Politische Botschaften seien ein Grund für sportlich schlechte Leistungen, sagt der ehemalige Arsenal-Trainer Arsene Wenger. Er füttert damit ein Narrativ, das die Fußballbranche schleunigst loswerden sollte.
Wien, 10. Dezember 2022 | Arsene Wenger war einmal ein Revolutionär, seine offensiv spielende Arsenal-Mannschaft ging als The Invincibles, die Unbesiegbaren, in die Geschichte ein. Heute spielt er als FIFA-Funktionär lieber die Rolle des Reaktionärs, vor wenigen Tagen stellte er das bei einer Veranstaltung des Weltverbands neuerlich unter Beweis. Dort bediente er sich einer bei Sportfunktionären beliebten Erzählung zum Verhältnis von Sport und Politik. Er behauptete, dass zum Auftakt der WM in Katar vor allem die Teams erfolgreich gewesen seien, die nicht auf politische Demonstrationen fokussiert waren. Ein Trugschluss.
Wenger meinte in erster Linie die deutsche Nationalmannschaft, die sich vor ihrem ersten Gruppenspiel beim Teamfoto die Hand vor den Mund hielt. Die Geste sollte ein Protest gegen die FIFA sein, da diese die viel diskutierte, inklusive „One Love“-Kapitänsschleife verboten hatte. Das deutsche Team schied noch in der Gruppenphase aus.
Das Narrativ, Sport und Politik ließen sich nicht vereinbaren, durchzieht nicht nur die Fußballbranche, es ist ein für den Profisport typisches Mittel, politische Verantwortung von sich wegzuschieben. Dabei ist es gerade die WM in Katar, die zeigt, was für eine Rolle Politik bei Großsportevents spielt. Würde man den Wengers Gedanken weiterdrehen, hieße das, dass nur unpolitische Sportlerinnen und Sportler Bestleistungen abrufen könnten. Demnach hätte Muhammad Ali, der sich in den USA gegen Rassismus und den Krieg in Vietnam einsetzte, nie der größte Boxer der Geschichte werden können. Und Megan Rapinoe, die sich wie kaum jemand sonst im Fußball gegen Diskriminierung engagiert, hätte niemals als Kapitänin mit ihrem Team die WM 2019 und den Ballon d’Or, also die Auszeichnung zur Fußballerin des Jahres, gewinnen können.
Wengers Aussage würde weitergedacht auch bedeuten, dass Sportler ausschließlich für ihren Sport leben müssten, um sich nicht ablenken zu lassen. Sie dürften also keine Meinungen haben, keine Hobbys, keine Beziehungen, keine Freunde, keine Familie. Und doch verlangt kein FIFA-Funktionär, dass Sportler ihr Privatleben aufgeben sollten. Im Gegenteil, Zeit mit der Familie wird im Fußballbusiness oft als Ausgleich gerahmt, die politischen Gedanken gelten als Ablenkung.
Der langjährige Rapid-Tormann Richard Strebinger erzählte vor WM-Start bei der Diskussionsveranstaltung „Club 2×11“ in der Wiener Hauptbücherei, wie typisch diese Gedanken für den Profifußball seien. Spieler, die neben ihrer sportlichen Tätigkeit auch andere Dinge tun, würde das nach einem schlechten Spiel sofort vorgeworfen werden. Das sagt nicht nur etwas darüber aus, welche Widerstände Sportler und Sportlerinnen überwinden müssen, um sich zu äußern. Es zeigt auch, wie weit verbreitet Stereotype über Profis sind – und wie wenig ihnen zugetraut wird. Genau wie eine Schülerin, ein Lehrling, ein Angestellter und eine Unternehmerin können auch sie mehr als eine Sache gleichzeitig im Kopf haben.
Auswärtsspiel ist die Kolumne des ballesterer für ZackZack
Tobias Fries ist Redakteur des Fußballmagazins ballesterer, dessen WM-Ausgabe seit 4. November im Handel ist.
Titelbild: Montage ZackZack/Wiener Sportclub