»Ich bin ja nicht im Vollrausch gefährlich gefahren«
Weil er 24 Stunden zuvor Marihuana geraucht hat, wurde einem Wiener der Führerschein abgenommen und eine Strafe von fast 2.000 Euro gegen ihn verhängt. Sein Fall ging bereits bis vor Gericht.
Wien, 28. September 2022 | Das Glas Bier oder Wein zum Feierabend ist bei den Österreichern ein beliebtes Mittel, um nach der Arbeit ein wenig zu entspannen. Beim Wiener Lehrer Emanuel D. ist es hin und wieder mal Cannabis, das ihm nach einem anstrengenden Tag in der Schule beim Einschlafen hilft. Doch der Joint am Abend des 23. März sollte dem 35-Jährigen zum Verhängnis werden.
„Die haben mich gezielt ausgesucht“
Der nächste Tag verlief zunächst unspektakulär. Nach der Arbeit besuchte D. mit seiner Tochter einen Spielplatz, am späteren Nachmittag fuhr der Liesinger für ein paar Besorgungen noch ins Gartencenter und in den Supermarkt nach Brunn am Gebirge südlich der Wiener Stadtgrenze. Am Weg nach Hause traf D. dann die verhängnisvolle Entscheidung, noch bei einem Hanf-Fachgeschäft vorbeizuschauen.
Denn als er dieses nach fünf Minuten wieder verließ, sah er von Weitem schon ein Polizeiauto gegenüber vom Parkplatz anrollen. Die Beamten warteten ab, fuhren ihm ein paar Hundert Meter hinterher, um ihn dann ein paar Straßen weiter mit Blaulicht anzuhalten. „Die haben mich gezielt ausgesucht“, ist D. heute im Gespräch mit ZackZack überzeugt.
Verkehrskontrolle eskaliert
„Nehmen Sie Drogen?“ – es dauerte nicht lange bis die Polizisten nach der üblichen Kontrolle von Führerschein, Zulassung, Pannendreieck und einem (negativen) Alkohol-Test die Frage stellten, auf die D. bereits gewartet hatte. Falsch gemacht hatte der Familienvater bis zu diesem Zeitpunkt nichts. Aber als einer der Beamten begann, mit einer Taschenlampe auf seine Pupillen zu leuchten, eskalierten die Geschehnisse.
D. wurde aufgefordert, gleich an Ort und Stelle eine Urinprobe abzugeben, weil ansonsten der „Führerschein sofort weg“ gewesen wäre, zitiert der Lehrer die Beamten gegenüber ZackZack. Er beugte sich dem Druck der Beamten und urinierte noch am Gehsteig in einen Becher. Würde ein Führerscheinentzug den Alltag des Familienvaters laut eigenen Angaben doch erheblich erschweren.
Durch den vorabendlichen Konsum konnten die Beamten in der Urinprobe umgehend THC nachweisen, woraufhin D. sich in den Streifenwagen setzen musste und zur nächsten Polizeiinspektion nach Perchtoldsdorf gebracht wurde, damit dort ein Amtsarzt hinzugezogen werden konnte. Das alles zum Ärger von D., laut dem die Beamten „keinen vernünftigen Verdachtsgrund“ gehabt hätten, ihn überhaupt auf Drogen zu kontrollieren.
Lehrer unterstellt Beamten rechtswidriges Handeln
„Der Aufenthalt in oder in der Nähe eines Growshops ist kein Verdachtsgrund, der darauf schließen lässt, dass ich verkehrsuntauglich gewesen bin“, so D., der der Polizei zudem rechtswidriges Handeln unterstellt. Die Polizisten hätten ihn nämlich nicht über einen genauen Verdachtsgrund informiert, außerdem sei die von den Beamten durchgeführte Urinprobe vor Ort nicht vom Gesetz gedeckt.
Rechtlich ist es jedenfalls so, dass jeder, der von der Polizei der Beeinträchtigung verdächtigt wird, einen Urintest verweigern kann. Gemäß StVO hätte er nach erster Verweigerung des Urintests in weiterer Folge zu einem Arzt gebracht werden müssen, der infolge wiederum einen Bluttest anfordern kann.
Ausnahme: Bei Vermutung einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit von Lenkern sind ermächtigte Ärzte oder besonders geschulte und von der Behörde dazu ermächtigte Polizisten berechtigt, mit Speichelvortestgeräten oder -streifen den Speichel dieser Personen auf Suchtgiftspuren zu überprüfen.
Blut-Labor kann Beeinträchtigung „nicht ausschließen“
Seinen Führerschein wurde D. schlussendlich doch los. Nachdem der Amtsarzt auf der Station durch die üblichen Turnübungen (Finger zur Nase, auf einem Bein stehen, etc.) zunächst keine eindeutige Verkehrsuntauglichkeit feststellen konnte, einigte man sich darauf, dem Lehrer Blut abzunehmen.
Erst nach eineinhalb Stunden wurde D. ohne Führerschein entlassen, eine Prozedur, bei der ihm einiges durch den Kopf ging: „Ich musste an all die publik gewordenen Fälle denken, wo die Polizei durch zögerliches Handeln versagt hatte, während sie bei mir eine geschlagene Stunde lang versuchten, mich wegen Kiffens dran zu kriegen”, erklärt er gegenüber ZackZack.
Der Führerscheinentzug für einen Monat war Gewissheit, nachdem der Blutbefund einen THC-Wert von 0,57 Nanogramm pro Milliliter feststellte. Zum Vergleich: In mehreren EU-Ländern wie Deutschland (bis zu 1 Nanogramm) oder den Niederlanden (bis zu 6 Nanogramm) ist das Fahren unter solchen Werten bereits erlaubt.
Das Labor schließt daraus: „Bei der im Blut nachgewiesenen niedrigen THC-Konzentration ist aus toxikologischer Sicht das Vorliegen einer Straßenverkehrs-relevanten Beeinträchtigung nicht regelhaft zu erwarten, aber auch nicht auszuschließen, wobei dies unter anderem vom individuellen Ausmaß an Substanztoleranz mitbestimmt ist. “
Faksimile: Das Gutachten zum Blutbefund im Wortlaut. Der Stoff “11-OH-THC” konnte bei D. nicht nachgewiesen werden, was darauf hindeutet, dass der letzte Konsum mindestens mehr als sechs Stunden zurückgelegen haben muss.
800 Euro Strafe, Kosten für Laborbefund, Amtsarzt und Verkehrscoaching
Der Entzug seines „Deckels“ brachte aber auch weitere Konsequenzen für D. Neben der 800 Euro-Strafe wegen Suchtgifts am Steuer muss der Wiener den hinzugezogenen Amtsarzt (229,20 €) und das Labor für den Blutbefund (792 €) selbst zahlen.
Hinzu kommen Kosten für Verkehrscoaching, ein amtsärztliches Gutachten und Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme und einer fachärztlich psychiatrischen Stellungnahme. Eine Strafe, die D. nicht auf sich sitzen lassen möchte, weswegen er Beschwerde einreichte.
Faksimile: Die Strafe wird dadurch begründet, dass “durch die klinische Untersuchung im Zusammenhang mit der Blutabnahme eindeutig eine Fahruntüchtigkeit zu Tatzeitpunkt vorgelegen hat.”
“Werde Strafe wohl zahlen müssen”
Dadurch, dass es in Österreich keinen Grenzwert für THC im Straßenverkehr gibt, wird es für den Lehrer schwer, die Strafe anzufechten. Sollte, wie im Falle D.s, im Zusammenhang mit dem Blutbefund, der einen – wenn auch geringen – THC-Nachweis zeigt, eine Beeinträchtigung durch einen Amtsarzt festgestellt werden, gibt es meistens nur geringe Chancen für die Beschuldigten. So könne man einen Amtsarzt nur selten vom Gegenteil seiner Untersuchungen überzeugen.
Vertreten durch seinen Anwalt, wehrt sich D. nun gegen die Strafe. Wie der Beschwerde zu entnehmen ist, wird argumentiert, dass durch den bei D. festgestellten THC-Wert von 0,57 Nanogramm eine Beeinträchtigung durch Suchtgift “pharmakologisch auszuschließen ist”.
Denn wie der Leiter des Labors, das den Blutbefund für D. erstellt hat, auf Nachfrage Feigls angibt, sei THC-Konzentration im Blut unter 1 Nanogramm “aus toxikologischer Sicht keine ausreichende Basis dafür, um mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer THC-bedingt Straßenverkehrs-relevanten Beeinträchtigung zu begründen”. Auch auf einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2019, bei dem ein ähnliches Verfahren eingestellt wurde, wird in der Beschwerde verwiesen.
Eine Verhandlung am Landesverwaltungsgericht in Wiener Neustadt am 31. August sollte infolge Klarheit über die Frage, ob D. zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle beeinträchtigt gewesen ist oder nicht, bringen. Auf ein Ergebnis wartet D. noch.
Auch wenn die geladenen Polizisten, die ihn damals aufgehalten haben, vor dem Richter angaben, ihn aufgrund einer Routinekontrolle (und übrigens nicht bewusst vor dem Grow-Shop) aufgehalten zu haben, und nicht wegen auffälligen Fahrverhaltens, zeigt sich D. im Gespräch mit ZackZack weniger optimistisch: “Nachdem es keine Grenzwerte gibt, muss ich damit rechnen, diese 2.000 Euro Strafe zahlen zu müssen.”
D. selbst ist jedenfalls davon überzeugt, nichts Schlimmes getan zu haben. “Ich bin ja nicht im Vollrausch gefährlich gefahren. Auch wenn ich gelegentlich einen Joint geraucht habe, habe ich immer darauf geachtet, es nicht vor dem Autofahren zu tun und nüchtern zu bleiben.”
Diskussion um THC-Grenzwert
Der Fall von Emanuel D. ist ein Beispiel für jene Fälle, die das Verkehrsministerium mit dem Vorschlag zur Einführung eines THC-Grenzwerts im Straßenverkehr zu verhindern versuchte. Ähnlich zum 0,5 Promille-Wert beim Alkohol könne man so auch für klare Verhältnisse bei Cannabis sorgen und auch die Justiz und die Polizei in Sachen Bürokratie entlasten.
Doch nur ein Tag, nachdem das Vorhaben des grünen Gewessler-Ministeriums publik wurde, erteilte das Innenministerium unter Minister Gerhard Karner (ÖVP) dem THC-Grenzwert eine Absage. “Der Konsum von Cannabis ist illegal, also kann das Fahren mit Cannabis nicht legalisiert werden”, teilte er via Stellungnahme mit. Da der Vorschlag damit keine Zustimmung des Koalitionspartners erhielt, soll dieser nicht weiterverfolgt werden.
In einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Unique Research für das Nachrichtenmagazin “profil” durchgeführt hat, sprechen sich 49 Prozent der Österreicher für einen Grenzwert nach Vorbild der Alkohol-Promillegrenze aus.
(mst)
Titelbild: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com