endes höhere Einkommen in Relation stärker als niedrigere, rechnete auch Jakob Sturn vom Momentum Institut jüngst in „Ausgerechnet“ vor: „492 Euro pro Kopf mehr bleibt den reichsten Haushalten im kommenden Jahr, bei Menschen mit den niedrigsten Einkommen sind es lediglich 84 Euro. Für die Mittelschicht gibt es 312 Euro pro Kopf.“ Er plädiert dafür, sich den Spielraum bei vermögensbezogenen Steuern wieder zurückzuholen.

(pma)

Titelbild: JOE KLAMAR / AFP / picturedesk.com

Pia Miller-Aichholz
Pia Miller-Aichholz
Hat sich daran gewöhnt, unangenehme Fragen zu stellen, und bemüht sich, es zumindest höflich zu tun. Diskutiert gerne – off- und online. Optimistische Realistin, Feministin und Fan der Redaktions-Naschlade. @PiaMillerAich
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31 Kommentare

  1. Anscheinend hat über die Jahre noch keine Regierungspartei die kalte Progression richtig verstanden. Darum konnte sie bis heute auch nicht wirklich abgeschafft werden.
    Ein fachlicher Mindeststandard für Politiker wäre hilfreich.

  2. Höginger ist ein Ungustl! Das er Falschmeldungen von sich gibt, ist nicht das erste Mal. Diese Regierung gehört in die Wüste geschickt, zusammen mit Van der Bellen, dieser Mumie! In Bregenz hat er im Vorjahr die SALZBURGER Festspiele eröffnet. Das habe ich live im Radio gehört!

  3. Da wurde der arme August aber sicher falsch beraten, hat er womöglich am falschen Platz gespart?

    Für immer Gewaltfrei

  4. Die schwarze Brut war zu lange in der Regierung. Die sind einfach abgehoben und kennen nur mehr ihre ” Wahrheit “.

  5. ÖVP-Klubobmann erklärt Kalte Progression falsch: Solche Leute braucht das Land!
    Kraft ihrer Ämter entscheiden sie über Maßnahmen, die sie gar nicht verstehen.
    Gut’ Nacht, Volksvertreter!

  6. Sorry, konnte mir das leider nicht ansehen. Der Mensch geht mir so derartig auf den Geist, dass das unmöglich ist. Das die ÖVP nur wirtschaftsnahe aber nicht wirtschaftskompetent ist weiß ohnehin jeder.

  7. Herr Wöginger, Sie haben die REGRESSION erklärt. Das macht nichts, Sie sind ja nicht bei einer Wirtschaftspartei…

    • Danke für die gute Erklärung.
      Seit ich beruflich mit Lohnabrechnung zu tun hatte, stellt sich mir die Frage, weshalb es bei der SV eine Höchstbeitragsgrundlage gibt. Jeder Geringverdiener zahlt für sein Gehalt (Lohn) die volle SV, nur die Gutverdiener werden wieder bevorzugt.

      • die erklärung für die höchstbemessungsgrundlage liegt in den zu erwartenden auszahlungen, die eben von dieser höchstbemessung gerechnet werden.
        man hat offensichtlich angst, dass die auszahlungen ansonst hohe mtl beträge sein könnten.

      • Die Höchbeitragsgrundlage gibt es deshalb, weil es auch für die Leistungen aus der Sozialversicherung einer Obergrenze gibt.

        • das mit der höchstbemessungsgrundlage ist der oberschmäh. von wegen, damit nachher pensionen gedeckelt werden. da gehts ausschliesslich darum, dass die grossverdiener weniger brennen.ein ponzisystem (umlageverfahren) hat nie was mit einer kapitalversicherung zu tun. die benennung ist ja schon die irreführung: pensionsVERSICHERUNG. man erkläre mir aber, warum zb erträge aus kapitalvermögen oder vermietung und verpachtung der privatiers NICHT sozialversicherungspflichtig sind. die ach so gerne verglichene schweiz macht das viel schlauer. alle brennen SV für alle einkünfte – jedoch degressiv. https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/beitraege.html

          • Natürlich können Sie im Umlageverfahren beliebig umverteilen. Sie können auch alle Beiträge abschaffen und die gesamte Sozialversicherunhg aus dem Budget finanzieren. Aber wenn Sie im Pensionswesen einen fairen Ausgleich zwischen den Beitragszahlen schaffen wollen, ist es eine valide Methode, Mechanismen des Versicherungswesens zu integrieren. Das Pensionskonto und die längeren Pensions-Durchrechnungszeiten waren zum Beispiel vom Kapitalmarkt übernommene Maßnahmen in diese Richtung. Dass sich solche zwangsläufig aus dem Umlageverfahren ergeben hat niemand behauptet, da müssen Sie groß dagegen argumentieren.
            Die Erklärung, warum Kapital- und Mieterträge nicht beitragspflichtig sind, müssten Sie sich von jemandem einholen, der dafür plädiert.
            Die Sozialversicherungsbeträge leisten Sie nicht alleine für die Pension, sondern auch für den Fall von Krankenstand oder Arbeitslosigkeit. Daher der Versicherungsbegriff. Was die Finanzierung des Gesundheitssystems betrifft, ist die Höchstbemessungsgrundlage nicht argumentierbar, hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung und der Pensionsbeiträge sehr wohl. Das ist kein Oberschmäh, das ist Mathematik.

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