Samstag, Dezember 7, 2024

Aufstand im Iran: »Wenn das Kopftuch verschwindet, fällt das Regime«

Aufstand im Iran:

Worum geht es bei den neuartigen Protesten im Iran? Was bedeutete das für Frauenrechte? Und woher kommt der Mut der jungen Generation? ZackZack hat Exil-Iranerin Schifteh Hashemi gefragt. 

Stefanie Marek

Wien, 01. Oktober 2022 | Die 22-jährige iranische Kurdin Mahsa Amini wurde vor zwei Wochen von der iranischen Sittenpolizei mitgenommen, weil sie ihr Kopftuch zu locker getragen haben soll. Daraufhin musste sie ins Krankenhaus eingeliefert werden, dann war sie tot. Sie sei von der Polizei totgeprügelt worden, sagt die Familie, die Polizei behauptet etwas anderes.

Seither geht eine gewaltige Protestwelle durchs Land. Die ultrakonservative Regierung geht brutal dagegen vor. Dass es dabei um mehr als um Frauenrechte geht und warum diese Proteste anders als bisherige sind, erklärt die in Wien lebende Exil-Iranerin Schifteh Hashemi im Interview mit ZackZack.

ZackZack: Frauen im Iran sind seit Jahrzehnten Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt durch die Behörden ausgesetzt. Mahsa Aminis Tod wurde zum plötzlichen Auslöser für große Proteste. Was war diesmal anders?

Schifteh Hashemi: Es wurde früher darüber berichtet. Es gab Bilder von ihr im Krankenhaus, von ihren trauernden Eltern und ihrem Bruder. Die Familie widersprach offen der Darstellung der Polizei und sagte, ihre Tochter sei gesund gewesen, bevor die Polizei sie mitnahm. Dieser offene Widerspruch ist selten im Iran. Ihr Tod hat so viel bewegt, weil sich die iranischen Frauen selbst darin sehen. Sie wissen: Was ihr passiert ist, kann jeder von ihnen passieren.

Wie kann man sich das Leben von Frauen im Iran vorstellen?

Hashemi: Hijab zu tragen ist verpflichtend, Frauen sind im Scheidungs- und im Erbrecht schlechter gestellt, ihre Aussagen vor Gericht sind weniger wert. Für viele Menschen fühlt sich der Iran wie ein Gefängnis an, sobald sie das Haus verlassen. Dort ist eine Frau Freiwild für die Sittenpolizei und ihre Willkür. Man lebt in ständiger Angst. Es gibt keine Frau, die nicht schon auf der Straße angesprochen wurde, dass sie den Hijab richten soll. Verhaftungen, Gewalt und sexuelle Gewalt sowie Drohungen damit sind alltäglich und werden gezielt eingesetzt.

Für viele Menschen fühlt sich der Iran wie ein Gefängnis an, sobald sie das Haus verlassen. Dort ist eine Frau Freiwild für die Sittenpolizei und ihre Willkür.

Frauen schneiden sich nun aus Protest öffentlich die Haare ab und verbrennen Kopftücher. Woher kommt dieser Mut? 

Hashemi: Wir erleben hier ganz neue Protestformen. Es stehen Teenager bis Mitte-20-Jährige an vorderster Front. Das Durchschnittsalter der Toten bei den Protesten ist 26 Jahre. Sie wurden in die islamische Republik hineingeboren, aber durch das Internet wissen sie, wie Freiheit woanders aussieht. Meine Generation hat noch die Erzählungen unserer Eltern gehört, von Inhaftierungen, Hinrichtungen und Vergewaltigungen in den 70er- und 80er-Jahren. Es ist ein Trauma der iranischen Gesellschaft. Ich glaube, die junge Generation hat mehr Distanz dazu. Sie sind viel furchtloser und sie akzeptieren dieses Leben nicht mehr. Sie haben die Angst abgelegt.

Im Iran wird das Kopftuch gerade als Symbol der Unterdrückung verbrannt. In westlichen Ländern ist es immer wieder Thema kontroverser Diskussionen. Worum geht es hier?

Hashemi: Der Hijab ist bei vielen Frauen und Männern im Iran verhasst. Es hat einen wunden Punkt getroffen, dass eine Frau wegen des Hijabs totgeprügelt wurde. Aber es ist wichtig, da etwas zu trennen: Die Frauen verbrennen das Kopftuch, weil es ihnen gesetzlich aufgezwungen wird, nicht, weil sie nicht religiös sind, auch wenn viele mit dem Islam weniger anfangen können als noch vor 40 Jahren. Es geht nicht darum, das Kopftuch zu verbieten. Es geht um die Selbstermächtigung von Frauen, um die freie Entscheidung, es zu tragen oder abzulegen.

Es geht nicht darum, das Kopftuch zu verbieten. Es geht um die Selbstermächtigung von Frauen, um die freie Entscheidung, es zu tragen oder abzulegen.

In dieser islamischen Theokratie werden Frauen mit dem Kopftuch als Geiseln genommen und mit der Frauenfrage wird das Regime in Frage gestellt. Wenn das Kopftuch verschwindet, dann wird auch das Regime fallen. Das macht ihnen (Anm.: den Machthabern) Angst.

Kann man diese Bewegung als feministische Revolution bezeichnen? 

Hashemi: Revolution ist ein großes Wort. Die letzte Revolution hat ein islamisches Regime gebracht, deshalb bin ich da vorsichtig, aber ich glaube es bedeutet Veränderung. Es gab immer eine starke Frauenbewegung im Iran und auch größere Proteste, aber was jetzt neu ist, ist dass die Anliegen der Frauen die Speerspitze bilden. Frauen führen die Proteste inhaltlich an, es geht aber längst um mehr. Frauen und Männer stellen das System in Frage und rufen offen auf, die islamische Regierung abzuschaffen. Man hört sie in den Videos auf den Straßen „Tod dem Diktator!“ rufen.

Welche Chancen bedeutet das für eine Veränderung im Land? 

Hashemi: Man darf den Machtapparat und die unglaubliche Brutalität und Skrupellosigkeit der Polizei aber nicht unterschätzen. Es wird nicht sofort sein, nicht heute, nicht morgen, aber es gibt kein Zurück mehr: Das ist der Anfang vom Ende des islamischen Regimes. Die Menschen akzeptieren es nicht mehr.

Wir sind füreinander verantwortlich, denn wir leben nicht in einer freien Gesellschaft, wenn es woanders eine Diktatur gibt.

Sie rufen auf Twitter dazu auf, nicht wegzusehen. Warum müssen wir hinschauen? Haben wir in Österreich eine Mitverantwortung? 

Hashemi: Es ist unglaublich wichtig, nicht wegzuschauen, gerade jetzt wo durch die Internetzensur die Bilder und Videos aus dem Iran weniger werden. Für die Nachrichten ist es dadurch nicht mehr so spannend, zu berichten, aber die Proteste gehen ja weiter. Je mehr der Westen hinschaut, desto weniger traut sich das Regime, Leute hinzurichten. Diese Aufmerksamkeit kann Menschenleben retten, es ist wichtig zu berichten und Menschenrechte auch in der Diplomatie zu thematisieren. Wir sind füreinander verantwortlich, denn wir leben nicht in einer freien Gesellschaft, wenn es woanders eine Diktatur gibt.

Wie geht es Ihnen als Angehörige mit der Lage im Iran?

Hashemi: Es berührt mich sehr. Wir Exil-Iranerinnen und -Iraner können nicht für die Menschen dort sprechen, aber wir können Aufmerksamkeit schaffen. Ich finde, diese Verantwortung haben wir, die hier in Sicherheit leben. Meine Eltern waren im Iran im politischen Untergrund aktiv, sie mussten flüchten, auch weil sie uns nicht dort aufwachsen lassen wollten. Fast alle aus dem Iran, die jetzt im Exil leben, haben solche Geschichten. Gerade deshalb haben viele jetzt das Gefühl, aktiv werden zu müssen, weil es so wichtig ist.

Was können die Menschen in Österreich tun? 

Hashemi: Man kann sich über die Geschichte des Iran informieren, Bilder und Videos von den Protesten teilen und den Menschen über Snowflake und VPNs Internetzugänge geben, damit sie die Zensur umgehen können. Dafür gibt es Anleitungen im Netz. Aufmerksamkeit ist jetzt das Allerwichtigste für den Kampf der Frauen.

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Schifteh Hashemi (36) ist im Iran geboren und als Baby nach Wien gekommen. Ihre Eltern waren im Iran im politischen Untergrund aktiv und flohen schließlich mit ihren Kindern nach Österreich, ein Teil der Familie lebt nach wie vor im Iran. Hashemi ist Sozioökonomin und war eine der Sprecherinnen des österreichischen Frauenvolksbegehrens im Jahr 2018. 

Titelbild: ZackZack/ Christopher Glanzl

Autor

  • Stefanie Marek

    Redakteurin für Chronik und Leben. Kulturaffin und geschichtenverliebt. Spricht für ZackZack mit spannenden Menschen und berichtet am liebsten aus Gerichtssälen.

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