Kommentar
Ex-ORF-Hörfunkchef Karl Amon schreibt auf ZackZack, warum eine radikale Medien-Reform in Österreich notwendig ist.
Karl Amon
Wien, 11. November 2022 | Vor knapp zehn Jahren durfte ich bei der Abschlussfeier vor Absolventinnen und Absolventen des Studienlehrgangs Medienmanagement im Festsaal der Fachhochschule St. Pölten den Festvortrag halten. Mein Thema: „Wie bekomme ich einen Job in einem Medium?“ Meine Antwort im Kern: „Durch Hartnäckigkeit, auf der Basis eigener Leistungen und Fähigkeiten, aber auch der Zufall spielt mit“.
Politischer Einfluss wird größer
Ich habe nicht die ganze Wahrheit gesagt. Denn schon seit damals gibt es eine Fehlentwicklung, die zunehmend größer wird. Und zwar den politischen Einfluss auf die Personalpolitik der Medien.
Ein Teil der Politik, aber auch der Wirtschaft, versucht willfährige „Handlanger“ in den Medien an Spitzenpositionen zu bringen. Diese Handlanger setzen dann die Wünsche ihrer „Auftraggeber oder Auftraggeberinnen“ um oder versuchen es zumindest. Sie installieren andere Willfährige im Medium und kündigen oder entlassen sogar auf Wunsch Journalistinnen und Journalisten mit Qualität.
Auch in der Zeit, in der ich APA-Vorstand war, sollten Handlanger den in den Augen der Auftraggeber „unbequemen“ APA-Chefredakteur auswechseln. Die knappe Mehrheit der APA-Vorstände konnte das damals gerade noch verhindern. Damals.
Portisch und der „Anschlag auf die Demokratie“
Wie die SMS von Schmidt, Strache und Adressaten belegen, sind diese Dämme inzwischen weitgehend gebrochen. Wir haben jetzt in zu vielen Medien Entwicklungen, die an die 60er Jahre erinnern.
Ein kurzer Rückblick. 1964: Hugo Portisch erfährt von einem Abkommen zwischen ÖVP und SPÖ, wonach „der Rundfunk nach allen Regeln der Proporz-Kunst aufgeteilt werden soll“. Portisch spricht später von einem „Anschlag auf die Demokratie“!
Die Furche schreibt sinngemäß: „In dieser Zeit verteilen ÖVP und SPÖ in Koalitionsabkommen die Spitzenpositionen in Radio und Fernsehen unter sich und legen fest, dass die Verunglimpfungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu unterbinden sind, was den Parteien missfällt, ist nicht erlaubt“. Soll heißen: Politikerinnen, Politiker und sonstige „angesehene“ Personen dürfen nicht kritisiert werden. War diese journalistische Knebelung damals Wirklichkeit? Die Antwort ist: Ja! Und hat sich der österreichische Journalismus das damals gefallen lassen? Die Antwort ist: Nein! Dieser Versuch des politischen Zugriffs auf die Berichterstattung führte zum Rundfunkvolksbegehren und dann zur Neugründung des ORF.
1966: Gerd Bacher ist erster General-Intendant des neuen ORF. Es entsteht „ein neues Selbstbewusstsein des Senders“, schreibt Johannes Kunz in seinen Memoiren. Der Generalintendant ist an keinerlei Weisungen gebunden, die ORF-Redakteure und -Redakteurinnen werden zur objektiven Berichterstattung verpflichtet. Der ORF hat einen klaren Programmauftrag. Die Journalistinnen und Journalisten können wieder frei arbeiten und sind nur dem ORF-Gesetz verpflichtet. Das hat Österreichs Demokratie gutgetan.
Zurück zu heute, 2022: Durch die Chats von Thomas Schmid und deren Adressaten wird ein System der „Verhaberung“ von Politik, Wirtschaft und Journalismus sichtbar, das Österreich so bislang nicht kannte.
Eine radikale Systemänderung ist notwendig
Das geplante Medienförderungs- und Transparenzgesetz, das derzeit begutachtet wird, bringt leider keine Lösungen. Zurecht kritisiert die Vorsitzende des Presseclubs Concordia, Daniela Kraus, dass „ein Deckel für große Regierungskampagnen fehlt“, und dass Partikularinteressen weiter bedient werden. Außerdem ist der Begriff „Journalismus zu vage definiert“.
Es fehlt viel, ja sehr viel. Beispielsweise fehlt das notwendige Aus für Inseraten-Geld-Geschenke an einzelne Medien. Inserate, die Ministerien, Landesregierungen, Parteien, Kammern usw. mit Steuergeld finanzieren, sollten in allen Medien geschaltet werden – entweder Regierungs-Inserate in allen Medien oder gar nicht! Den Preis der Inserate sollte die Reichweite des jeweiligen Mediums bestimmen.
Dem Inserieren in parteinahen Vereinen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Sollen Journalistinnen und Journalisten weiter um sehr hohe Honorare Nebenjobs bei Firmen und politiknahen Institutionen annehmen, also dort sehr gut bezahlte Veranstaltungen moderieren? Auch das bringt bewusst oder unbewusst Beißhemmung oder sogar Abhängigkeit.
Ein neues Volksbegehren
Mit einem Satz: Ein gutes halbes Jahrhundert nach der Rundfunkreform braucht Österreich eine radikale, umfassende und wirkungsvolle Medien-Reform.
Hilft hier ein Volksbegehren? Die Antwort ist: Sicher! „Leistung, Fähigkeit und etwas Glück sind Voraussetzung für einen guten Job in den heimischen Medien“, sagte ich, wie eingangs erwähnt, vor knapp zehn Jahren den Absolventinnen und Absolventen des Medienlehrgangs in der Fachhochschule St. Pölten. Ich würde gerne weiter – ohne schlechtes Gewissen – bei diesem Satz bleiben. Zwingende Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ein notwendiges Medien-Volksbegehren eine radikale System-Verbesserung bringt.
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Mag. Karl Amon war Journalist und Hörfunkdirektor des ORF. Der studierte Ökonom hatte vor seiner Tätigkeit als Hörfunkchef verschiedene Stationen des ORF durchlaufen, u.a. als stellvertretender Leiter der ZIB2, Chefredakteur des Landesstudios Wien, Chefredakteur der ORF-Radios (Ö1, Ö3, FM4) sowie als Chefredakteur des ORF-Fernsehen.
Amon ist Vorsitzender des journalistischen Beirats der ZackZack-Redaktion, der dieser beratend zur Seite steht.
Titelbild: ZackZack / Christopher Glanzl