Dienstag, September 10, 2024

Völlig realitätsfern: Kommentar zur türkis-grünen Online-Förderung

Völlig realitätsfern:

Die Regierung feiert sich für ihre Journalismusförderung. Doch die droht, zur Farce zu verkommen. Wirft man einen Blick auf die Kriterien, findet man Widersprüche und unrealistische Kriterien für Onlinemedien.

Benjamin Weiser

Wien, 06. Oktober 2022 | Opposition und Branchenvertretungen bemängeln einige Punkte des neuen Reformpaketes der Regierung zur Journalismusförderung. Zurecht. Was sich Medienministerin Susanne Raab, Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger und Kolleginnen überlegt haben, hat mit der Realität von Online-Journalismus nichts zu tun.

Die Pläne betreffen neuerdings auch reine Onlinemedien. Zumindest auf den ersten Blick. Ein am Mittwoch durchgesickertes Detail ist sogar ein regelrechter Bremsklotz und verhindert das, was gefördert werden soll: Qualität. Dazu gleich mehr.

Marktverzerrung

Reine Onlinemedien wie ZackZack sind am dicht gedrängten österreichischen Markt die Ausnahme. Trotz sinkender Zahlen und hoher Kosten (Papier, Energie) gibt es vergleichsweise viele Printmedien. Es ist verständlich, dass klassische Zeitungen gefördert werden, die Medienvielfalt ist auch durch die gegenwärtige Krise in Gefahr.

Allerdings profitieren Zeitungen mehrfach: Durch die bestehende Presseförderung, die Digitaltransformationsförderung (ausschließlich für Online-Auftritte der Printzeitungen, etwa “heute.at” oder “derstandard.at”, verfügbar) und die neue Journalismusförderung.

Doch was ist mit reinen Onlinemedien wie “ZackZack.at”, “Vienna.at”, “Vol.at” oder “Futurezone.at”? Die müssen sich ordentlich strecken. So wird bereits bestehende Marktverzerrung verstärkt.

Masse statt Klasse

Geht es nach den Plänen von ÖVP und Grünen, müssen reine Onlinemedien laut eines “Der Standard”Berichts mindestens 40 Millionen Zeichen jährlich redaktionell publizieren. Zudem müssen die betroffenen Redaktionen mindestens die Hälfte der Inhalte selbst erstellen. Das heißt, Agenturmeldungen dürfen nur eingeschränkt genutzt werden.

40 Millionen Zeichen. Rechnet man das durch, muss man bei einer durchschnittlichen Zeichenanzahl von 3.000 ganze 37 Artikel pro Tag in den digitalen Orbit hinausballern. Wohlgemerkt an 365 Tagen im Jahr, was bedeutet, dass man als Medienunternehmen für die Feier- und Sonntage etliche Überstunden mitbedenken müsste. Der Presseclub Concordia hat vorgerechnet: zehn große Reportagen am Tag. Sonst gibt es keine Förderung!

Das konterkariert die viel beschworene Offensive für “qualitätsvollen Journalismus”, denn die Regierung setzt auf Masse statt Klasse.

Natürlich kann man 37 Artikel am Tag schreiben, dann muss man allerdings auch alle möglichen Presseaussendungen umschreiben oder auch Polizeimeldungen, die “Katze-vom-Baum-geholt”-Rettungen bejubeln. Kann man machen, fraglich ist nur, ob das sinnvoll ist. Nicht jedes Medium will möglichst viel abbilden.

Hinzu kommt, dass unter Onlinemedien quasi nicht gedruckte Zeitungen verstanden werden. Was ist mit videolastigen, multimedialen Plattformen wie “hashtag.jetzt” des früheren “Datum”-Chefs Stefan Apfl? Die werden, so wie es aussieht, nicht berücksichtigt. Das ist realitätsfremd und innovationsfeindlich.

Investigativjournalismus wird ausgebremst

Die ZackZack-Redaktion besteht aus vier Redakteurinnen und Redakteuren, zwei Mitgliedern der Chefredaktion, einer Assistentin und einem Assistenten. Von letzteren ist aber immer nur eine Person am Tag verfügbar. Der Rest des Teams sorgt für das Funktionieren von Website, Club, Geschäft, etc. Eine kleine Redaktion also – mit viel Einfluss. Enthüllungen mit gesellschaftlicher Relevanz und politischem Veränderungspotenzial sind aber zeitintensiv.

Unsere regelmäßigen Recherchekooperationen mit renommierten internationalen Medien zu Wirecard, Russland & Co. bringt sonst kaum jemand in Österreich auf die Reihe. ZackZack berichtete in der Vergangenheit gemeinsam mit “Die Welt”, “Süddeutsche Zeitung”, “Handelsblatt”, “Kronen Zeitung”, “Radio Free Europe/Radio Liberty“, “Der Spiegel” oder “Der Standard” zu Wirecard, Russland & Co.

Kritischer Journalismus, ob exklusiv, gewitzt, bizarr oder aufrüttelnd – das ist unser Auftrag. Der wird jetzt von ganz oben bekämpft und unter dem Reiter „Förderung“ verhöhnt. Natürlich müssen auch wir auf die Zahlen schauen. Jedes Medium muss das. Wer aber nur auf die Zahlen schaut, wird bald in die Röhre schauen.

Raab wurde gestern in der “Zib 2” mit den Plänen konfrontiert. Auch zu den 40 Millionen Klicks wurde sie befragt. Es bleibt zu hoffen, dass ihre angekündigte “Begutachtung” nicht einfach ein Ausweichmanöver war.

Titelbild: APA Picturedesk

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