Samstag, Oktober 5, 2024

Vom Medienkanzler zum PR-Chaoten

Welche Tücken die prozessbegleitende PR von Sebastian Kurz hat, zeigt eine unbedachte Äußerung in seinem Facebook-Posting vom Mittwoch. Darin geht es um „500 Millionen als Außenminister“. Aber auch chaotische Hintergrundgespräche geben das Bild eines verzweifelten Ex-Kanzlers ab.

Benjamin Weiser

Wien, 20. Oktober 2022 | Sebastian Kurz macht jetzt das, was er am besten kann: ein mediales Spektakel. Doch Litigation-PR, also prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit, ist eine Profession, die geübt sein sollte. Die eigene Politik zu verkaufen ist etwas anderes, als für juristische Auseinandersetzungen medial in die Schlacht zu ziehen.

In einem Facebook-Posting vom Mittwoch schreibt Kurz: „Nachdem Verfahren in Österreich nicht nur bei Gericht, sondern auch medial geführt werden, möchte ich mich nun auch öffentlich dazu äußern.“ Das hätte er besser nicht tun sollen.

Kurz‘ 500 Millionen-Fehler

Im gleichen Posting macht er darauf aufmerksam, dass er auch ohne das Budget des Finanzministeriums genügend finanziellen Mittel für Meinungsforschung gehabt hätte – und eröffnet dadurch unnötig eine neue Front. So betont Kurz: „Dazu möchte ich festhalten, dass ich im Jahr 2017 nicht nur als Außenminister ein Budget von über 500 Mio Euro verantwortet habe…“ Über 500 Millionen Euro aus dem Außenministerium (BMEIA) also.

ZackZack berichtete in „Panikmodus im Außenministerium“ exklusiv, dass die gesamte BMEIA-Belegschaft jegliche Kommunikation mit dem Kurz-Umfeld betreffend Umfragen offenlegen musste. Besonders wichtig: Erhebungen zu Asyl und Migration in der Zeit von Sebastian Kurz‘ Aufstieg.

In den Augen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erscheint die deutliche Steigerung des BMEIA-Budgets für das Jahr 2017 um satte 29 Prozent (auf 551,91 Millionen Euro) als dubios: „Ein sachlicher Grund für den Anstieg ist nicht erkennbar“, heißt es in Ermittlungsakten.

Der damalige BMF-General Thomas Schmid hatte Kurz im Jahr 2016 geschrieben: „Du hast eine BUDGET Steigerung von über 30%. Das haben wir NUR für dich gemacht. Über 160 Mio mehr! Und wird voll aufschlagen. Du schuldest mir was :-)))! LG t“. An den damaligen ÖVP Wien-Chef Gernot Blümel hatte Schmid zeitgleich gerichtet: „Kurz kann jetzt Geld scheissen.“

Warum Kurz in seiner Gegenoffensive die Bedenken der Ermittler befeuert, bleibt sein Geheimnis.

Methode Hintergrundgespräch

Aber auch ein anderer Aspekt der Kurz-Strategie lohnt näherer Betrachtung. In offenbar mehreren Hintergrundgesprächen mit Journalistinnen hat Kurz versucht, die Tonband-Nummer medial in seinem Sinne zu verkaufen. Kurz hat die Methode Hintergrundgespräch, bei dem der Einladende ausgewählten Journalistinnen serviert, was er in den Medien haben will, in seiner Zeit als Kanzler perfektioniert. Auch deshalb, weil viele Journalistinnen brav apportierten.

Doch jetzt ist die Situation eine andere. Kurz kann sich seiner einstigen Message Control nicht mehr sicher sein. Während im „Oe1-Morgenjournal“ davon die Rede ist, dass Kurz und eine zweite Person aus dem aufgezeichneten Kurz-Schmid-Telefonat vorgelesen haben sollen, dementierten einige Medienvertreter, dass sich dies so zugetragen habe. Sie waren ja augenscheinlich auch bei einem anderen Gespräch.

Mehrere Botschaften an verschiedene Leute – das hätte es zu den Hochzeiten des türkisen Mediendompteurs Gerald Fleischmann nicht gegeben. Das erinnert ein wenig an die Netflix-Serie House of Cards: Als Präsidenten-„Schäferhund“ und Stabschef Doug Stamper die Kontrolle über sein Wirken verliert, geht auch Boss Frank Underwood unter. Kurz ist jetzt ein „Häusl der Koartn“.

Ergebnis von chaotischen Aktionen wie den jüngsten Hintergrundgesprächen ist, dass das Publikum im Angesicht sich überschlagender Ereignisse nichts mehr versteht. Die Message ist out of Control, Kurz kann nicht mehr steuern, dass überall dasselbe steht. Aus Litigation-PR-Sicht ist das fatal. Insbesondere dann, wenn Journalisten das Gefühl haben, sie werden an der Nase herumgeführt. Auch die, die ihn lange in Schutz nahmen.

Es sind zwar teilweise alte Reflexe erkennbar – welche Erkenntnisse erwartet man sich von Medienterminen mit Kurz? Am Ende ist die süße Frucht des Ausschlachtens von Ermittlungsakten aber schmackhafter, als einem verbrannten Ex-Politiker die Stange zu halten.

Übrig bleibt für die Leser nur eine Schlammschlacht ehemaliger Weggefährten, bei der beide schmutzig werden. Schmid wird das egal sein, als möglicher Kronzeuge in spe ist er in der besseren Position. Kurz scheint das nur noch nicht wahrhaben zu wollen.

Titelbild: ZackZack / Christopher Glanzl

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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