Die Zerstörung des Österreichischen Rundfunks kann noch aufgehalten werden, meint Daniel Wisser.
Daniel Wisser
Wien, 05. Jänner 2023 | Es ist ein starkes Stück, wenn eine Regierung, die den aufgeblähtesten Ministerialapparat und die höchsten Werbe- und PR-Kosten seit 1945 hat, andere zum Sparen auffordert. So tat es die angebliche Medienministerin Raab diese Woche.
Während also Milliardenförderungen an Großkonzerne und Milliardäre, die die Budgetprobleme der nächsten Legislaturperioden verursachen, für die Regierung ebenso kein Problem sind, wie unter der Teuerung leidenden Menschen zynisch mitzuteilen, sie betrieben Jammern auf hohem Niveau, ist ein öffentlich-rechtlicher Sender mit einem gesetzlich verankerten Auftrag plötzlich eine wirtschaftliche Frage geworden.
Türkisfunk
Ja, es ist in den letzten Jahren so ziemlich alles schief gegangen im ORF. Man muss es klar aussprechen: Was Medienpolitik betrifft, ist Türkis-Grün viel schlimmer als Türkis-Blau. Die Grünen, die immer davon reden, die FPÖ zu verhindern, haben zusammen mit der FPÖ den türkisen Wunschkandidaten Weißmann zum ORF-Generaldirektor gewählt. Und jener Herr Lockl (heute Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats), der dabei federführend war, ist mit seiner Agentur auch Empfänger kostenintensiver PR-Aufträge aus Ministerien.
Dazu kommt die Schonung des im ORF gut vernetzten Kanzlers Nehammer. Seine Gattin ist die Tochter des früheren Intendanten Peter Nidetzky. Der Bundeskanzler hat an der Donau-Universität-Krems studiert und eine Hochschulschrift hinterlassen, die den Landtagswahlkampf der Niederösterreichischen Volkspartei im Jahr 2013 analysiert. Betreuer seiner Masterarbeit: ORF-Politikanalytiker Peter Filzmaier. Das sieht nicht gut aus. Wäre das bei einem SPÖ-Kanzler der Fall, dann würde kein Tag vergehen, an dem Opposition und Boulevardmedien ihn dafür nicht ausspießen würden.
Österreich braucht einen Öffentlichen Rundfunk
Ja, die parteipolitische Unterwanderung im ORF muss durchleuchtet und aufgedeckt werden. Ja, es gibt großen Reformbedarf in den Landesstudios. Ja, das Rätesystem im ORF gehört entfernt oder zumindest reformiert. Denn hier sind keine Räte tätig, sondern Parteienvertreter. Das ist nicht Sinn und Inhalt des Stiftungsrats. Ja, die GIS braucht mehr Transparenz, damit die Menschen sie einfach mit anderen Gebühren vergleichen können, die sie bezahlen. Dazu müsste man einmal die Beträge herausnehmen, die gar nicht dem ORF zugute kommen. Und man muss sowohl die De jure-Verstaatlichung (wie sie die FPÖ – zumindest als sie in der Regierung war – wollte) verhindern, als auch die De facto-Verstaatlichung, die heute der Fall ist, indem nämlich eine Regierung mit 51 Prozent im Nationalrat 79 Prozent im ORF-Stiftungsrat hält.
Das ist umso schlimmer, als Weißmann nur eine Aufgabe hat: den ORF in seiner bisherigen Form zu zerstören. Die ÖVP-nahen Medien blasen mit »Umfragen« schon zum Kampf gegen die Gebührenfinanzierung. Das war freilich früher eine FPÖ-Agenda, aber ÖVP und Grüne sind bereits aufgesprungen.
Der ORF muss nicht sparen
Aber all diese wunden Punkte führen viele zu einem falschen Schluss: Weg mit der GIS! Weg mit dem ORF überhaupt! Beides wäre für dieses Land eine Katastrophe. Dazu kommt: Der ORF hat den gesetzlichen Auftrag, zu informieren und zu unterhalten.
Zunächst müsste man auch richtigstellen: Der ORF muss nicht sparen. Ganz im Gegenteil: Er ist redaktionell bis auf die Knochen abgemagert. Besonders die hochqualitativen Sender wie Ö1 leiden unter den Sparkursen der letzten Jahrzehnte. Dabei wird man politische Informationssendungen und Kultursendungen in der Qualität von Ö1 in Österreich, in Europa, in der Welt kaum finden.
Doch die Politik gibt dem ORF sogar vor, wie er sparen muss: Strukturell. Auch das ist völlig verkehrt. Würde der ORF von Medienprofis gemanagt werden, die über internationale Erfahrung verfügen und größere Häuser kennen als das Landesstudio Niederösterreich, so müsste es möglich sein, das hochqualitative Angebot des ORF in Zeiten neuer Technologien und Formate besser zu vermarkten. Das ist allerdings eine Frage der Methode. Indem man aber mit strukturellen Einsparungen die Qualität senkt, die ja die Stärke des ORF in der Konkurrenz mit Privatmedien ist, zerstört man ihn. Noch kann diese Zerstörung aufgehalten werden.
Belangsendung ohne Belang
Ich bin 1971 geboren und ich kann (zumindest bis zu der Zeit, in der Gerhard Zeiler als Generalintendant in der Anbiederung an die Programme von RTL, SAT1 und PRO7 viel Unheil mit seiner Umstrukturierung angerichtet hat) darauf zurückblicken, mit Radio- und TV-Programmen aufgewachsen zu sein, die mich weitergebracht haben wie sonst nur das Lesen. Die Sendung Kunst-Stücke etwa, hat mir in Kunst, Literatur und Film ganze Welten eröffnet, die ich bis dahin nicht kannte. Ich habe sie jeden Freitag mit einem Video-2000-Rekorder ganz aufgenommen und danach (oft mehrfach) zur Gänze angeschaut.
Ich könnte jetzt einen langen Exkurs über die Qualität früherer Informations- und Diskussionsendungen des ORF einfügen. Wichtig ist aber nur eines: Der ORF sollte zu dieser früheren Qualität zurückfinden. Früher hießen Einschaltungen mit politischer Werbung im ORF Belangsendungen. Heute ist die ZIB1 eine Belangsendung der ÖVP. Und Belangsendung bedeutet, dass sie belanglos ist.
Auswahl ohne Vielfalt
Die Aushöhlung des Programms mit Quatschsendungen wie Dancing Stars, das immer amerikanisch-meidlingerisch Denzing ausgesprochen wird, als wäre der ORF der vierundzwanzigste Bezirk, wird dazu keinen Beitrag leisten. Da streame ich lieber Dörti Denzing. Von mir aus soll es auch Dancing Stars geben, wenn man damit Qualitätssendungen finanzieren kann. Aber es darf nicht ausschließlich Sendungen wie Dancing Stars geben, denn sonst ist der ORF wie alle anderen Privatsender: sie bringen das gleiche Programm. Dann gibt es zwar Auswahl, aber keine Vielfalt.
Wie sähe Österreich ohne ORF aus?
Ein Österreich ohne ORF aber sähe sehr düster aus. Wenn wir alleine die heutigen Presse- und Medienförderungen und dazu das gezielte Anfüttern der Medien durch Regierungsinserate zusammenzählen, haben wir ohnehin bereits drei Marktführer: Es sind die Boulevardzeitungen, die alle drei offene parteipolitische Werbung machen und zum Teil Fake-News verbreiten. Dazu kommen die kleineren Medien, die die Regierung zuletzt unter dem Decknamen Digitaltransformationsförderung mit Geld gesegnet hat, und die allesamt am rechten Rand des politischen Spektrums stehen. Es sind Propaganda-Medien, deren einziges Ziel die Bekämpfung freier Information und dialektischer Diskussion ist.
Ihnen Information entgegenzusetzen, ist unerlässlich, wenn man eine demokratische Gesellschaft aufrechterhalten will, denn die braucht auch kritische Informationsquellen, die Meinungsvielfalt garantieren. Und wenn wir nur in unser Nachbarland Italien schauen, sehen wir, welche Zerrüttung die Gesellschaft durch die sogenannte Liberalisierung der Medien erfährt. Die Demokratie wird durch sie in Wahrheit in die Oligarchie überführt.
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone