Freitag, April 26, 2024

Jin, Jiyan, Azadi! – Skylla & Charybdis

Skylla & Charybdis

Auf den Straßen demonstrieren todesmutige junge Frauen. Sie klettern auf Autos und schwenken das abgelegte Tuch, sie schreien ihre Forderung „Frau! Leben! Freiheit!“ in Städte hinaus. Sie riskieren viel, sie riskieren ihre Leben.

Julya Rabinowich

Wien, 08. Oktober 2022 | Angehörige bekommen ihre toten Verwandten zurück. Erschossen. Mit gebrochenen Nasen. Mit Folterspuren. Vergewaltigt. Mit eingeschlagenen Schädeln. Mit blutverkrustetem Haar, das an den Schultern klebt. Oft sind die Schultern schmal, das Haar lang, oft sind die Besitzerinnen der entstellten Gesichter, die Besitzer der durchsiebten Brust nicht älter als 16, nicht älter als 17 Jahre. Das Verbrechen, das sie begangen haben sollen: der Wunsch der jungen Frauen, ihr Haar nicht länger zwangsweise verhüllen zu müssen. Der Wunsch der jungen Männer, sich mit ihnen solidarisch zu zeigen. Der Wunsch aller nach Freiheit jenseits von staatsreligiösem Terror. Terror, den alte, rigide, extremistische Männer Frauen zugedacht haben, wie so oft mit besonderer Intensität jungen Frauen.

Mit Todesmut für die Freiheit

In widerwärtiger Verschiebung unterstellen sie, die lüsternen bigotten Alten, den Mädchen die Lust an der Prostitution, die Lust an der Nacktheit. Nur weil sie endlich gleichwertige Leben führen wollen, ohne Gefahr zu laufen, wegen eines schlecht sitzenden Hijabs ermordet zu werden, wie die junge Frau, deren Tod die Geburtsstunde des neuen Widerstands geworden ist: Mahsa Amini.

Auf den Straßen demonstrieren todesmutige junge Frauen. Sie klettern auf Autos und schwenken das abgelegte Tuch, sie schreien ihre Forderung „Frau! Leben! Freiheit!“ in Städte hinaus, sie verjagen Sittenwächter aus Universitäten, trotzen dem Regime. Sie riskieren viel, sie riskieren ihre Leben. Dieses Regime wird in die Geschichte eingehen als jenes, das ihre eigene Jugend ermorden ließ, ihre Zukunft. 

Respekt und Aufmerksamkeit

Die jungen Menschen brauchen weit mehr als unseren fernen Respekt. Sie brauchen die Aufmerksamkeit der Welt. Die Blicke müssen sich auf das richten, was gerade im Iran geschieht. Weder darf die Ukraine der einzige Fokus sein noch die mediokre Bundespräsidentenwahl, die mehr etwas von einem bizarren Schaubuden-Schauspiel zu bieten hat als von einer seriösen Auseinandersetzung mit Demokratie.

Wenn wir nicht hinsehen, während 16-Jährige für ihre Überzeugung verschleppt, verletzt, entstellt, ermordet werden, haben sie die Stimme vergeblich erhoben. Wenn wir nicht hinsehen, wie mutige Demonstrierende in Ausübung ihres Menschenrechtes auf Meinungsfreiheit aus vorbeifahrenden Autos erschossen werden, verhallen ihre Schreie im Luftleeren. Die Welt muss hinsehen. Allen voran die Berichterstattenden. Allen voran die Weltpolitik.

Wahrheit gegen Propaganda

Es kann nicht sein, dass nur eine Handvoll engagierter, mittlerweile erschöpfter und vielleicht traumatisierter Frauen und Männer für die Verbreitung der grausamen Fakten zuständig sind. Aus dem Land, das sich unter der Glasglocke der Verbindungslosigkeit befindet, die die Abtrennung vom weltweiten Netz verursacht hat. Aus dem nur Bruchteile der begangenen Verbrechen den Weg ins Außen finden. Social-Media-Beiträge, die es noch irgendwie an die globale Öffentlichkeit schaffen, müssen weitergetragen werden. Die Propaganda des Regimes ist nicht widerspruchlos zu schlucken: Mahsa Amini ist nicht an Krankheit gestorben. Die Krankheit, an der sie starb, heißt extremistische Gewalt. Die Wahrheit ist der Weltgemeinschaft zumutbar.

Titelbild: ZackZack

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13 Kommentare

  1. In ihrer Rede vor dem deutschen Bundestag am Donnerstag sagte Annalena Baerbock, die Ermordung der jungen Frau habe nichts mit Religion und Kultur zu tun. Dass die protestierenden Frauen und z. T. auch Männer das genau umgekehrt sehen, scheint die selbsterklärte feministische Aussenministerin wenig zu interessieren. Es ist ein weiterer Verrat an den zu Tode geprügelten Frauen.

  2. Meine Bewunderung dieser jungen Frauen für ihren todesmutigen Kampf gegen religiöse Fanatiker, die zugleich an der staatlichen Macht sind.

    Die freie Welt muss gegen dieses iranische Regime Taten und Aktionen setzen, die klar machen, dass diese schändliche Unterdrückung der iranischen Jugend gesehen und verurteilt wird.

    Wir, der Westen, müssen Zeichen setzen, durch treffsichere Sanktionen und ständige Öffentlichkeitsarbeit, die dieses religiös-konservative Regime auch tatsächlich trifft und an den Pranger der Menschenverachtung stellt.

    • Ja das ist sehr bruchstückhaft. Über das Regime des Reha Pahlevi gibt es z.B.
      “Schah-in-schah: zwischen staatlicher Macht und religiöser Herrschaft” von Ryszard Kapuściński (meine Buchempfehlung).
      Ich kannte einen mittlerweile verstorbenen Iraner dessen Körper von der Folter in den Gefängnissen der SAVAK grausig entstellt war. Die Bevölkerung schaffte es den Schah wegzubekommen – auch damals starben viele unter den Kugeln der Regierungsmacht, Studenten, Intellektuelle, Arbeiter… Die wollten keine religiös wahnsinnigen, die sie unterdrücken würden. Viele Leben und arbeiten heute hier.
      Aber Khomeini wusste wohin er wollte, er hatte eine funktionierende Organisation und die Unterstützung Frankreichs. Das alles hatten die, die die Freiheit errungen hatten nicht.

      • Afghanistan: unter dem CCCP gestützten Regime genossen Frauen wohl ihre Gleichstellung. Das änderte sich schlagartig als die Taliban, “gegen den Kommunismus” von den U.S. gefördert die Macht erlangten. Am Ende der ersten Taliban Herrschaft hätte es die revolutionäre Frauenbewegung RAWA gegeben, die unter enormem persönlichen Risiko illegale clandestine Mädchenschulen organisierten. Wen hat der Westen (die U.S.) eingesetzt? Diese? Nein, zu kommunistisch. Eine korrupte Oligarchenschicht, die die Taschen vollgestopft haben und für Bevölkerung und/oder Festigung einer Demokratie wenig bis nichts übrig hätten. Deswegen gibt es jetzt Taliban 2.

      • naja – ich wollt ja auch keine zeithistorische dissertation schreiben, sondern halbwegs kurz zusammenfassen und zusammenhänge aufzeigen.
        mehr soll so ein blog aber auch nicht sein.

  3. Ich habe ja die dunkle Befürchtung, dass jene die sich für die Freiheit in diesem Land einsetzen, von uns zuerst idealisiert und spätestens wenn sie dann schutzsuchend an unsere Tür klopfen, verteufelt werden und dann zwischen zwei Stühlen sitzen. Beispiele der jüngeren Geschichte gibts genug.

  4. Wie immer in solchen ” Staaten” wird jeder Protest brutal unterdrückt, an denen natürlich die Zionisten schuld sind. Der Iran baut an einer Atombombe …..um Israel zu vernichten. Derartige ” Aufmerksamkeit” in der Welt müssen die Mullahs unterdrücken.
    Man kann nur hoffen, daß auch dieses von religiösen Wahn betroffene Regime irgendwann ( bald) gestürzt wird.

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