Der Startschuss für den SPÖ-Wahlkampf in Niederösterreich ging ziemlich in die Hose. Franz Schnabl wollte aus dem Schatten treten und stilisierte sich in Woche 1 zum weinerlichen Hanni-Franzi. Die kommentierte Chronologie.
Anja Melzer
Wien, 13. Jänner 2023 | Die ganze Malaise begann wie sehr viele andere zweifelhafte Dinge auf Twitter. Es war Dienstag, der 10. Jänner im neuen Jahr 2023. Exakt 13:01 Uhr. Da zwitscherte es plötzlich los von einem – immerhin dank blauem Hakerl unstreitig verifizierten Account –, lautend auf „Franz Schnabl“. Allem Anschein nach dürfte der Tweet aus dem Nabel Niederösterreichs, also St. Pölten City, abgesendet worden sein.
Der rote Hanni
Den Tweet zierte auf den ersten Blick (und es sollten aufgrund der Unglaublichkeit mehrere Blicke vonnöten sein) ein breites männliches Grinsen, daneben die ebenfalls sehr breite Aufschrift: „der rote hanni“, darunter der Satz „so sind wir“. Spätestens mit dem zweifelnden Kontrollblick aufs SPÖ-Logo links oben konnte man annehmen, dass es sich beim vorliegenden Gesamtkunstwerk um ein Wahlplakat mit dem Antlitz des roten Spitzenkandidaten Franz Schnabl himself handelte. Und siehe da: Es fand sich auch ganz offiziell auf der Partei-Homepage zwischen den anderen Sujets. Als Journalist musste man von der Authentizität der Werbetafel ausgehen.
Übrigens: Im Schatten dieses Bildschockers kam der Tweet außerdem mit einer skurrilen textlichen Ankündigung daher, die nicht zu viel versprechen sollte. Nun, da „viele von der ÖVP NÖ nach dem gestrigen Auftritt von Mikl-Leitner peinlich berührt“ seien, stand dort, sei es „noch nicht zu spät“, es gebe noch eine „Alternative“… Puh.
Wir verstehen gut, dass viele von der ÖVP NÖ nach dem gestrigen Auftritt von Mikl-Leitner peinlich berührt sind.
Aber es ist nicht zu spät, es gibt eine Alternative am 29. Jänner! 😉 pic.twitter.com/NCNKKsLz6w
— Franz Schnabl (@SchnablFranz) January 10, 2023
Während von Vorarlberg bis Wien Politkenner und solche, die sich dafür halten, über Stunden auf Twitter und in diversen Zeitungsspalten rätselten, was das digitale Poster aus dem flächenmäßig größten Bundesland mit den österreichweit zweitmeisten Wahlberechtigten zu bedeuten hatte, was hinter der Botschaft um den „roten Hanni“ stecken könnte, ob man eine solche überhaupt wollen sollen und wie viel Anleihen St. Pölten am SPD-Sujet „Er kann Kanzlerin“ (Olaf Scholz wurde bekanntermaßen dann tatsächlich Merkels Nachfolger) genommen haben könnte, oder – es ist kein Witz – sich die Zeit mit intensiven Zahn-, Gebiss- und Photoshop-Analysen totschlugen, lief just am späteren Abend die nächste Neuigkeit über die Nachrichtenticker.
Angekündigt wurde eine „Persönliche Erklärung von Franz Schnabl“ für den Folgetag. Diese Floskel fungiert gemeinhin als Code für „Rücktritt“. Doch dafür war es etwas früh, normalerweise erfolgen Rücktritte erst nach der Wahl, nicht kurz davor. Wer also bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht mindestens einmal den Kopf geschüttelt hatte, tat dies spätestens jetzt.
Der Doch-Nicht-Hanni
Dann, endlich: Mittwoch, 11. Jänner, 13 Uhr. Landesparteivorsitzender Schnabl tritt im „NÖ-Haus“ am Landhausplatz 1 in St. Pölten vor die Kameras. Staatsmännisch postiert sich der 64-Jährige vor einer pompösen Flaggenkulisse (Europa, Österreich, Niederösterreich). Sein überraschender Eingangssatz zur „Persönlichen Erklärung“: „I bin ziemlich guat aufgelegt.“
Normalerweise würde er ja „in diesem Land fast totgeschwiegen“, sagt Schnabl. Selten sei das „NÖ-Haus“ so voll mit Medien “wegen der Sozialdemokratie” gewesen. Johanna Mikl-Leitner dagegen würde täglich auf Seite 1 mit „nichtssagenden, inhaltsleeren, substanzlosen Aussagen“ stehen, alles an ihr sei „überdimensional berichtenswert“. Das halte er, Schnabl, für echt unfair. Dass auch er einmal die Aufmerksamkeit bekomme, ginge leider nur „über gezielte Provokation“.
Und dann kommt der Hammer: „Ich bin mit Sicherheit kein roter Hanni, ich bin der Franz Schnabl.“– Okay, eine wertvolle Feststellung. „Aber wir wissen ja, wie die Medienlandlandschaft in Niederösterreich funktioniert“. Das „Hanni“-Plakat sei nur ein verstecktes „Osterei“ gewesen und gar nicht echt. Man habe es nur für Satirezwecke benützt. Jedenfalls wolle er, Schnabl, jetzt Landeshauptmann werden. Fragen der Reporter wurden keine beantwortet.
Das war also der Plan des Ex-Polizisten: Gezielt Journalistinnen und Journalisten in die Falle tappen lassen, um sie dann für ihr inhaltliches Interesse zu schelten. Alles nur erfunden, um die Journaille vorzuführen – ein eigenwilliger Sinn für Humor.
Der Osterhasen-Franzi
Man könnte jetzt entgegensetzen: Vielleicht braucht es ja derlei übertrieben ausgeflipptes Herumgezappel und peinliche „Hanni-Ostereier“ wirklich, um in einem Bundesland, in dem sonst nur eine einzige Partei hörbar medialen Niederschlag findet, überhaupt ein bisschen wahrgenommen zu werden. Aus dem pinken und grünen Eck hört man schließlich noch weniger.
Raus aus dem Schattendasein also – das erklärte Ziel der niederösterreichischen SPÖ. Denn selbst die alleroptimistischsten Umfragen sehen die Roten bei gerade einmal 24 Prozent, die aktuellste Erhebung schiebt die SPÖ sogar auf Platz 3 – noch hinter die FPÖ. Das wären dann nur mehr wenige Zehntel über dem historischen Tiefststand von 2017 (21,6 Prozent). In einem Land, in dem…
- sich die Herausforderin einfach spontan nur noch „Niederösterreich Partei“ nennen kann und angeblich auch „nie die ÖVP war“,
- sektenhafte Aufritte der Landeshauptfrau in Regionalmedien frenetisch gefeiert werden,
- Die „NÖN“ ÖVP-Gemeinderäte getarnt als einfache Bürger nach ihrer Wahlempfehlung befragt,
- in dem ORF-Chefredakteure höchstpersönlich in die Berichterstattung zur Landeshauptfrau hineinintervenieren,
- Journalisten – wie in dieser Reportage beobachtet – mit der ÖVP während der Sitzung gemütlich am Gemeinderatstisch schäkern,
- zweifelhafte und mutmaßlich großzügig abgegoltene XXL-Inserate in partei(nahen) „Zeitschriften“ erscheinen,
(und das waren nur ein paar Schmankerl) … ist es für alle Parteien, die nicht ÖVP heißen, naturgemäß schwerer, überhaupt mit Botschaften durchzudringen. Selbst für die ÖVP wird die anstehende Landtagswahl allerdings zur Zitterpartie: Die Mikl-Leitner-Absolute wackelt ernsthaft – ein Absturz von bis zu zehn Prozent wird vorhergesagt. Das könnte noch bitter enden.
Der Kana-mog-mi-Franzi
Wahlkämpfe sind Rituale. Sie brauchen die Medien, und Wahlkämpfer brauchen einen politischen Mythos, also eine große Erzählung, die sich als Sinnstifter um den ganzen Wahlkampf spannt. Die von Franz Schnabls SPÖ lautet nach Woche 1: „Keiner will über uns berichten.“
Völliger Schmarrn, schließlich haben sich Medien auf und ab durch Österreich mit Schnabls Wahlauftakt beschäftigt. Aber in der NÖ-SPÖ man hat sich längst hineingesteigert. So sehr, dass das Bild, das Schnabl bis dato abliefert, eines von Jammerei und sogar bissiger Verspöttelung abgibt.
Von politischen Inhalten – auf seinen Postern gäbe es viel Brauchbares von leistbarem Wohnen, Gesundheitsversorgung bis Teuerungbekämpfung – blieb dagegen wenig hängen. Vom „Sozi-Franzi“, wie sich Schnabl auf der Partei-Homepage selbst nennt, keine Spur. Soziales oder auch Sätze wie „Ich stehe für Veränderung und eine andere Politik“ oder „Ich habe keine Angst vor den guten Ideen anderer Parteien“ aus dem Pressestatement wurden auf Kosten der Osterei-Posse wirklich nirgends zitiert.
In einem Satz: Das war wohl nix
Ob das Niederösterreichs Wählerinnen und Wähler zum Kreuzerl in der Wahlkabine bewegen wird? Eher fraglich. Und ob das freche Zum-Narren-Halten derjenigen Journalisten und Journalistinnen, die ihre Zeit wie am Mittwoch tatsächlich Schnabls Statement widmeten, der richtige Weg ist, um sich auch künftig medial Gehör zu verschaffen, sei außerdem dahingestellt.
Übrigens: „So sind wir“ – bei Schnabls Claim auf den Wahlplakaten, der mit starken Ibiza-Vibes aufwartet (Van der Bellen sagte damals über das Geschehene: „So sind wir nicht“) handelt es sich nach derzeitigem Wissensstand um keinen Satiresatz. Inwieweit Franz Schnabl selbst als Satireprojekt kandidiert, ist noch unklar.
Was Schnabl jedenfalls bisher in diesem niederösterreichischen Wahlkampf geboten hat, dürfte Mikl-Leitner schwerst in die Hände spielen. So oder so: „Es steht viel auf dem Spiel“ – und zwar für alle Plakat-Hannis, die echten und die falschen.
Titelbild: FLORIAN WIESER / APA / picturedesk.com