Mittwoch, April 17, 2024

1,4 Millionen haben keine Wahl

Die österreichische Bevölkerung wächst, aber nicht die Zahl der Wahlberechtigten. Besonders in Wien sind immer mehr Menschen vom Urnengang ausgeschlossen.

Wien, 04. Oktober 2022 | “Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben” – im Zuge der vielen Corona-Pressekonferenzen hat es sich in der Politspitze etabliert, alle Menschen vor einer wichtigen Ankündigung anzusprechen. Geht es aber um demokratische Prozesse, wird ein großer Teil der Bevölkerung ausgeschlossen.

Denn die Zahl derer, die in Österreich leben und hier ihre Steuern zahlen, aber von Wahlen ausgeschlossen sind, wird größer. Mittlerweile sind es hierzulande 1,4 Millionen Menschen im Wahlalter, denen der Gang zur Urne wegen fehlender Staatsbürgerschaft verwehrt bleibt. Mehr als doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren.

Drittel der Wiener nicht wahlberechtigt

Wirft man einen Blick auf die aktuellen Zahlen der Statistik Austria, verliert vor allem Wien jetzt bei der anstehenden Bundespräsidentschaftswahl an Gewicht. Denn traditionellerweise ist der Anteil der nicht Stimmberechtigten in der Großstadt im Vergleich zu den anderen Bundesländern besonders hoch.

So darf rund ein Drittel der Wiener Bevölkerung im Wahlalter, in etwa 500.000 Menschen, nicht für den neuen Bundespräsidenten abstimmen. Im Vergleich zur letzten Hofburg-Wahl 2016 wurden 18.491 Stimmberechtigte weniger registriert.

In drei Stadtvierteln des 10. Bezirks (Gudrunviertel, Favoriten Zentrum und Kreta-Viertel) ist gar bereits über die Hälfte nicht wahlberechtigt, zeigt eine Erhebung von OGM. Auffallend ist zudem: Je näher an der Stadtgrenze, desto höher ist auch der Anteil der Stimmberechtigten.

Niederösterreich hat mehr Wahlberechtigte als Wien

Auch in Innsbruck und Salzburg ist die Zahl der Nicht-Staatsbürger hoch. Rund 30 Prozent der Bevölkerung im Wahlalter sind dort laut Statistik Austria nicht stimmberechtigt, in Linz und Graz ein Viertel. Die Zahl der Wahlberechtigten ist in den meisten Bundesländern allgemein gesunken. Nur im Burgenland, in Vorarlberg und in Niederösterreich dürfen im Vergleich zur letzten Wahl mehr Menschen zur Urne schreiten.

Letzteres Bundesland ist zudem das mit den meisten Stimmberechtigten, obwohl das benachbarte Wien weitaus mehr Einwohner aufweist.

In Summe sind in Österreich am kommenden Sonntag somit um 36.128 weniger Menschen wahlberechtigt als bei der Stichwahl 2016, bei steigender Bevölkerungszahl. Strenge Vorrausetzungen und bürokratische Hürden sorgen dafür, dass es für zugezogene Menschen aus anderen Ländern immer schwieriger wird, die Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Staatsbürgerschaft erst nach zehn Jahren

Diese gibt es nämlich erst bei ununterbrochenem, zehnjährigem, rechtmäßigem Aufenthalt in Österreich. Für Ehepartner von Österreichern, im Inland geborene Personen und EWR-Staatsbürgern sind es sechs Jahre. Hinzu kommen Einkommenshürden, die es vielen Anwärtern unmöglich machen, die Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Da viele der Einwanderer in Österreich dem Arbeiter-Milieu und daher oft dem einkommensschwachen Teil der Bevölkerung zuzurechnen sind, sei diese Hürde ein Problem, kritisiert die Arbeiterkammer.

Sie zählt zu den Befürwortern für einen leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft und kritisiert schon lange die bestehenden Rahmenbedingungen. Sie fordert in ihrem “A&W-Blog” neben der Senkung bzw. Streichung der Einkommenshürden und Gebühren auch eine Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltszeit auf sechs Jahre für alle.

Auch für im Inland geborene Kinder soll es Erleichterungen geben, sie sollten laut AK nach fünf Jahren die Staatsbürgerschaft erhalten können. Auch für jene, die zumindest die Hälfte ihrer Schulpflicht hier absolviert haben, sollte das gelten.

Auch Van der Bellen machte Anstoß zu Erleichterungen

“Die Stimme der Arbeitnehmer hat damit im Nationalrat und den Landtagen nicht mehr das Gewicht, das ihnen eigentlich zusteht”, kritisierte AK-Präsidentin Renate Anderl bereits im Frühjahr 2022 bei einem Vorstoß zu Erleichterungen für die Staatsbürgerschaft.

Diese konnte sich im Mai übrigens auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen vorstellen. In einem Interview mit der “Kronen Zeitung” zum Kandidaten-Auftakt für die Hofburg, warf er eine Verkürzung der Aufenthaltszeit auf sechs Jahre in den Raum.

Die Bundesregierung erteilte Van der Bellens Anstoß aber prompt eine Absage. “Ich sehe keinen Änderungsbedarf”, sagte dazu Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Die Staatsbürgerschaft sei ein “hohes Rechtsgut”, und “es bedarf aus meiner Sicht keiner Nachbesserung oder Änderung”. Auch Justizministerin Alma Zadic (Grüne) betonte, dass derartige Änderungen nicht im Regierungsprogramm vorgesehen seien.

Auch wenn anerkannte Experten, wie etwa der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier, negative Folgen durch einen dauerhaften Ausschluss breiter Bevölkerungskreise von demokratischen Prozessen vorhersehen, gebe es derzeit keine Mehrheiten für eine solche Reform, da sich auch die FPÖ logischerweise dagegen ausspricht. Um Verstimmungen in der Bevölkerung zu vermeiden, sollte diese Debatte jedenfalls fern von anstehenden Wahlen geführt werden, hielt Filzmaier bereits im August gegenüber der APA fest.

“Pass Egal Wahl”

Jene Menschen ohne Staatsbürgerschaft haben am heutigen Dienstag jedoch die Möglichkeit, bei der von “SOS Mitmensch” und der Arbeiterkammer organisierten “Pass Egal Wahl” symbolisch ihre Stimme zur Bundespräsidentschaftswahl abzugeben. Diese wird seit Jahren unter anderem auch von “Willkommen Österreich”-Comedian Dirk Stermann unterstützt. Er ist Deutscher und seit Jahrzehnten in Österreich ansässig, darf aber aufgrund fehlender Staatsbürgerschaft nicht wählen.

Sein öffentliches Auftreten im Rahmen der “Pass Egal Wahl” führte auch dazu, dass ein Chefredakteur eines rechten Mediums – von dem man fragwürdige Aussagen gewohnt ist – ein vorgeschlagenes Wahlrecht von lang in Österreich ansässigen Deutschen tatsächlich mit der Nazi-Zeit verglich.

(mst)

Titelbild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Markus Steurer
Markus Steurer
Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.
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24 Kommentare

  1. Nur 1,4 Mio., die keine Wahl haben …
    Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass noch viiieel mehr (so um die 6363479 zusätzliche Menschen) Menschen gar keine Wahl haben.

  2. man könnte ja auch ohne pass wählen lassen

    du lebst seit jahren in diesem land
    dann darfst wählen
    vor allem als eu bürger

  3. Elitäre Klubs habe Zugangsbeschränkungen, Wäre der Klub für jeden frei zugänglich wäre er nicht elitär. Österreich ist (noch) elitär. Elitär aufgrund seines sehr hohen Sozialstandards, seiner Sicherheit, seiner Demokratie, seines Volksvermögens usw. Manche mögen meinen, dass ein höherer Lebensstandard als der globale Durchschnitt asozial wäre. Wir haben aber für dieses höhere Niveau über Generationen hinweg hart erarbeitet. Und wir müssen es schützen, wenn wir es weiterhin haben wollen. Da kann dann nicht jeder kommen und sich in einen der weltweit elitärsten Klubs einfach eintragen und mitbestimmen und die Vorteile geniessen. Ansonsten würde unser Sozialniveau auf den globalen Durchschnitt absinken, sich nivellieren.

    • welche vorteile hat man als besitzer einer staatsbürgerschaft die es auf der welt nur sehr selten gibt?

      zu hause is es wurscht und im ausland kannst nix damit anfangen weils kein schwein juckt ob du zu 9mio gehörst oder ned

  4. Wer wählte den römischen Senat? Die Patrizier. Diese waren eine Minderheit, durchaus mit oligarschischen Familien vergleichbar. Neben den Patriziern gab es die Plebejer, sie waren die relative Mehrheit der römischen Gesellschaft. Sie durften nur in Ausnahmefällen wählen (etwa um einen Aufstand abzuwenden). Man nannte es das Plebiszit (ähnlich einer Volksabstimmung). Die absolute Mehrheit stellten Nicht-Römer und Sklaven, sie durften nicht wählen, denn sie waren keine Römer.

    Es ist ein Problem, wenn große Teile der Bevölkerung von Wahlen ausgeschlossen sind, die Demokratie, wie wir sie kennen (das Wahlrecht steht jedem zu), wird zu einem ständigen Plebiszit, wenn ein großer Teil von Wahlen ausgeschlossen wird. Auch Rom “litt” mit der Zeit unter Zuwanderung und Verschleppung nach Rom.

    Verwehrt man Menschen auf Dauer ein Mitbestimmungsrecht, so schwächt man die Gesellschaft. Das mögen sich manche wünschen wie danach einen starken Mann, mit dem eine Gesellschaft nicht stärker wird.

  5. So können basisdemokratische Ansätze erschwert werden: leider musste die Veranstaltung ‘PassEgalWahl’ sehr kurzfristig vom Ballhausplatz auf den Minoritenplatz übersiedeln, weil eine – von der FPÖ gewünschte – NR-Sondersitzung stattfand. Inklusive ‘Bannmeile’ ;). Die Themen: Russland Sanktionen und steigende Anzahl von Asylanträgen.
    https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2022/PK1034/index.shtml?fbclid=IwAR3zE2tW5ydjUmkz4an0WrJL-PjC3gRQluaCyrvlj3FDdtCv5I-gTElNAwI#

  6. Eine gestandene Wahldemokratie sollte jede Diskussion aushalten.

    Meines Erachtens geht es diskussionstechnisch in die falsche Richtung.
    Vergesst die Staatsbürgerschaft.
    Beschränkte Wahlberechtigung für Eu Bürger die z.b. 6M+1Tag in einem Land Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

    Nebenbei. Habe regelmäßig Kontakt zu unserer Zweigstelle nach Österreich. Die Franzosen und Briten die da herum lungern haben nicht wirklich interesse an der Wahlberechtigung in Ö.. Die Kollegen schauen verächtlich auf Ö. herab. Vor allem die Franzosen. Dennen ist es wichtiger in deren Heimatland zu wählen. Einige diese Kollegen leben übrigens schon seit über 20 Jahren in Ö.. Denen ist das Egal.

    • Mia gfoit jo ihr Eingangssatz!? Ist ihr (unverhandelbares?) Entree schon die ultimativ normative Kraft des Faktischen?? #aufdieschenkelklopf
      -> So zu tun – unter der Prämise(!?) – als ob das int. attestierte Downgrading zur Wahl-Dempokratie schon “in Stein gemeißelt sei”???
      -> Das daraus Folge(r)nde in Ihrem Posting übergehe ich jetzt mal gefließendlich … 😉

    • 1.000 € sind gar nix. Tests sind auch easy.
      Briten und Usa schauts ganz anders aus.

      Kostenseitig ist es in Amerika mit 750€=$ etwas günstiger.

  7. Es ist eine Schande, dass Österreich so ausländerfeindlich ist. Die Steuern von ihnen sind uns recht, Zuhause fühlen sollen sie sich aber nicht. Das ist gelebte Integration a la Österreich.

  8. Solange es die ÖVP und FPÖ gibt, wird die Diskussion zu diesem Thema viel zu emotional geführt. Der Österreicher hat mittlerweile ein stereotypes Bild des durchschnittlichen “Ausländer”. Das ist keineswegs schmeichelhaft.

    • Nein, nicht schmeichelhaft. Hierzulande werden “Fremde” – nennen wir sie ruhig Ausländer:innen – nur nach deren potentiellen Urlaubs-Budget für erbrachte Dienstleistung(sinfrastruktur) “bewertet” / kategorisiert. Volksvermögen, natürlich(st) nur in einschlägig unternehmerischer Verantwortung verortet.
      Ist’s ein Nachhall mißlungener / schlampiger Entnazifizierung? Diese Frage wäre aufrichtig überfällig zu erörtern. Nur: Aufrichtige Menschen wären halt dazu auch nötig… 😉

      • Vielleicht sollten Asylwerber sich mit einer Schiausrüstung der Grenze nähern. Hörl würde die persönlich abholen.
        Zur Entnazifizierung: Sobald Figl ” Österreich ist frei” rief….war alles vergessen und Österreich war Opfer.

        • Scheixx auf die Ski. Die musst ja wieder mit nach Hause nehmen. Gültige Kreditkarten (Gold, Platin…) tun’s auch… Deinen gastfreundlichen(!) Urlaub kannst dir im Komplettpaket all inclusive samt Sportausrüstung bei uns kaufen / mieten. (Aber dann wieder bitte schnell weg! Danke.) Und wegen der Zweitwohnsitze, (wegen denen wir unsere Jungen nicht mehr mit leistbarem Wohnraum versorgen können), reden wir später mal, wenn’s mal passt, dann “hinten im inoffiziellen Extrazimmer”… 😉
          Bis es soweit ist, darf der Zuzug das Volksvermögen arbeitend versteuert zwar vergrößern, politische Befindlichkeiten wählen(!?) jedoch soll er “uns” (die Mia-san-Mia-Partizipierenden) überlassen…

          • … und das aller-aller-wichtigste in diesem reaktionär faschistischen “Spiel” ist die von zweithöchster amtlich via TV ausformulierte Quintessenz: “Wenn wir durch dieses wunderschöne Land unbeschwert flanieren, dann ist uns der – u.a. auch ethnisch konnotierte – Moral-Begriff schlichtweg “tuttl”… (sorry, konzillianter ging’s hier nicht mehr…)

            “Wir wurden für das Klientell orientierte Machbare, Verdienbare konditioniert – nicht für das sozial ethnisch solidarisch Vertretbare…”

    • Wenn sie in Österreich in eine andere Gemeinde ziehen gelten sie schon als “Ausländer”. Sie sind dann eine “Zuagroaste” (Zugereiste) und das wird ihnen auch eifrig unter die Nase gerieben wenn sie irgendwelche Beschwerden vorbringen….

      • 👍👍👍
        Stmk, Wien, Nö 🙈
        Nur in Wien ist’s egal, aber auch nur wennst aus Ö bist.
        Und wenn man lange im Ausland gelebt hat und dann zurück kommt ist es auch schwierig. Dann ist die Neidkompanie auf den Plan gerufen.

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