Donnerstag, März 28, 2024

Fritz oder Giorgia? – Kommentar

Kommentar

Giorgia hat die Wahl in Italien gewonnen, Fritz die in Tirol. Während die Faschistin Giorgia Meloni jetzt auch die Macht übernimmt, wird die Liste Fritz trotz ihres großen Wahlsiegs nur am Rande beachtet. Peter Pilz hält das für einen Fehler und erklärt, warum.

Peter Pilz

Wien, 27. September 2022 | Der schöne Satz von Keynes, dass wir langfristig alle tot sind, gilt heute vor allem für die alten Staatsparteien. Nur im Casino ist die Zeit stehengeblieben.

Wenn der Croupier am Rad dreht, bleibt der Kugel die Wahl zwischen Rot oder Schwarz.

Es ist vier Jahrzehnte her, dass die Casino-Regel für die Politik in ganz Europa gegolten hat. Neben Sozialdemokratisch und Konservativ war meist nur Platz für eine weitere Partei, die sich oft selbst resignativ „dritte Kraft“ nannte.

Das ist vorbei. Die alten Staatsparteien siechen dahin. Einige von ihnen halten sich länger an der Macht, anderen fehlt schon die Kraft zum Überleben. In Österreich trifft es jetzt die ÖVP. Ihr Absturz hat begonnen. Nach 36 Jahren scheint der Abschied von der Macht am Wiener Ballhausplatz besiegelt zu sein.

An Parteien, die regieren wollen, gibt es eine einfache Frage: „Wofür seid ihr da?“ Oder, persönlicher: „Wozu brauchen wir euch noch?“ Zu beiden Fragen fällt den Spitzen der ÖVP nichts mehr ein. Ihr letzter Trost lautet, dass es der SPÖ nicht viel besser geht.

Unversöhnliche Lager

Der lange Niedergang der beiden Staatsparteien wird von einer neuen Illusion begleitet: „Die Lager verschwinden“. Die neuen Blöcke der Rechten, die von Schweden bis Italien die Macht übernehmen, zeigen, dass das nicht stimmt. Die soziale Marktwirtschaft ist längst von der unsozialen Marktwirtschaft abgelöst worden. Jetzt werden aus den alten versöhnlichen die neuen unversöhnlichen Lager.

Die politische Rechte formiert sich neu. Ihre Parteien schließen sich wie in Italien zu Lagern zusammen und übernehmen die Macht. In ganz Europa beobachten Christdemokraten ihr neues Lager mit gemischten Gefühlen. Die einen rümpfen die Nase, die anderen applaudieren, aber am Ende sind fast alle dabei.

Auf der anderen Seite herrscht bestenfalls Verwirrung. Sozialdemokraten und Grüne stehen ratlos im Niemandsland und versuchen, den Konservativen ihre Hände zu reichen. In Tirol sitzt die SPÖ über Wählerstromanalysen und wundert sich, dass zwar enttäuschte Schwarze zu ihr übergelaufen, aber fast ebenso viele wieder davongelaufen sind.

Dabei hat das einen ganz einfachen Grund: Weder SPÖ noch Grüne sind Alternativen zur ÖVP. Wer die ÖVP abwählen will, wählt dazu nicht Parteien, die ihr zurück in den Sattel helfen wollen.

Tiroler Lehren

Der Wahlsonntag hat uns drei Tiroler Lehren beschert:

  1. Steigbügelparteien stagnieren oder verlieren mit der ÖVP.
  2. Die Wahl gewinnt eine Partei, die in jeder Hinsicht ein Gegengewicht zu ÖVP und FPÖ bildet.
  3. Wenn sich diese Partei erfolgreich an Protestwähler wendet, kann sie –wahrscheinlich als einzige – eine italienische Mehrheit verhindern.

Ein Anfang in Tirol

Ich weiß, Tiroler hören es nicht gerne, wenn man ihnen sagt, dass Tirol kleiner als Italien ist. Aber das Modell „Fritz“ ist nicht weniger bedeutend als das Modell „Giorgia“. Vielleicht sind die zehn Prozent in Tirol ein Anfang.

Für diesen Anfang lohnt es sich, die wichtigste Lehre der italienischen Wahl zu beherzigen: Giorgia Meloni ist nicht gewählt worden, weil, sondern obwohl sie Faschistin ist. Immer mehr Menschen suchen zumindest in Italien so verzweifelt nach einer Alternative, dass sie alles wählen, was Änderung verspricht.

Aber Europa ist nicht nur Italien, es ist auch Portugal. Dort bekämpft ein Linksbündnis erfolgreich Energiearmut, Teuerung und Pandemie. Lohn- und Pensionskürzungen wurden zurückgenommen, die dogmatische Sparpolitik ist vorbei. Die Wirtschaft wächst, und die rechten Parteien stagnieren.

Das kann auch anderswo die Alternative sein. Jetzt hat sie zumindest in Tirol ein Lebenszeichen von sich gegeben.

Titelbild: ZackZack /APA/EXPA/JOHANN GRODER; Andreas SOLARO / AFP

 

Peter Pilz
Peter Pilz
Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.
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27 Kommentare

  1. Bravo Liste Fritz:
    Diese stellten nun zur Bedingung für eine mögliche Koalition mit der ÖVP, dass die Gemeindegutsagrarraube den Gemeinden zurückgegen werden müssten!
    Die ÖVP wird anscheinend darauf nicht eingehen können? – Vor allem die Bauern sollten hier dagegen sein, geht es wohl vermutlich auch um deren Existenzen, wenn sie den vollen Schadenseratz leisten müssten?
    Noch immer schweigen aber die Meanstreammedien dazu…

  2. Es will zwar niemand wahrhaben oder hören, die Grünen sind keine linke Partei. Diese speist sich vorwiegend aus gut betuchten Konservativen mit schlechtem Gewissen (oder deren Kindern) bzw. aus höheren institutionellen Rängen öffentlich finanzierter Institutionen. Die Grünen sind Teil eines (selbsternannten) „elitären“ Zirkels, dem ist nicht die Bohne um ein besseres Leben für den gemeinen Pöbel geht, ganz im Gegenteil diesen verachtet.

    • Der bürgerliche Anteil, den sie hier beschreiben ist zwar nicht gering, macht aber bei weitem nicht das gesamte Politpersonal bzw Wählerspektrum aus. Es gibt auch noch genügend Österreicher die als Politikernachwuchs oder Grünwähler dem Klimaaktivismus zugetan sind und außer den Grünen keine Partei vorfinden, wo sie sich sonst engagieren bzw. die sie sonst wählen könnten. Oder fällt ihnen da welche ein die sich diesbezüglich zweckdienlich hervortut?

  3. Das trifft die Sache schon im Kern. Zur tiroler SPÖ hab ich mir auch gedacht: Sie lernen es nicht. Zuerst ist die SPÖ gescheitert (vor 20 Jahren und mehr), als sie die sozialere FPÖ sein wollte. Hat ihr nichts gebracht. Und jetzt versucht man die bürgerlichere ÖVP zu werden. Geht wieder in die Hose. Wie soll es sich auch ausgehen? Die Bürgerlichen wandern dann zwar zur SPÖ, aber die Hackler wenden sich ab. Ein Nullsummenspiel.

    Die Grundfrage bleibt: Wofür brauchen wir die SPÖ? Was bietet die SPÖ an? Im Prinzip nicht viel Glaubwürdiges, wenn es um die Neuordnung der Marktwirtschaft geht, die m.E. in den nächsten Jahren sowieso ansteht, weil es sich mit unserer Verteilungsdynamik bei 10fach, 20fachen höheren Energiekosten als 2021 nicht ausgehen wird.

    “Mit Putin verhandeln” wird uns da nicht weiterbringen. “Erneuerbare” rufen, wird uns ebenso nicht weiterbringen. Wir müssen unser Wirtschaftssystem neu konzeptionieren. Einfach wird das nicht. Alle schrecken davor zurück.

    • Ich würde die SPÖ noch nicht abschreiben. Ihr Programm ist weiterhin sozial geprägt. PRW ist leider nicht sehr laut, hier liegt ein Problem vor. Was meiner Meinung nach bei Ihrem Beraterstab liegt und natürlich an Ihrer Zurückhaltung offen und ehrlich zu sagen was Sache ist.
      Wirtschaftsfachleute hat die SPÖ sowieso. Mich ärgert die offensichtliche Zurückhaltung ” meiner” Roten.

      • Ich habe die SPÖ nicht abgeschrieben. Ich war mir auch vor 3 Jahren schon ziemlich sicher, dass PRW länger Parteiobfrau sein würde. Da haben alle noch im Monatstakt geschrieben/gesagt, sie ist bald weg. Seis drum. Ich habe auch sehr lange die Strategie: “In turbulenten Zeiten, setze dich an den Fluss und sieh zu, wie die Leichen vorbeischwimmen.” durchaus verstanden und für klug gehalten. Gut. Das ist passiert. Die Leichen sind vorbeigeschwommen, mit Kurz die wichtigste Leiche. Es sind immer noch turbulente Zeiten, aber es macht jetzt keinen Unterschied mehr, ob keine Leiche oder noch weitere 100 vorbeischwimmen. Das Ergebnis ist schon da.

        Jetzt muss die SPÖ antreten und etwa vorlegen. Nur zuwarten erweckt den Eindruck, es würde einen nicht interessieren.

        Picketty und eine Menge andere Wirtschaftswissenschafter haben mittlerweile viele Perspektiven eines wirtschaftlichen Umbaus vorgestellt. Durchkalkuliert, wie es sich ausgeht, ebenso mit einer Verteilungsgerechtigkeit. Gut, die Konzepte sind nun da: Sie fehlten gegenüber dem Neoliberalismus tatsächlich lange Zeit. Aber jetzt sind sie da. Und es wird Zeit, dass die SPÖ Farbe bekennt und angibt, wofür sie in den Ring steigt.

        Weiter wie bisher geht nicht mehr gut. Und das wirkt sich auch bei Wahlen aus. Wie weiter? Da muss jetzt geliefert werden.

        Ich greife die Wirtschaftspolitik deswegen heraus, weil sie zentral sein wird. Versorgungssicherheit ist nicht mehr gegeben. Just in Time erodiert immo ebenso wie die Energiegrundlage und alle Wertschöpfungsketten. Das, was bisher war, ich rechne mit einer sehr sehr harten Landung. Da wärs gut, wenn sich auch Parteien für die Öffentlichkeit erkennbar positionieren, wie es nach der harten Landung weitergehen soll und vor allem KANN.

        Eine harte Landung kann auch der Tag X sein, den manche herbeisehnen. Auch sie verraten nicht, wie sie sich das Danach vorstellen. Aber wir erahnen dunkle, faschistische Züge. Gibt es keine politischen Entwürfe, dann werden die faschistischen Züge gewählt. Dann haben die Menschen zumindest das Gefühl, dass etwas zusammenhält. Es ist zwar nicht wahr, aber man kann sich der Illusion wenigstens hingeben. Wenn das eintritt, dann haben ALLE Parteien Fehler gemacht, weil sie nicht geliefert haben.

        Putin ist der Anlass für das abrupt hereinbrechende Übel, aber Putin ist nicht die Ursache. Wäre unser Wirtschaftssystem schon umgestellt (inklusive diverser Energieerzeuger), Putins hybrider Krieg würde uns kaum berühren. Die letzten 30 Jahre wurde auf Resilienz geschissen. Und jetzt haben wir den Salat.

  4. Herr Pilz liegt falsch. Die Kugel im Casino kann nicht nur auf Rot oder Schwarz fallen. Es gibt auch noch ein grünes Feld, in Amerika sind es sogar zwei. Bezeichnenderweise steht auf den grünen Feldern die Zahl 0 oder 00. Der Erfinder hatte wohl eine gewisse politische Weitsicht, indem er die 0 auf Grün setzte.

    • Hahaha… “Grün Bashing ist ja recht nett und manchmal auch berechtigt. Man sollte aber nicht immer gleich eine Verschwörung vermuten…” hat mir heute jmd geantwortet. Ich darf diese Nachricht an Sie weiterleiten, vielleicht können SIE etwas damit anfangen 🙂

  5. Meines Wissens nach wurde die Liste Fritz vor allem deshalb gegründet, um endlich d Agrarskandal in Tirol zu sanieren, da die ÖVP selber nicht dazu in der Lage war und weiter ist.
    Es gab ein unfassbar gutes Wahlergebnis, doch wurde d Liste dann von einem Insider gespalten und war das alles wohl schon nicht ganz zufällig so abgelaufen.
    Die Liste Fritz bot sich dann wahre und historische Schlachten im Tiroler Landtag mit der ÖVP, welche es bis dahin wohl noch nie gegeben hatte.
    Die Tiroler Medien waren voll von d Berichten darüber und die österreichschen Medien schwiegen dazu bis heute, als ob es diese Probleme dort nie gegeben hätte. Und das obwohl es hier um die Aufarbeitung vom Nationalsozialismus ging.
    Dann wurden die Medien einfach auch in Tirol abgedreht und die wichtigsten Journalisten einfach ins Abseits gestellt.
    Der Schlusspunkt kam dann mit dem völlig überraschenden Tod vom Bernhard Ernst und seit diesem Zeitpunkt mutierte die Liste Fritz zu einer völlig anderen Partei.

    • Was ist aber mit der Klage des RA Dr. Oberhofer über eine Prozessfinanzierungsgesellschaft aus der Schweiz in Höhe von 1,5 Milliarden (immerhin fast der Schaden der CB Bank) gegen den Staat als Schadenersatz, wo dieser den Skandal nun auch noch umdrehte?
      Ja ja die gekauften Medien…

  6. Solange die ÖVP so viele Prozent hat wird es immer Steigbügelhalter geben die sich anbiedern ich glaube nicht daß das Trauerspiel 5 Jahre andauern wird.

  7. Aus Sicht von PP nicht ganz unrichtig.

    Als Vergleich kommt mir der Produklebenszyklus aus der Betriebswirtschaftslehre in den Sinn. Umgemützt auf die Lebensdauer befindet sich PP halt in der Abschwungsphase. Daher ist seine Sichtweise natürlich auf 5 Jahre beschränkt und somit auch dementsprechend korrekt.

    Um wirklich langfristig zu planen sollte man sich die Jugend anschauen. Ev. auch die wirtschaftliche Entwicklung einkalkulieren. Hat natürlich auch Einfluss.
    Die Gruppe Z und abwärts wird die Zukunft prägen.
    Boomer und X verschwinden.
    Generation Y werden Antiparteien oder gleich gar nicht wählen gehen.

    Pensionsystem wird Richtung 3 Säulen gehen. (Staat, Betrieb, Privat)
    Steuersenkungen bei Estg.
    Steuerhöhung bei Ressourcenbesteuerung.
    Mehr Projektarbeit auf Selbstständiger Basis.
    Remotework

    Daher liegt langfristig gesehen die Zukunft bei Kapitalorientierten Parteien. Die Grünen werden sich jedoch auch behaupten können.

  8. P.P. Sie haben aber schon kapiert, daß die Fritzen von einem Tiefschwarzen gegründet wurden. Der Dinkhauser hat sich gedacht, was der VanStaa in Innsbruck mit den Gelben angeblich Für Innsbruck gemacht hat, steigere ich indem ich es für Tirol mache.

  9. Besser die Welt durch eine rosa Brille betrachten, als gar keinen Durchblick haben. Eine sehr optimistische Sichtweise der Ereignisse. Trotzdem, zumindest mit Abstrichen, überlegenswerte Schlüsse.

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