Freitag, April 26, 2024

ÖVP-Länder wollen bei EMRK »einmal abklopfen«

Die ÖVP-Länderchefs rücken der Reihe nach aus, um August Wöginger bei seinem umstrittenen Menschenrechtskonventions-Vorschlag zu unterstützen. Dafür gibt es harsche Kritik.

Wien, 15. November 2022 | Die Europäischen Menschenrechtskonvention sorgt für eine Diskussion in der ÖVP. Nach dem steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) haben am Dienstag auch die ÖVP-Chefs aus Salzburg und dem Burgenland, Wilfried Haslauer und Christian Sagartz, den Vorstoß von Klubobmann August Wöginger für eine Überarbeitung der EMRK unterstützt. Zuvor hatte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Diskussion eigentlich für beendet erklärt.

ÖVP will bei Menschenrechtskonvention “einmal abklopfen”

“Menschenrechtsmaterien sind besonders sensibel, wir müssen behutsam mit ihnen umgehen”, betonte ein Sprecher von Salzburgs Landeshauptmann Haslauer. “Asylgrundsätze sind eindeutig und für jene da, die Asyl brauchen. Wir benötigen aber eine Lösung für Wirtschaftsflüchtlinge, die sich auf Asylgrundsätze berufen – ohne aber dass sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben.”

Sagartz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschusses des Europäischen Parlaments ist, erklärte: “Niemand möchte die Menschenrechte willkürlich ändern. Aber für mich ist ganz klar – die über 70 Jahre alte Menschenrechtskonvention benötigt ein Update beim Thema Migration und diese Diskussion sollten wir so schnell als möglich starten.” Ähnlich wie in anderen Rechtsbereichen müssen man die Menschenrechtskonvention ins neue Jahrtausend holen, da es seit 1984 keine wesentlichen Anpassungen mehr gegeben habe. “Noch dazu wurden die alten Passagen sehr freizügig ausgelegt, was zu langen Abschiebeprozessen und zu übermäßigen Zuzug geführt hat”, meinte Sagartz.

Der Landesparteiobmann fordert darüber hinaus auch eine Überarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention: “Der ursprüngliche Text der Genfer Flüchtlingskonvention war ausgelegt, unseren unmittelbaren Nachbarn in Not zu helfen. Doch jetzt kommen Menschen von überall nach Europa und wollen Zugang zu unserem hart erarbeiteten Sozialsystem. Das konnte damals niemand vorhersehen.”

Ähnlich hatte sich Drexler in der “Kleinen Zeitung” geäußert. “Ja, er hat recht. Wenn es darum geht, auch die Europäische Menschenrechtskonvention diskutieren zu dürfen”, sagte er zu Wögingers Vorstoß und weiter: “Mir geht es weniger um den Text der EMRK aus dem Jahr 1950. Aber die fortlaufende Weiterinterpretation durch den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann man als ein sich verselbstständigendes Richterrecht sehen. Da stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation.”

Man solle “einmal abklopfen, was in einer zeitgemäßen Textfassung eine Deckung finden würde”, so Drexler. “Möglicherweise braucht es eine Neukodifizierung, um das, was sich auf dem Interpretationsweg ergeben hat, zu bewerten, allenfalls in den Text aufzunehmen oder zu verwerfen. Darüber eine Diskussion zu führen, ist legitim.” Die heutige Asylpraxis sei “eine wirkliche Pervertierung des ursprünglichen Asylgedankens”.

Scharfe Kritik am “Herumhämmern”

Zuvor hatten Verfassungsministerin Edtstadler und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) die Europäische Menschenrechtskonvention als “nicht verhandelbar” bezeichnet. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen begab sich am Montag in diese Debatte: Die EMRK sei eine große Errungenschaft der Menschlichkeit, ein Kompass der Humanität und gehöre zum Grundkonsens der Republik, schrieb er auf Twitter. Diese infrage zu stellen, löse keine Probleme, sondern rüttle an den Grundfesten, auf denen unsere Demokratie ruhe.

Auch die Katholische Aktion Österreich forderte in einer Aussendung am Dienstag alle politisch Verantwortlichen auf, sich gegen ein “Herumhämmern am Fundament der Europäischen Menschenrechtskonvention” zu engagieren.

“Ablenken von eigenem Versagen”

Die SPÖ kritisierte die Aussagen, ebenso wie der Bundespräsident bereits am Montag. “Für die ÖVP geht es immer weiter bergab und jedes Mal, wenn’s schlecht läuft und die Nervosität groß ist, versucht sie als Ablenkungsmanöver mit den Themen Asyl und Migration zu reüssieren”, meinte Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung: “Dass die ÖVP jetzt mit ihrem Latein so am Ende ist, dass sie an den Menschenrechten rüttelt, ist ein neues Ausmaß an Ungeheuerlichkeit. Damit hat die ÖVP eine rote Linie überschritten.”

Es gebe vieles, was es in der Asylpolitik brauche, wie Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen und schnellere Verfahren, so Deutsch weiter: “Weniger Menschenrechte gehören mit Sicherheit nicht dazu.”. Mit den Grünen gebe es deswegen wieder einmal Streit auf offener Bühne. “Türkis-Grün ist nur mehr mit gegenseitigen Blockaden, Regierungsstreit und Korruptionsvorwürfen beschäftigt – Bevölkerung und Wirtschaft bleiben dabei auf der Strecke”, meinte der SPÖ-Bundesgeschäftsführer.

Ein “Ablenken vom eigenen Versagen” in der Migrationspolitik ortet wiederum NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im Vorstoß Wögingers. Die “Blender” der vergangenen Jahre müssten nun einsehen, dass die angeblich geschlossenen Migrationsrouten “offen stehen”. Nötig seien europäische Lösungen, diese habe die ÖVP aber jahrelang “torpediert”. Illegale Routen müssten geschlossen und legale Fluchtwege geöffnet werden, verlangte die NEOS-Chefin bei einer Pressekonferenz.

Überhaupt stellt sich für Meinl-Reisinger die Frage, ob Wöginger bei seiner Ansage vielleicht Gesetze verwechselt habe und statt der EMRK eigentlich die Genfer Flüchtlingskonvention meine. “Die EMRK einschränken zu wollen, halte ich für skurril”, so Meinl-Reisinger.

(bf/apa)

Titelbild: MANUELA SCHWARZL / APA / picturedesk.com ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com Montage

 

Benedikt Faast
Benedikt Faast
Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.
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22 Kommentare

  1. Absolut hemmungs-, empathie und gewissenlos.
    Die leute durchschauen das.
    Kann man eruieren, wieviele nö flaggen in den wind gehängt wurden?

  2. Im “report” war Frau Irgendwer, aber irgendwie zuständige Ministerin, die dazu befragt wurde. Auf die Frage, was an der EMRK geändert werden sollte, berief sie sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Diese wurde seit Bestehen schon mannigfach adaptiert. Zur EMRK war keine Aussage zu vernehmen.

    Also, wenn es um die Flüchtlingskonvention geht, wieso will man die Menschenrechte “abklopfen”? Der Zusammenhang ist nicht herstellbar. Es sei denn, man möchte die EMRK dahingehend abändern, dass das Recht auf unversehrtes Leben gestrichen wird. Dann kann man die Fluchtsuchenden an der Grenze straffrei abknallen. Wenn das das Ziel ist, dann gute Nacht.

    Ein andere Konnex ist zwischen diesen beiden internationalen Verträgen allerdings nicht herstellbar. Die Grenze sei das Strafrecht? Dann muss aber zuerst die Justiz der Politik folgen (!), dann kann Politik auch Massenmorde straffrei in Auftrag geben.

      • Ich denke, dass sie sehr wohl wissen was sie tun und alles bewusst eingesetzt wird. Je mehr Fässer man aufmacht um so mehr kann man das Wahlvolk verwirren und verunsichern. Hat bei Trump auch wunderbar funktioniert. Flood the zone with shit.

  3. Wögi ist in einen Fettnapf getreten weil er Gesetze nicht auseinanderhalten kann, oder aber er ist absichtlich hineingestiegen um die Bevölkerung zu verwirren und einzunebeln.
    Wie auch immer, die ÖVP kann schon unterm Teppich Fallschirmspringen, bei ihr hilft auch keine Neukodifizierung.

    • Er hat sich damit bei der FPÖ beworben. Und die Landeshäupter folgten ihm. Wenn die ÖVP als kriminelle Organisation einstens verboten worden sein könnte, müssen die Protagonisten dieser Tragödie ja vorgebaut haben.

  4. Die ÖVP hat ja im Grunde gar keine Ahnung was sie diesbezüglich eigentlich will, sie will halt irgendwas das von ihren Korruptionsgeschichten ablenkt. Die EMRK “abklopfen”, ist ja lachhaft.

  5. Das hat er gut gemacht der kleine Wögi. Wieder einmal eine perfekt eingesetzte Nebelgranate, um von den Problemen in der ÖVP abzulenken

  6. “Man brauche eine Diskussion”. Ok, liebe ÖVPler, ihr habt euch wohl mit der Materie auseinandergesetzt, also bitte ich gleich um die konkreten Abänderungsvorschläge. Über die diskutieren wir dann. Einfach über “Änderungen” diskutieren, so als ob man im philosophischen Seminar sitzen würde, führt vielleicht zur Aufregung, aber sicher nicht zu einer Diskussion über Änderungen.

    Was beklagt wird, ist dass jemand einen Asylantrag stellt, obwohl er keine Chance auf Asyl hat. Eine Behauptung, die man ebenso machen kann, wie dass ein Landeshauptmann schlicht bösartig ist. Beides ohne Fallprüfung, so allgemein, dass es juristisch nicht fassbar ist. Also eine 0-Aussage.

    Entweder Karten auf den Tisch oder innere Einkehr zur Korruption. Ihr wollt Österreich ja Gutes tun.

  7. Hmmm… eine Operation ist bei ernsthaftem Bedarf immer sinnvoll. Doch wenn der Metzger sich anschickt diese durchzuführen… krieg ichs dann doch mit der Angst zu tun, bei denen gehn doch immer nur zerstückelte Leichen vom Tisch.

    • Ja, der Metzger ist das wirklich das Sinnbild, das einem vor Augen erscheint. Die wollen straffrei Schlachter werden.

  8. Ich glaube, da wurde bei manchen Leuten, zu viel angeklopft. Scheinbar ist der Rest an Hirnmasse kurzerhand geflohen.

  9. Ja eh, weil wir international eh noch um einen Hauch zu wenig verschrien sind als Völlig durchgeknallt…..

    Wirklich, populistische Rufschädigung eines Landes aus purer Fahrlässigkeit, sollt strafbar sein…. Wär zu “überdenken”!

    • Naja. Is ja sowieso alles Schwachsinn. Die EMRK zu ändern wird nicht in Hinterbruchleiten entschieden. Da muss man in Verhandlungen mit UNO und EU treten. Hmmm.. wie sähe da der Fahrplan aus? Man weiß nichts Genaues nicht. Und dann müsste man ja erstmal gehört haben, wie sie sich die Änderung vorstellen. Da haben sie sicher schon 100 juristische Gutachten in der Schublade und werden uns bald ihre Änderungstexte vorlegen.

      Wir besorgen uns Popcorn.

      Denn da können nie konkrete Vorschläge kommen. Wenn sie diese Passagen ändern, kippen Grundlagen des Rechtssystems. So genau wollen sie es uns nicht sagen. Wir würden den Faschismus dann genau ablesen können, der hinter Allgemeinformulierungen noch verborgen liegt.

      • Stimme Ihnen da zu: mAn geht es hier nicht(!)um konkrete, überfällig reformbedürftig empfundene Agenden zum nicht mehr als zeitgemäß bekrittelten EMRK, sondern nur(?) um einen möglichst breiten, öffentlich Aufreger zur erwünschten Themenschwerpunktverlagerung betreffs Kaschierung miserabler Umfragewerte zu anstehenden Wahlterminen. Nichts wirklich Substanzielles also, sondern in bewährter Rezeptur unterschwellig forcierte Xenophobie und Neiddebatte in schwarzer Kernkompetenz, um Ängste zu schüren, konservatives “Sicherheitsdenken” zu aktivieren, was die Wahrscheinlichkeit eines Vaupen Wahldesasters Jan. 2023 möglicherweise (doch noch) ein wenig eindämmte…

        Aktuelle Analogie: Unser Parlamentsanierung-Bauherr und volksnah hochgelobter NR-Präsi, gibt auf die kürzlich intern kommunizierte Projekt-Budgetüberschreitung ~20% einfach noch “einen Tupfen” drauf und lanciert im perfekten Timing die goldene Bösendorfer Geschichte nebst exaltierter Lobhudelei zum gediegenen Ergebnis der Modernisierungsarbeiten. Der Rest der Welt soll sich bitte nur genau daran möglichst empört abarbeiten. Er wird das in seiner Hybris locker aushalten (besser ignorieren). Die Kostenüberschreitung an sich aber (fehlender Expertise in den Baulos-Genehmigungen bzw. monetären Projekt-Beauftragungen, miserablem Projekt-Controlling geschuldet?) wird damit easy-cheesy aus dem primären Fokus öffentlicher Gemütslage gedrückt… -> SO geht nämlich hohe Vaupen-Politik in verantwortlicher Zuständigkeit! Und genau so hat er beides: Ein güldene Manifestation (seiner, nur seiner?) Politdekadenz (damit es nicht gar so heftig wird, mietet man das Ding “günstig” im Vergleich zum Kaufpreis – auf Steuerkosten) UND ein aus dem veranschlagten / genehmigten Kostenrahmen gesprengtes, saniertes “Hohes Haus”, in dem er die schönsten (Macht)Räumlichkeiten bereits für “seinen Stab” reserviert hat… 😉

        • Zur Neiddebatte: Ich finde es interessant (und empfinde es abscheulich), dass die Neiddebatte immer dann vorangetrieben wird, wenn die Armen etwas erhalten sollen. Zum Beispiel: Rechtsschutz, Rechtssicherheit oder da und dort 10 € mehr. Dann wird eine Neiddebatte losgetreten, weil ja die, die schuften und auch nichts dafür kriegen, sich veräppelt vorkommen sollen.

          Es gibt aber keine Neiddebatte, wenn Milliarden steuerfrei ins Ausland transferiert werden, um sündteure Yachten zu finanzieren. Es gibt keine Neiddebatte, wenn Wohlhabende fordern, dass sie mehr kriegen müssen, weil sie den Hals noch immer nicht voll haben. Denn die die schuften und nichts dafür kriegen, die zahlen das ja. Und kriegen deswegen so wenig.

          Das ist interessanterweise auch in D oder F oder I so. Man kann sich gar keinen Reim darauf machen. ^^

      • Genau, wenns bei der Aktion um eines nicht geht, dann um die Sache selbst (wobei das ja auch nicht wünschenswert ist)… “the show must go on…..” ist die Devise!

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