Donnerstag, September 12, 2024

Ukraine beschließt kontroverses Mediengesetz

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verabschiedet ein umstrittenes Mediengesetz, angeblich im Rahmen der Annäherung an die Europäische Union.

Wien, 30. Dezember 2022 | Kurz vor Jahresende überrascht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einem Gesetzes-Beschluss zur Regulierung der Medien, der mit gemischten Gefühlen aufgenommen wird. Den ukrainischen Behörden zufolge dient der Beschluss dazu, die ukrainische Mediengesetzgebung den europäischen Standards der Pressefreiheit anzunähern und russische Propaganda zu bekämpfen. Journalisten wittern jedoch die Gefahr der Zensur.

Erweiterter Handlungsspielraum

Der Ukraine wurde im Juni diesen Jahres offiziell der Kandidatenstatus zum EU-Beitritt zugesprochen. Eine Medienreform ist eine der Bedingungen der EU für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Das Gesetz, das Selenskyj nun angekündigt hat, weitet die Befugnisse der Medienaufsichtsbehörde drastisch aus. Es ermöglicht ihr, Nachrichtenseiten, die nicht offiziell als Medien registriert sind, ohne gerichtlichen Beschluss zu sperren. So soll der Einfluss von Interessengruppen auf Medien bekämpft werden, lautet die Argumentation. Journalistenorganisationen sehen das Gesetz skeptisch und kritisieren den Schritt als Versuch, Zensur einzuführen. Die Behörden weisen diesen Vorwurf zurück.

Journalistenorganisationen orten “Zwangsregulierung”

Der aktuelle Entwurf, der bereits 2020 im ukrainischen Parlament eingebracht worden war, wurde im Juli vom Europäischen Journalistenverband (EJF) beanstandet. Der Verband erklärte, das Gesetz enthalte viele Bestimmungen, die den europäischen Werten widersprechen. Der Entwurf “schlägt vor, der nationalen Regulierungsbehörde willkürliche und unverhältnismäßige Regulierungsbefugnisse zu erteilen, die nicht nur für audiovisuelle Medien, sondern auch für Print- und digitale Medien gelten sollen“, heißt es in einer Erklärung des Verbands.

Der Text sehe eine Zwangsregulierung durch eine vollständig von der Regierung kontrollierte Behörde vor, was eher „autoritären Regimen“ als europäischen Werten entspreche, betonte EJF-Generalsekretär Ricardo Gutiérrez. Aus Sicht des EJF sollte die Medienregulierung von einer von der Regierung unabhängigen Institution durchgeführt werden, mit dem Ziel, Medien unabhängig zu machen.

Auch der Nationale Journalistenverband der Ukraine sprach sich im September gegen den Gesetzesentwurf aus. Es sei „die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit in der unabhängigen Geschichte der Ukraine”. Die Gewerkschaft ergänzte, dass die Einführung der Medienreform „den Schatten eines Diktators“ auf Selenskyj werfen könnte.

Kandidatenstatus an sieben Reformbedingungen geknüpft

Die Ukraine hatte kurz nach Beginn des Krieges im Februar die EU-Mitgliedschaft beantragt. Im Juni empfahl die Europäische Kommission, der Ukraine den Kandidatenstatus zu gewähren und formulierte sieben Bedingungen dafür, dass Beitrittsverhandlungen aufgenommen würden.

Die empfohlenen Reformen betreffen die Auswahl der Richter des Verfassungsgerichts, die Justiz, die Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche, die ordnungsgemäße Umsetzung einer anti-oligarchischen Gesetzgebung, die Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes sowie die Gewährleistung der Rechte nationaler Minderheiten. Wenn Kiew den Forderungen nicht nachkommt, kann der Kandidatenstatus entzogen werden.

(nw)

Titelbild: BRENDAN SMIALOWSKI / AFP / picturedesk.com

Autor

  • Nura Wagner

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