Skylla & Charybdis
Was für ein kläglicher Versager wäre ein Gott, der sich von einer Sechzehnjährigen bekriegt fühlt? Und was für Versager sind die, die für diesen erfundenen grausamen Gott in den Krieg ziehen?
Julya Rabinowich
Wien, 17. Dezember 2022 |Das hier ist ein Monsterkolümnchen, und oft genug sind die hier auftauchenden Monster jene aus der Gemischtwarenhandlung der Mythologien dieser Welt. Das Göttliche ist hier bis jetzt noch nicht monströs aufgetaucht, aber nun führt einfach keine Stromschnelle darum herum. Denn das, was im Iran geschieht, ist monströs.
Erfundener grausamer Gott
Das Mädchen auf dem Foto, das in meiner Timeline auf Twitter auftaucht, sieht ernst und nachdenklich in die Kamera. Sie könnte eine Tochter sein, oder die Freundin der Tochter, eine Enkelin, eine Nichte. Sie könnte jemandes große Schwester sein. Oder eine kleine. Sie sieht aus wie so viele jungen Mädchen, denen man täglich auf der Straße begegnet: Jeans, ein weißes Hemd, rötlich getönte Haarlocke im Gesicht. Ihr Name ist Sonya Sharifi, sie ist 16 Jahre alt, seit zwei Monaten in Haft und soll wegen „Krieg gegen Gott“ hingerichtet werden. Was für ein kläglicher Versager wäre ein Gott, der sich von einer Sechzehnjährigen bekriegt fühlt? Und was für Versager sind die, die für diesen erfundenen grausamen Gott in den Krieg ziehen?
Krieg der Mullahs
Denn die Sachlage ist genau umgekehrt: Das Mullah-Regime ist in den Krieg gezogen, nicht die jungen Frauen, vor denen sich die Extremisten fürchten. Nicht die jungen Männer, die sich mit ihnen solidarisieren. Wie der Rapper Tomaj Salehi oder der kurdische Rapper Saman Seydi, die beide ebenfalls mit Hinrichtung bedroht sind, und seit ein paar Tagen auch Ehrenmitglieder des PEN Berlin, das nicht nur im geschriebenen, sondern auch im ausgesprochenen Wort steht. Zum Tode verurteilt sind auch Zahra Sedighi-Hamadani und Elham Choubdar, wegen ihrem Einsatz für die Menschenrechte von LSBTIQ*, für die sich gerade die Nobelpreisträgerin Annie Ernaux einsetzt.
Die wahren Verbrechen
Liebe ist ebenso wenig ein Verbrechen, wie der Einsatz für die allgemein gültigen Menschenrechte. Die Folter und Ermordung von Menschen ist hingegen ein Verbrechen. Niemand außer den Staatsterroristen kann im Iran derzeit sicher sein. Die eine verlieren für ein paar Sekunden ihre Mullah-Mützen, die anderen ihr Leben für immer. Der Iran ist kein Land mehr. Der Iran ist derzeit ein Purgatorium.
Die Welt muss sprechen
Eine kleine Chance auf Rettung einzelner Betroffener liegt in unserer, der westlichen Aufmerksamkeit. Wir werden beobachtet. Von den Opfern und deren Angehörigen. Und von den Staatsterroristen. Wenn die Stimme der Vernunft schweigt, muss die Menschheit sprechen. Sei ihre Stimme, fordert die deutsch-jezidische Journalistin, Filmmacherin und Aktivistin Düzen Tekkal, die Sonya Sharifis Foto und Geschichte in die Welt trägt. Wo die Menschenrechte nicht mehr gehört werden, da muss die Welt sprechen.
Die erst 16 jährige #SonyaSharifi aus #Abdanan wurde heute wegen „Krieg gegen Gott“ verurteilt. Ihr droht die Hinrichtung. Das Regime tötet seine Teenager. Sonya ist seit 2 Monate in Haft, Ihre Angehörigen haben heute die Nachricht bekommen. Seid Ihre Stimme. #IranRevoIution pic.twitter.com/KQawrkCuHZ
— Düzen Tekkal (@DuezenTekkal) December 14, 2022
Titelbild: ZackZack